Fotos aus anderem Zusammenhang: Tatsächlich war der Junge 2009 von einem Rottweiler gebissen worden, wie Recherchen von Mimikama.at zeigten

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Die Liste an Verbrechen, die Flüchtlinge im vergangenen Jahr begangen haben sollen, ist lang: Vergewaltigungen und Tierquälerei sind darauf ebenso zu finden wie Diebstahl und Raubüberfälle. Doch auch von Vorteilen gegenüber Einheimischen wird berichtet: Flüchtlinge sollen viel mehr Geld als österreichische Staatsbürger erhalten, bei der Ankunft brandneue Smartphones in die Hand gedrückt bekommen und Gutscheine im Wert von hunderten Euros besitzen.

Gerüchte zur Hetze

In einer überwältigenden Anzahl erweisen sich solche Meldungen bei näherem Hinsehen als falsche Gerüchte, die nur in die Welt gesetzt wurden, um Hass zu streuen. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass jede Meldung, die Asylwerber belastet, gefälscht ist: Ein Bericht über einen Asylwerber, der eine 72-jährige Frau vergewaltigt hat, erwies sich als wahr. Doch die Ratio zwischen erfundenen und belegbaren Horrormeldungen ist besorgniserregend hoch.

Wiederkehrende Muster

Mit einem Blick auf die Gerüchte der vergangenen Monate lassen sich einige wiederkehrende Muster feststellen. So gibt es Mechanismen, um eine genaue Überprüfung der Vorfälle – etwa durch Journalisten oder auch Strafbehörden – zu verhindern. Da heißt es dann etwa, ein "Freund" oder "anonymer Hinweisgeber" habe den Vorfall an den Erstverfasser der Meldung weitergereicht. Mit diesem zu sprechen, sei nicht möglich – da er "bedroht werde" oder "entlassen werden könnte". Damit werden einer Verifizierung der Vorfälle große Hürden auferlegt.

"Anonymer Hinweisgeber"

Der Spiegel berichtet in seiner neuen Ausgabe (Print/Blendle) beispielsweise von einem Gerücht über einen "Ziegenmord in einem Streichelzoo". Asylwerber sollen das Tier geschlachtet und direkt im Streichelzoo verzehrt haben. Der Spiegel wollte dies überprüfen – und kam zunächst drauf, dass am angegebenen Ort gar keinen Streichelzoo mehr gibt. Daraufhin wurde der Erstverfasser des Facebook-Gerüchts kontaktiert, der davon sprach, den Ort verwechselt zu haben – ein weiteres Muster, das sich wiederholt. Der Verfasser des Gerüchts – der sich in der stark rechten deutschen Partei AfD engagiert – verweist auf einen Freund, der wiederum einen anonymen Tierpfleger als Quelle nennt. Mit dem zu sprechen sei allerdings unmöglich, da ihm "die fristlose Kündigung" drohe.

Alte Fotos als neu präsentiert

Es gibt aber auch andere Mechanismen, um Recherchen zu erschweren und Verwirrung zu stiften. So werden beispielsweise alte Fotos und Videos einem aktuellen Ereignis zugeschrieben. Zu beobachten war das etwa nach den Terroranschlägen Mitte November in Paris. Plötzlich verbreiteten sich Videos von jubelnden Menschen, die den Anschlag feiern sollen. Tatsächlich handelte es sich um Fans der pakistanischen Cricket-Nationalmannschaft, die im Jahr 2009 einen Sieg des Teams bejubelt hatten.

Gefälschte Dokumente

Menschen, die falsche Gerüchte in die Welt setzen wollen, scheuen oft nicht davor zurück, auch offizielle Dokumente zu fälschen. Mit modernen Bildbearbeitungsprogrammen ist es ein leichtes, Logos und Fragmente von amtlichen Bescheiden mit selbst verfassten Passagen zu kombinieren. Der Spiegel berichtet etwa über einen gefälschten Brief eines "Sozialamtes, Abteilung Migration", in dem deutsche Bürger zur Räumung ihrer Wohnung aufgefordert werden – der Hoax machte prompt in sozialen Netzwerken die Runde.

Faktenchecks

Mittlerweile regt sich aber einiger Widerstand gegen die ungebremste Verbreitung von Gerüchten und Hetze. Blogs wie die Seite Mimikama versuchen, mit Faktenchecks gegenzusteuern. Im englischsprachigen Raum gibt es Initiativen wie FirstDraft, das Meldungen aus sozialen Netzwerken mit (daten-)journalisten Methoden zu verifizieren versucht. Doch schnell werden jene, die auf falsche Fakten hinweisen, als "Lügenpresse" verunglimpft – das finale Muster, mit dem Gerüchten freien Lauf gelassen wird. (fsc, 3.1.2016)