Foto: Rainbow Six Siege
Foto: Rainbow Six Siege

"Rainbow Six Siege" ist der beste Multiplayer-Shooter, den ich seit Jahren gespielt habe. Das letzte Genrewerk, das mich derart mitreißen konnte, war die "Battlefield"-Serie und davor vielleicht "GoldenEye 007". Wie bereits in meinem Test festgehalten, beschert jedes Feuergefecht Adrenalinkicks, zwingt einen, sein Handeln zu überdenken und mehr denn je zu Teamplay.

Für mich ist das das "Counter-Strike" der nächsten Generation. Ebenso fünf gegen fünf, ebenso eiskalt und unverzeihlich, aber mit weit spannenderen, manipulierbaren Kulissen und einem Aufgebot an gut durchdachten Charakteren, die es zu kombinieren gilt. "Skill" ist viel, aber zu wenig ohne Strategie und Absprache. Glücklicherweise habe ich eine Handvoll Freunde, die dieser Sucht ebenso verfallen sind. Zusammen sind wir trotz vieler schmerzlicher und dummer Niederlagen so begeistert, dass wir uns zum ersten Mal seit Jahren sogar zu einer privaten LAN-Party hinreißen ließen.

Mit diesem Hintergrund mag man meine enorme Enttäuschung darüber verstehen, dass Hersteller Ubisoft rund um dieses geniale Konstrukt alles dazu beigetragen hat, um "Siege" zu verteufeln.

Überteuert und unfertig

Bei einem Vollpreis für gerade einmal zehn unterschiedliche Karten, ein halbes Dutzend Spielmodi und keine (!) Einzelspielerkampagne kam es nicht nur völlig überteuert, sondern, wie sich mit jeder weiteren Spielwoche herausstellen sollte, leider weitgehend unfertig auf den Markt.

Während mir in der Testwoche leider nur wenige dieser Probleme auffielen, kristallisierten sich im Langzeitspielen zahlreiche technische Fehler und konzeptuelle Mängel heraus. Das Matchmaking schafft es nicht, gleich starke Kontrahenten zusammenzuwürfeln und benötigt teilweise Minuten, um eine Partie herzustellen. Die Server scheinen, ob des Spieleransturms zu Spitzenzeiten, hilflos überfordert zu sein und werfen Spieler regelmäßig aus laufenden Matches heraus oder verweigern nach mehreren Runden des nervenaufreibenden Gefechts einfach so die Punkteausgabe.

Natürlich, es geht primär ums Spielen, doch wie oft wir im Team schon keine Punkte für Siege oder tapfere Verluste erhalten haben, hätte zumindest meinerseits in jedem anderen Spiel eine Totalaufgabe nach sich gezogen. Doch was soll ich als Süchtiger sagen? Wenn alles läuft, fühlt es sich ein bisschen wie Weihnachten an. Auch wenn das überhaupt nicht zum Setting passt.

Die kleinen, dummen Fehler

Neben solchen Ausfällen, greift man sich bis zu "Heiligabend" aufgrund zahlreicher hirnrissiger Designentscheidungen noch zig mal an die Stirn. Charaktere lassen sich etwa nur im Hauptmenü anpassen und freischalten, genauso wie Waffen und die Ausrüstung. Hat man also endlich über alle Hürden des Uplay-Netzwerks zehn ambitionierte Spieler in die Arena gebracht, um dann festzustellen, dass einem etwas fehlt, hilft nur der Ausstieg aus der Partie – was übrigens meisten darin endet, dass auch der eigene Squad, der Spielerzusammenschluss, auseinandergerissen und neu eingerichtet werden muss.

Um die vielen und langen Wartezeiten ja nicht sinnvoll überbrücken zu können, haben es die Entwickler vermieden, Statistiken, Einstellungen oder die Tages-Herausforderungen in den Ladebildschirmen einblenden lassen zu können. Wer würde auch auf die Idee kommen, nützliche Informationen zu sammeln oder letzte Anpassungen vorzunehmen, wenn man gespannt auf Ladebalken und Countdowns starren kann? Es sind viele Kleinigkeiten, die aber speziell nach dutzenden Spielstunden ins Gewicht fallen und zermürben.

Dreiste Methoden

Besonders gefrotzelt dürfen sich all jene Spieler fühlen, die nicht nur 60 Euro, sondern 90 Euro ausgegeben haben, um sich mit dem Erwerb des Season-Passes gleich vorab die kommenden Zusatzinhalte für das Spiel zu sichern. Ich persönlich bin aufgrund der von Ubisoft zur Verfügung gestellten All-inclusive-Testversion nicht davon betroffen, doch ich konnte den Ärger von Kollegen sehr gut nachvollziehen, als sie (zugegebener Maßen trotz Vorabankündigung) feststellten, dass man sich für 30 Euro nicht mehr als einen einwöchigen Zeitvorsprung zum Freischalten kommender Charaktere, einen einjährigen 5-Prozent-Boost auf Spielpunkte und ein paar Waffenskins gesichert hat. Das sind DREISSIG EURO für null realen Gegenwert. Ein Spiel überteuert zu veröffentlichen, ist ein Nepp. Es aber noch dazu so unfertig an die Kunden zu bringen, ist eine Frechheit.

Dass ich und wir bei all diesen Schikanen und Unverschämtheiten trotzdem nur ständig daran denken können, wann wir wieder gemeinsam spielen, spricht für das exzellente Fundament von "Rainbow Six Siege". Ich wünschte, es würden mehr Spieler diese Leidenschaft teilen. Doch gleichzeitig kann ich einem Entwickler diesen Erfolg nicht guten Gewissens vergönnen, wenn er Kunden mehr als einen Monat nach dem Marktstart noch immer in so einem Scherbenhaufen spielen lässt.

Großzügigkeit statt Geiz bitte

Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Mit dem heutigen 13. Jänner folgen einige lange erwartete Bugfixes für die PC- und Konsolenversion, wobei viele der Fehler auf PS4 und XBOX erst mit einem Update eine Woche später behoben werden sollen. Sieben Wochen (!) nach der Veröffentlichung des Spiels.

Das ändert allerdings nichts daran, dass nach dem Katastrophenstart von Ubisofts eigenem "Assassin's Creed Unity" 2014 und EAs Debüt-Debakel um "Battlefield 4" wieder ein Major-Release völlig vernachlässigt wurde. Und es wird auch nach diesem lang ersehnten Update (sofern es tatsächlich die gröbsten Probleme behebt ...) noch viel gut zu machen geben. Wo bleibt etwa die Entschädigung für all jene, die aufgrund von Serverfehlern ihre kostenpflichtigen und zeitlich begrenzten Boosterpacks nicht ausnutzen konnten? Was ist mit all den Spielfortschritten, die dem fehlerhaften Netzwerkcode zum Opfer gefallen sind?

Und nachdem hunderttausende Spieler in guter Hoffnung dazu bereit waren, 60 Euro oder mehr für ein unfertiges und inhaltlich überteuertes Stück Unterhaltung auszugeben, kommt nach den tausenden Beschwerden in Ubisofts Foren und in Social-Media-Netzwerken hoffentlich auch die Einsicht, dass es wieder an der Zeit wäre, sich für die Fans nicht in Geiz, sondern Großzügigkeit zu üben. "Rainbow Six Siege" hat das Zeug zum Fixstern im dichten Dschungel der Multiplayer-Shooter und nicht nur zum schnellen Quartalsgewinn. Daraus wird allerdings nichts, wenn der Hersteller seinen potenziellen Erfolgsweg weiterhin selbst sabotiert. (Zsolt Wilhelm, 13.1.2016)