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Exzessiver Sport sei genauso gefährlich wie exzessives Hungern, sagt die Expertin.

Foto: REUTERS/Carlo Allegri

Spricht man von Essstörungen, dann haben noch immer viele Menschen hungernde Mädchen im Teenager-Alter vor Augen. Dass aber auch zunehmend Männer davon betroffen sind, zeigt Barbara Mangweth-Matzek von der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin mit einer neuen Studie, die noch nicht publiziert wurde.

Dafür wurden 470 Männer zwischen 40 und 75 zu Themen wie Essverhalten, Sportlichkeit und Lebensqualität befragt. Zum Essverhalten von Männern in dieser Altersgruppe gibt es bisher wissenschaftlich "so gut wie nichts", so Mangweth-Matzek. Denn Männer würden nicht gerne über diese Aspekte sprechen.

Dass das aber nötig ist, zeigen die Ergebnisse der Studie: Sieben Prozent der Befragten weisen mindestens ein Symptom für eine Essstörung nach dem internationalen Klassifikationssystem DSM-5 auf. Darunter fallen beispielsweise Männer mit einem BMI unter 18,5 oder Männer, die regelmäßig Essanfälle haben, erbrechen, Abführmittel nehmen oder extrem fasten ohne vorher viel gegessen zu haben. "Das waren deutlich mehr Betroffene als gedacht", so Mangweth-Matzek. 2,6 Prozent der Befragten erfüllten die Kriterien einer tatsächlichen Essstörung.

Andere Essstörungen

Eine mögliche Erklärung für das Ergebnis: Die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer haben sich in den letzten Jahren verändert, sagt die Expertin. Auch sie müssen fit und schön sein. "Ins Fitnessstudio gehen daher heute schon junge Burschen."

Zu Frauen mittleren Alters hat Mangweth-Matzek bereits vor einigen Jahren eine ähnliche Studie durchgeführt. Die Zahlen seien durchaus miteinander vergleichbar, sagt die Psychologin. Die Ausprägungen der Essstörung unterscheiden sich aber: "Der Schwerpunkt bei Frauen liegt bei der Diagnose Bulimie", sagt Mangweth-Matzek. Betroffene würden zwar nicht unbedingt erbrechen, aber immer wieder fasten oder mit Abführmitteln versuchen, Essanfälle zu kompensieren.

Von den Männern, die in der Studie Kriterien für eine Essstörung erfüllten, griff im Unterschied dazu keiner zu Abführmitteln, nur einer erbrach. Stattdessen kompensieren diese Männer ihre Essanfälle mit Extremsport. "Das ist ein ganz einzigartiges Ergebnis", so Mangweth-Matzek. Mittels eigenem Fragebogen wurde auch das Verhältnis zu Sport erhoben, etwa wie wichtig Sport im Leben der Befragten ist und ob sie ohne Sport leben könnten. Besonders viele der Männer mit pathologischem Essverhalten erfüllen die Kriterien für eine Sportsucht.

Im Gegensatz zu den Frauen gab es bei den Männern mit Essstörung auch Betroffene, die sich nicht zu dick, sondern zu schmächtig fühlen – und die Sport betreiben, um Muskeln aufzubauen. Im Extremfall kann sich das zu einer Muskeldysmorphie entwickeln, einer Störung des Selbstbilds, von der beispielsweise eine hohe Anzahl an Wettkampf-Bodybuildern betroffen ist, die sich trotz Muskelberge zu schmächtig fühlen.

Die Expertin betont, dass exzessiver Sport genauso gefährlich ist wie exzessives Hungern: Betroffene würden trotz Müdigkeit zwanghaft und exzessiv Sport betreiben. Oft führe das nicht nur zu körperlichen Schäden, sondern auch zu Beziehungskrisen, weil der Sport das wichtigste im Leben wird: "Betroffene wechseln dann auch ihren Job, weil man Sport in diesem Umfang im normalen Tagesablauf gar nicht mehr unterbringen kann." Die Sportsucht habe daher etwas "sehr lebenszerstörendes".

Zusammenhang mit Menopause

Das Klischee vom Mann in der Midlife-Crisis, der plötzlich zum exzessiven Marathonläufer wird, könnte durchaus einen wahren Kern enthalten: Bei Frauen konnte Mangweth-Matzek in der Vergangenheit bereits einen Zusammenhang zwischen den Symptomen der Menopause und essgestörtem Verhalten finden. Bei Männern gebe es mit der Andropause – also der Lebensphase, in der der Testosteronspiegel abnimmt – eine vergleichbare Phase. Auch in diesem Lebensabschnitt seien Männer anfälliger für Essstörungen. "Bei diesen Phasen dürfte es sich also um Vulnerabilitätsfenster handeln."

Nächstes Jahr würde Mangweth-Matzek die Studie gern in Wien wiederholen, um zu sehen, ob der Hang zum exzessiven Sport auch in der Bundeshauptstadt so ausgeprägt ist. Auch zu Essstörungen bei jüngeren Männern müsse künftig noch mehr geforscht werden: "Meine Vermutung wäre aber, dass es bei jüngeren Männern noch mehr pathologisches Essverhalten gibt."

Neue Erhebungsinstrumente nötig

Eines mache die Studie zudem deutlich: "Die Fragebögen und Erhebungsinstrumente sind nach wie vor sehr stark auf Frauen ausgerichtet", sagt Mangweth-Matzek. Oft werde gefragt, wie dick sich Betroffene fühlen und wie unzufrieden sie sind. Essstörungen von Männern würden sich so aber nur schwer erfassen lassen. (Franziska Zoidl, 15.11.2015)