Bild nicht mehr verfügbar.

Die Gänse von Biolandwirt Siegfried Marth haben Schwein gehabt: Sie wachsen artgerecht auf. Geschlachtet werden sie zu Martini trotzdem.

Foto: APA / Robert Jaeger

Hätten die schnatternden Gänse den heiligen Martin von Tours damals im Stall nicht verraten, wäre es ihnen vielleicht nicht an den Kragen gegangen. Wenn man nämlich der Legende Glauben schenken möchte, versteckte sich der Mönch, weil er nicht zum Bischof geweiht werden wollte, im Gänsestall. Eine andere Legende besagt, dass sich Martin von den Gänsen gestört gefühlt habe und sie daraufhin schlachten ließ.

Welche Version nun die richtige ist und warum die Gans damals daran glauben musste, ist heute nebensächlich. Vielmehr interessiert es, woher die Gans kommt, die als gefüllter Braten, Suppe oder Pastete auf dem Teller landet. Dass Gans nicht gleich Gans ist, liegt irgendwie auf der Hand, wenn man die Preise von Import-Tiefkühlgänsen und jene von biozertifizierten Betrieben vergleicht.

Doch was unterscheidet die fein säuberlich verpackte und genau gewogene ungarische Gans aus dem Supermarkt von der wesentlich teureren, die man meist ab Hof oder beim Händler seines Vertrauens kauft? Diese Frage stellt sich freilich selten jemand, der nicht auf die Martinigans verzichten will und dann doch lieber zur Tiefkühlware greift, weil sie so unschlagbar günstig ist. Manchmal schadet es aber nicht, Dinge zu hinterfragen. Während man die ungarische Gans bereits ab fünf Euro pro Kilogramm sein Eigen nennen darf, muss man für eine österreichische Weidegans locker mehr als das Dreifache hinlegen. Dafür hat man bei der teuren Gans aber auch die Gewissheit, dass sie nicht mittels Stopfmethode zwangsernährt oder lebend gerupft wurde – eine Methode, die leider in vielen Mastbetrieben noch immer gängige Praxis ist.

Nachbars Gänse

Während es in Österreich verboten ist, darf bei unseren Nachbarn in Ungarn fleißig gestopft und gerupft werden. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel, weiß Indra Kley von Vier Pfoten Österreich. "Natürlich produziert nicht jeder ungarische Produzent nach nicht tiergerechten Methoden. Trotzdem ist es so, dass es in Ungarn noch viele Betriebe gibt, die Stopfmast und Lebendrupf betreiben. Ungarn ist der größte Gänsefleisch-Exporteur der Welt. Der Markt ist extrem groß. Bei dieser Masse an Tieren ist es irgendwie klar, dass die Gänse nicht alle im paradiesischen Umfeld aufwachsen", sagt Kley.

Für Kunden, denen die österreichische Weidegans zu teuer ist und die trotzdem mit ruhigem Gewissen zu Martini ihre Gäste mit einem Braten beeindrucken wollen, hat Vier Pfoten eine Positivliste von ungarischen Betrieben erstellt. "Die meisten Betriebe auf dieser Liste sind zwar noch weit von Bio entfernt, aber zumindest wird da keine Stopfmast oder Lebendrupf betrieben. Das sind Mindeststandards, die hier erfüllt werden", ergänzt Kley. Wer allerdings jemals eine Gans aus artgerechter Haltung gegessen hat, der wird wohl nie wieder zu einer Tiefkühlgans aus Ungarn greifen. Das feinfasrige und zarte Fleisch schmeckt einfach unverwechselbar. Klar, dass das Interesse an österreichischen Gänsen immer größer wird.

Über zu wenig Kundschaft kann sich der burgenländische Biolandwirt Siegfried Marth zumindest nicht beschweren. Seine Gänse sind bereits seit Wochen ausverkauft. Von Frühling bis Herbst grasen auf seinen Weiden 800 Tiere, bis sie schließlich auf dem Hof geschlachtet werden. Mehr wäre im Moment nicht möglich, erzählt der Bauer. Nicht weil die Nachfrage zu klein ist, sondern weil er nicht genug Weidefläche zur Verfügung hat. Schließlich brauchen die Gänse eine Mindestfläche, um die Standards der österreichischen Weidegans zu erfüllen.

Viel Bewegungsfreiheit

"Jede Gans muss 100 Quadratmeter Grünfläche im Lauf ihres Lebens zur Verfügung haben. Das bedeutet, die Tiere haben sehr viel Bewegungsfreiheit. Das ist auch das Besondere an der Weidegans", sagt Marth. Dass die Gänse so viel Auslauf haben, wirkt sich auch auf die Fleischqualität aus, sind Weidegänse doch viel fettärmer als jene aus Mastbetrieben. Dass die Qualität so hoch ist, liegt wohl auch an der längeren Aufzuchtzeit, erzählt Marth: "Die Küken kommen am ersten Tag nach dem Schlüpfen zu uns auf den Hof. Zwischen drei und sechs Wochen ziehen wir sie im Stall auf, weil sie ohne Federkleid sehr empfindlich gegen Zug und Nässe sind. Nach 26 Wochen, im Herbst, werden sie geschlachtet."

Ähnlich lange haben auch die 100 Gänse auf dem Hof von Silvia Bauer im Waldviertel Zeit zu wachsen. Die Quereinsteigerin, die sich den Umgang mit den Gänsen selbst beigebracht hat, verkauft ihre Tiere nur an Privatpersonen ab Hof. Die Gänse zu schlachten fällt ihr aber immer noch schwer. "Natürlich ist es nicht einfach, die Tiere zu töten. Man baut schließlich eine Beziehung zu ihnen auf. Aber es muss nun einmal sein, und wenn man dadurch dazu beitragen kann, dass man mehr Gänse aus artgerechter Haltung isst, dann haben wir unsere Arbeit richtig gemacht", sagt Bauer.

Auch sie ist Mitglied des Vereins "Österreichische Weidegans" und baut sogar das Futter für die Tiere selbst an. Von solchen Voraussetzungen kann man bei großen Mastbetrieben nur träumen. Lediglich zwölf Wochen leben die Tiere, bis sie geschlachtet werden und schließlich als Convenience-Produkt in den heimischen Supermärkten landen. Zum Glück gibt es Alternativen, auch wenn der Bedarf an Gänsen in Österreich ohne den Import der ungarischen Tiere nicht gedeckt werden könnte. Sich früh genug um seine Martinigans zu kümmern schadet also nicht. (Alex Stranig, RONDO, 6.11.2015)