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Andreas Georgiou, Ex-Chef des griechischen Statistikamts, muss sich gegen Angriffe von allen Seiten wehren.

Foto: Reuters

Athen/Wien – Andreas Georgiou wirkt ruhig und dennoch rumort es in ihm. Möglicherweise helfen seine Jiu-Jitsu-Fähigkeiten – der Grieche ist Träger des schwarzen Gürtels – dabei, die Emotionen zu verstecken. Ärger hat Georgiou, früherer Chef des griechischen Statistikamts Elstat, tatsächlich genug. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, 2010 das griechische Defizit schlecht gerechnet zu haben. Bei einer Verurteilung wegen arglistiger Täuschung droht wegen des mit 210 Milliarden Euro bezifferten Schadens eine lebenslange Haftstrafe.

In der Causa geht es nicht nur um Herrn Georgiou persönliches Schicksal, sondern um die Frage der griechischen Rettungspakete und letztlich der Souveränität des Landes, die durch die Auflagen der Geldgeber und die Kontrolle durch die Troika massiv eingeschränkt wurde. Georgiou, der 2010 seinen Arbeitsplatz beim Internationalen Währungsfonds in Washington mit jenem im Athener Statistikbüro tauschte, ist zwischen alle Fronten geraten.

Anwürfe von allen Seiten

Die Konservativen sind sauer, weil die Korrektur des Defizits ihre Staatsführung in ein schiefes Licht rückte. Die Linke sieht in Georgious Revision des Budgetminus die Basis für die harten Sparprogramme. Als Trojanisches Pferd wurde er in Medien bezeichnet. Andreas Georgiou, der Mann, der von den Geldgebern ins Amt gehoben wurde, um Griechenland zu Fall zu bringen. So lautet eine in Athen weit verbreitete These.

Und da wäre noch Prokopis Pavlopoulus, früherer Innenminister und seit März griechischer Präsident. Er lässt kaum eine Gelegenheit aus, um gegen Georgiou ins Feld zu ziehen. Zehn Milliarden Euro an unnötigen Einsparungen hätten die überhöhten Defizitberechnungen des früheren Elstat-Chefs gefordert, ließ er einmal wissen. Georgiou habe Griechenland gegen die Angriffe der Statistikbehörde Eurostat nicht verteidigt, äußerte der konservative Präsident und sprach sich öffentlich und kaum verklausuliert für dessen Verfolgung aus.

Hackerangriff

Wegen der Angriffe sah sich Eurostat veranlasst, seine "tiefe Besorgnis" auszudrücken und vor einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit zu warnen. Die unter Georgiou ermittelten Budgetzahlen seien immer fehlerlos gewesen. Selbst Zwischenzeit-Finanzminister Yanis Varoufakis stellte sich – damals noch als linker Ökonom – hinter seinen Berufskollegen.

Auch Georgiou beteuert seine Unschuld. Mitte 2010 ins Amt gekommen – kurz nach dem Beschluss des ersten Rettungspakets für Griechenland -, galt es, Elstat von politischen Einflüssen zu befreien und europäische Vorgaben zu erfüllen. Doch rasch nach Arbeitsbeginn habe er bemerkt, dass sein E-Mail-Account gehackt wurde. Im Wege der polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass es "vom ersten Tag meiner Amtszeit an" laufend Zugriffe auf den Account gegeben habe. Tausende Dokumente und E-Mails seien gespeichert worden, schildert Georgiou die Vorgänge von damals.

15,4 Prozent Defizit

Über die Hintergründe will er nicht sprechen. Bekannt ist, dass es von Anfang an Widerstände gegen die Berufung des einstigen IWF-Manns und Mitbewerber für den Posten bei Elstat im eigenen Haus gegeben hat.

Und dann kam die Frage des Defizits. Nach der Miteinberechnung bis dato unberücksichtigter staatlicher Einheiten kalkulierte Georgiou für 2009 ein Budgetloch von 15,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Geplant waren für das Jahr sechs Prozent, aber die Ziffer war schon vor der neuen Elstat-Berechnung mehrmals nach oben revidiert worden. Dass seine Angaben heute noch gelten, ist für Georgiou nur ein Zeichen seiner Unschuld. Am besten sei dem Land gedient, indem "Statistiken nach internationalen Standards und europäischen Gesetzen" produziert würden. Da habe er sich nichts vorzuwerfen, sagt der Überbringer der schlechten Budgetnachricht, der dafür – ganz nach der altgriechischen Mythologie – bestraft werden sol. (Andreas Schnauder, 12.12.2015)