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Kritiker warnen vor einem "Zwei-Klassen-Internet".

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Die Abstimmung im EU-Parlament ging mit 410 zu 230 Stimmen eindeutig aus.

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Gleiches Recht für alle Daten: Dieser als Netzneutralität bekannte Grundsatz gilt als das wichtigste Prinzip eines freien Internets. In Europa ist er seit Dienstag gesetzlich fixiert – zumindest, wenn man der EU-Kommission glauben will. Eine konträre Auffassung vertreten Internetaktivisten und Oppositionelle, die eine ganze Reihe von "Schlupflöchern" für die Telekombranche identifiziert haben, mit denen die Netzneutralität ausgehebelt werden kann. Die Zeche müssten dann die Nutzer bezahlen.

Tatsächlich ist der Text, den das EU-Parlament nach Verhandlungen mit Kommission und nationalen Ministern beschlossen hat, ein Dokument voller Widersprüche und Unklarheiten. So heißt es, dass sogenannte "Spezialdienste" erlaubt seien. Befürworter der Regelung hatten zuvor argumentiert, damit seien etwa Telemedizin oder Notrufsysteme gemeint. Aktivisten befürchten hingegen, dass breitenwirksame Anwendungen wie die Videoplattform Netflix oder der Telefoniedienst Skype künftig flotter durch das Glasfaserkabel transportiert werden könnten, wenn sie Geld an Provider überweisen. Eine Definition, was ein "Spezialdienst" nun ist, findet sich im Gesetzestext nicht.

Provider dürfen drosseln

Genauso wenig Klarheit ist im Bereich der "Netzüberlastung" zu finden. Künftig können Internetanbieter den Datenverkehr drosseln, wenn ihr Netz übermäßig beansprucht wird. Wann das der Fall ist, wird im Gesetz nicht definiert. Hier könnten Dienste wie Netflix – und damit dessen Nutzer – zu Leidtragenden werden. Provider könnten argumentieren, dass die große Datenmenge, die beim Videostreamen anfällt, zu Ausfällen bei anderen Kunden führt.

Als dritten Schwachpunkt machen Kritiker der Regelung ein fehlendes Verbot von "Zero Rate"-Tarifen aus. Damit bezeichnet man Angebote, bei denen der Datenverbrauch bei einem bestimmten Dienst nicht in das insgesamt verbrauchte Volumen einfließt. Ein Beispiel dafür wäre etwa ein Tarif des österreichischen Mobilfunkers "3", bei dem unlimitiert Musik beim Streamingdienst Spotify abgerufen werden kann. Solche Angebote schwächen Start-ups, die in Konkurrenz zu etablierten Anbietern stehen. Denn neu gegründete Firmen können sich diese "Überholspuren im Netz" nicht leisten.

Erfolg für Großkonzerne

Kritiker sehen in diesen Bestimmungen einen Sieg der Telekomkonzerne, die in den vergangenen Monaten massiv bei nationalen Regierungen lobbyiert haben. Ursprünglich hatte das EU-Parlament sehr starke Regeln für Netzneutralität beschlossen. Diese Regelung musste anschließend allerdings den sogenannten "Trilog" mit EU-Kommission und EU-Rat passieren. Dort wurden nach der Darstellung des grünen Abgeordneten Michel Reimon massive Abschwächungen durch Regierungsvertreter vorgenommen. Im Abtausch mit dem Aus für Roaming-Gebühren wurde laut Reimon "die Netzneutralität geopfert".

Auch die Neos kritisierten die Entscheidung. Nationalrat Niko Alm sprach von einer "Roaming-Erpressung". Internetaktivisten zeigten sich nach der Abstimmungsniederlage enttäuscht. Sie verwiesen auf gesetzliche Bestimmungen in den USA, wo die Netzneutralität seit Februar verankert ist – nach einem harten Scharmützel mit der Telekomindustrie.

Kritik am Entwurf gab es etwa von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee.

Roaming-Ende

Roaming-Gebühren für Telefonate und Datennutzung im EU-Ausland gehören ab Mitte 2017 der Vergangenheit an. Das EU-Parlament stimmte am Dienstag für eine Abschaffung der Gebühren ab Juni 2017.

Die Abgeordneten billigten damit einen Kompromiss mit den EU-Mitgliedsländern, die sich für eine längere Übergangsfrist ausgesprochen hatten. Ursprünglich wollte die EU-Kommission ein Verbot der Roaming-Gebühren bereits Ende 2015, war damit aber am Widerstand mehrerer EU-Länder, darunter auch Österreich, gescheitert.

Die künftigen Roaminggebühren.
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Ab dem 30. April 2016 werden die Roaming-Gebühren zunächst gesenkt: So soll der Aufschlag dann höchstens fünf Cent pro Minute für Anrufe, zwei Cent für SMS und fünf Cent je Megabyte Datenvolumen betragen.

Die Botschafter der EU-Staaten haben die Regeln bereits gebilligt, der EU-Rat als Vertretung der Mitgliedsländer muss noch formal zustimmen. Die Berichterstatterin des Europaparlaments, Vera De Castillo, meinte in einer Stellungnahme, jetzt könnten die Bürger greifbar erkennen, dass das europäische Projekt einen klaren Mehrwert habe.

Reaktionen der Mobilfunker

Die Reaktionen von heimischen Mobilfunkern fallen gemischt aus. "Erfreut sind wir nicht", sagt Livia Dandrea-Böhm vom Marktführer A1 zum STANDARD . Als Fremdenverkehrsland machten in Österreich die Roamingeinnahmen einen "substanziellen Betrag aus". Genaue Zahlen will man allerdings nicht nennen. Nun fehlten dem Unternehmen Einnahmen für Investitionen.

Jan Trionow, Chef des Netzbetreibers "3", gibt sich hingegen betont gelassen. Er sieht in der "Entscheidung des EU-Parlaments als einen relativ ausgewogenen Kompromiss". Bei T-Mobile sieht man "Mobilfunkanbieter vor großen Herausforderungen". Einfach die Preise zu senken wird nicht reichen, da es "unterschiedlich hohe Kosten in verschiedenen Ländern gibt. So ist beispielsweise Österreich als Bergland ungleich teurer zu versorgen als Belgien mit flachem Land." (Fabian Schmid, Markus Sulzbacher, 27.10.2015)