"Ich habe das Drehbuch zu einer Zeit geschrieben, in der ich selbst sehr deprimiert und zornig war", sagt Quentin Tarantino über seinen neuen Film "The Hateful Eight".

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STANDARD: Sie wollten auf das moralische Zentrum im Film verzichten: Was bewirkt das denn, wenn man alle Figuren auf ihre nackten Instinkte herunterbricht?

Tarantino: Zunächst gefiel mir diese Idee, einen Film mit lauter Schurken zu drehen. Ohne Helden gibt es niemanden, der wie ein Wegweiser funktioniert, der dem Zuschauer sagt, wohin er seinen Blick richten soll. Das heißt, man kann niemandem und nichts vertrauen; man kann alles, was gesagt wird, glauben oder nicht – es herrscht freie Wahl! Der Film liefert beständig neue Informationen und fragt dich, wem du folgen willst. Meine Hoffnung ist, dass alle diese Entscheidungen, die man trifft, sich dann am Ende zusammenfügen – allerdings so, dass jeder ein wenig einen anderen Film gesehen hat. Nur ein Beispiel: Ob man glaubt, dass Chris Mannix der Sheriff ist oder nicht, führt zu einer jeweils ganz anderen Sicht des Schlusses.

STANDARD: Schonungslos bleibt der Film auf jeden Fall. Woher kam die Idee, dass der Hass so hartnäckig weiterwirkt?

Tarantino: Der Hass ist ein Nebenprodukt des Bürgerkriegs. Der Film könnte auch als postapokalyptisches Drama funktionieren: Statt im australischen Busch spielt er in dieser dunklen, gefrorenen Welt. Die Figuren sind die Überlebenden einer Apokalypse. Die Gesellschaft, die sie kannten, hat sich in Staub verwandelt. Nun sind sie alle in dieser Hütte und beschuldigen sich gegenseitig. Die Apokalypse ist der Bürgerkrieg, und als solche haben ihn wohl viele Amerikaner auch empfunden – und es benötigt Zeit, ja, ganze Generationen, um diese Traumata zu verdauen. Ich habe das Drehbuch zu einer Zeit geschrieben, in der ich selbst sehr deprimiert und zornig war. Wie bin ich mit meinem Hass umgegangen? Ich habe ihn in ein Drehbuch gesteckt.

STANDARD:Woher kam der Hass?

Tarantino: Darüber möchte ich nicht reden! (lacht)

STANDARD: Jennifer Jason Leigh ist wunderbar verschlagen und böse als Daisy. Wie stoßen Sie auf Ihre Darstellerinnen und Darsteller?

Tarantino: Daisy Domergue hat nicht zuletzt in der letzten Szene einiges durchzustehen. Irgendjemanden, der einfach in ein Büro kommt, zu bitten, das alles zu tun, wäre natürlich lächerlich. Jennifer kam zum Casting – ich suchte nach einem Zeichen, einem Wink, ob sie es sein könnte. Und sie gab ihn mir, das war schon klar, als ich bei den anderen etwas vermisste. Ich organisierte also mein eigenes kleines Jennifer-Jason-Leigh-Festival, sah Georgia, eXistenZ und Last Exit Brooklyn wieder und Filme wie The Men's Club, den ich nie zuvor gesehen hatte. All die Filme handelten von ihrer Darstellung, sie waren um sie herum arrangiert. Genau das brauchte ich für Daisy. Und trotz der hässlichen Dinge, die sie sagt und tut, musste Daisy sie selbst bleiben. Es darf kein Urteil über sie geben. Wenn man Daisy beurteilt, ist sie tot. Jennifer urteilt nie.

STANDARD: Woher schöpfen Sie Ihre Kreativität – haben Sie die Themen immer schon im Kopf?

Tarantino: Um mein nächstes Projekt zu finden, darf ich nicht hartnäckig danach suchen. Meistens kehre ich zum Schreiben über andere Filme zurück, und diese Auseinandersetzungen führen mich dann über den einen oder anderen Weg zum nächsten Szenario. Django Unchained entstand, als ich ein Buch über Sergio Corbucci schrieb. Sein Blick auf den Westen war anders, mitleidlos, gewaltvoll – solche Gedanken haben mich dann zu einem eigenen Film inspiriert. Es ist viel schwieriger für mich, über Filme zu schreiben. Wenn ich dann nach einigen Monaten mit einem Drehbuch beginne, ist es im Unterschied dazu unglaublich einfach, befreiend.

STANDARD: Vermissen Sie manchmal die Zeit im Videoshop, als man noch nicht so viel von Ihnen erwartet hat?

Tarantino: Ich mag es ja, dass die Leute viel von mir viel erwarten. Bei einer soliden Filmografie darf es kein schwaches Glied in der Kette geben. Ich war damals zwar auch nicht unbekannt, ich war ja der Typ aus der Videothek! Aber ich hatte nicht mehr als meine Meinungen. Selbst wenn ich einen Podcast gemacht hätte, wär ich nur Quentin Tarantino gewesen, der Meinungen äußert. Damals hätte mir das gefallen, weil ich wohl gedacht hätte, jetzt respektieren die Leute, was ich zu sagen habe. Aber sie hätten auch sagen können: Was weiß der schon! Wenn ich jetzt einen Film lobe, sagt hingegen jeder: "Oh, wow, er mag diesen Film." (Dominik Kamalzadeh, 27.1.2016)