Agile Erziehung – oder wie man gebildete Persönlichkeiten, die mit einem starken Selbst und großem Herz ins Leben treten, entwickelt.

Foto: apa / ROLAND SCHLAGER

Agil muss heute alles sein! Wenn Sie in der IT arbeiten, kennen Sie ja den ganzen Rummel, der immer höhere Wellen schlägt. Im Jahre 2001 schlugen Softwareentwickler das heute weltbekannte "Agile Manifesto" an die Wand – wie Luther seine Thesen. Viele unterzeichneten das Manifest, und in der Folge entstanden neue Entwicklungsmethoden für Software, die nicht mehr so starr und unbeweglich waren, dass man oft denken konnte, die Projektentwicklungsdokumentation wäre wichtiger als das Ergebnis des Projektes selbst.

Sie kennen bestimmt die unsäglichen "Programme" zur Fortbildung, Geschlechtergleichheit, Sicherheitsbelehrung oder zum Feuerschutz. Die "Ausbilder" erklären uns lustlos die jeweils neuen Konventionen und sind dann aber nach dem Kurs hinter uns her: "Laufen Sie nicht weg. Sie müssen Ihre Teilnahme unterschreiben. Ohne Dokumentation gilt es nicht." Dann, wenn sie alle Unterschriften geerntet haben, leuchten endlich ihre Augen: Das Programm ist "erfolgreich gewesen". Die Partizipationsquote lag über xy Prozent – höher als erwartet! Wundervoll! Schulterklopfen! Ob all die Leute überhaupt etwas gelernt oder mitgenommen haben, ist anscheinend zweitrangig.

Die agile Mission

Das will die agile Mission eben nicht – bitte andersherum! Im Manifest für Agile Softwareentwicklung heißt es:

"Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge;
funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation;
Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung;
Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein."

Und für die Erziehung?

Könnten wir das für die Erziehung nicht auch einmal proklamieren? Dass es ja schön und gut ist, Klasse für Klasse aufzusteigen, eine Maturadokumentation in der Hand zu halten und damit Berechtigungen für das weitere Leben zu erhalten – dass es aber doch eigentlich darum ging, eine gebildete Persönlichkeit zu entwickeln, die mit einem starken Selbst und großem Herz ins Leben tritt?

Ich schlage für 2016 das Manifest für Agile Erziehung an die Wand. Es lautet:

"Wir erschließen bessere Wege, Menschen zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Während dieser Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

Individuelle Menschenentwicklung über das Aufsteigen nach Klassen;
Aktivierung von Selbstwirksamkeitsgefühl über Prüfungs- und Zeugnisdokumentation;
Folgen von gewecktem Interesse über Befolgung von Lehrplänen;
Zukunftsfähigkeit der Bildung über Bewahren klassischer Vorstellungen.

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein."

Den Abspann lasse ich so. Er soll versöhnlich klingen, überhaupt ist alles versöhnlich gemeint.

Das Ziel: Junge Menschen besser entwickeln

Es geht der Agilen Erziehung nicht darum, andere Methoden zu propagieren, sondern die jungen Menschen besser zu entwickeln. Das Ergebnis soll stärker in den Vordergrund treten. So würde ich es selbst unterschreiben. Sie auch? (Gunter Dueck, 10.1.2016)