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Steven Avery saß 18 Jahre unschuldig in Haft. 2007 wurde er wegen Mordes verurteilt, zu sehen in "Making a Muderer" auf Netflix.

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Averys Neffe Brendan Dassey, 2007.

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Wien – Irgendwann stirbt die Hoffnung, dass jemand sagt: "Reingelegt, alles nur Fiktion!", denn was Netflix mit Making a Murderer serviert, ist nicht nur eine exzellent gemachte Dokumentation, sondern verdammt schwere Kost. Sie liegt lange im Magen und lässt Zuseher ratlos zurück, wer der Mörder einer 25-jährigen Fotografin ist.

Im Mittelpunkt steht der jetzt 53-jährige Steven Avery aus der kleinen Gemeinde Manitowoc im US-Bundesstaat Wisconsin. Die Geschichte in Kurzform, ohne zu viel von der Handlung vorwegzunehmen: 1985 wurde Avery wegen Vergewaltigung verurteilt. Zu Unrecht, wie sich erst 2003, also 18 Jahre nach der Tat, dank eines DNA-Tests herausstellte. Der Fall sorgte landesweit für Empörung und war Anlass für eine Gesetzesinitiative, die Averys Namen trug.

Doch der vermeintliche Held fällt wieder. Just als er 2005 eine Entschädigung erhalten sollte, verschwindet eine Frau. Ihre letzte Spur führt zu Averys Schrottplatz. Das Opfer, Teresa Halbach, sollte dort Fotos machen.

Avery beteuert seine Unschuld, landet aber wieder vor Gericht, wo er zum Teil auf jene Polizisten trifft, die 1985 die Pannen zu verantworten hatten.

700 Stunden Material

Seit der neuerlichen Festnahme 2005 sind die Filmemacher Laura Ricciardi und Moira Demos mit der Kamera dabei. Sie haben aus fast 700 Stunden Material zehn Stunden destilliert, um daraus für Netflix zehn Episoden herauszuschälen.

Die Folgen bestehen aus Archivaufnahmen vor Gericht, aufgezeichneten Gesprächen aus Gefängnissen, Interviews mit Averys Angehörigen und seinen Anwälten. Im Schlepptau der Prozesse: Journalisten, für die Privatsphäre ein Fremdwort scheint und die sich wie Hyänen auf die Betroffenen stürzen. Für den Betrachter bedeutet das ein ständiges Oszillieren zwischen Ekel vor der Sensationsgier und Spannung, wie die Geschichte weitergeht.

Es sind Averys Verteidiger, die das Geschehen diktieren. Sie versuchen Medien zu instrumentalisieren, um Stimmung für ihren Mandanten zu machen. Die Perspektive ist einseitig, weil Ankläger und Angehörige des Mordopfers aus verständlichen Gründen seltener vor die Kamera treten.

Polizeimethoden in der Kritik

Irritierend an dem Fall sind nicht nur viele Fragen, die zum Mord selbst offenbleiben, sondern auch das Agieren der Polizei. So wird etwa Averys Neffe zum Verhör aus der Schule geholt. Der damals 16-jährige Brendan Dassey ist die zweite Hauptfigur. Mit äußerst fragwürdigen Methoden bekommen die Ermittler ein Geständnis des geistig zurückgebliebenen Schülers, dass auch er in den Mord involviert gewesen sei. Sogar sein eigener Pflichtverteidiger arbeitet gegen ihn. Auch hier bleiben viele Fragen offen.

Making a Murderer ist nach dem Podcast Serial und der HBO-Serie The Jinx rund um den Geschäftsmann Robert Durst das nächste Format aus dem True-Crime-Genre, bei dem reale Verbrechen rekonstruiert werden. Die Folge ist eine Art öffentliche Mördersuche mit ethisch bedenklichen Zügen. Den Filmemachern wird vorgeworfen, Indizien für Averys Schuld nicht dokumentiert zu haben. Und die Angehörigen des Opfers werden zehn Jahre nach der Tat noch einmal mit dem Verbrechen konfrontiert. Unverpixelt und namentlich, was zur Folge hat, dass vor allem die Ermittler einem Mob ausgesetzt sind.

Auf Social-Media-Kanälen formierten sich nach der Ausstrahlung im Dezember bereits tausende Hobbykriminalisten, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen, denn Making a Murderer lässt bei vielen das Vertrauen in das US-Justizystem erodieren. Zwei Petitionen zur Freilassung wurden bereits von einer halben Million Menschen unterzeichnet. (Oliver Mark, 9.1.2016)

Trailer: "Making a Murderer"

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