Eine doppelte Auszeichnung ist für die Produzenten unterschiedlichster Waren nicht wirklich kompliziert.

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Mit den Ausnahmen USA, Myanmar und Liberia haben alle Staaten ihr Einheitensystem vereinheitlicht.

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Die Amerikaner halten es lieber mit Meilen, Fuß und Zoll, die dem Rest der Welt exotisch und verwirrend vorkommen.

Quellen: Marciano/Bloomsbury, Wikipedia

So viel gäbe es zu vereinheitlichen zwischen der EU und den USA! Allein, es wird nicht gemacht: Milliliter und Unzen, Meter und Meilen – die wechselvolle Geschichte zwischen den beiden rivalisierenden Maßsystemen in den USA und dem Rest der Welt ist noch nicht zu Ende geschrieben. Auch nicht mit dem vielkritisierten Freihandelsabkommen TTIP.

In den weitgehend geheimen Verhandlungen ist ein Aufgehen des US-Maßsystems in das metrische System kein Thema, bestätigt Johann Sollgruber von der Österreich-Vertretung in der EU. Warum das so ist, ist zwar historisch erklärbar, logisch ist es nicht.

Für viele Amerikaner ist das weltweit fast überall gültige metrische System mit seinen Kilometern und Metern, Tonnen und Kilogramm, Litern und Millilitern ein Graus. Sie halten es lieber mit Meilen, Fuß und Zoll. Mit Unzen, Quarts und vielen anderen Maßeinheiten, die dem Rest der Welt exotisch und verwirrend vorkommen: Eine Meile hat 5280 Fuß, wohingegen ein Kilometer tausend Meter hat. Ein Meter hat hundert Zentimeter, wohingegen ein Fuß (Foot) zwölf Zoll (Inches) hat. Und ein Inch wiederum misst 2,54 Zentimeter. Das ist nichts für kopfrechenschwache Europäer, die kein Gefühl für das US-Maßsystem entwickelt haben.

"Teufels Werk"

Konservativ angehauchte Amerikaner, von denen es immer wieder besonders lautstarke Vertreter gibt, bezeichnen das metrische System, das aus Europa stammt, gerne als "Teufels Werk", als ein System, das auf Revolutionen, Kommunismus, Kriegen und anderen verabscheuenswürdigen politischen Ereignissen beruht.

Das stimmt irgendwie. Erfunden und umgesetzt wurde das metrische System von den Vertretern der Französischen Revolution und wurde dann häufig von anderen Staaten übernommen, wenn diese einen Krieg verloren hatten.

Das metrische Einheitssystem wurde 1793 in Paris eingeführt. Dabei wurden frühere Systeme in Frankreich, die weit in die Vergangenheit zurückreichten, quasi handstreichartig abgeschafft. Im 19. Jahrhundert folgten viele europäische Staaten. Paris blieb bis heute das Zentrum der Standardisierung. Seit gut 125 Jahren wird das Urkilogramm in einem Tresor in Paris gehütet.

1871 unterzeichnete Österreich zusammen mit 17 anderen Staaten die "Internationale Meterkonvention". Schon früher unter Maria Theresia waren alte Maße und Gewichte vereinheitlicht, das heißt "metrifiziert" worden. So wurde das Klafter mit 1,89648384 Metern festgelegt und die alte österreichische Postmeile mit 7,585936 Kilometern definiert.

Für einen florierenden Handel war diese Normierung enorm wichtig. Auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches existierten bis 1870 etwa 300 unterschiedliche Flächenmaße, heißt es im Internetlexikon Wikipedia. Missverständnisse und Fehler beim Umgang mit Einheiten konnten da leicht passieren.

Immer prallten bei einer Umstellung historisch Gewohntes und eine Zukunftshoffnung aufeinander. Deshalb: Dass die USA – nur mehr zusammen mit Myanmar und Liberia – bis heute nicht auf das metrische System umgestellt haben, erstaunt und widerspricht dem eigentlich so vorwärtsgewandten, positivistischen amerikanischen Denken.

Es dürfte so sein, wie der US-Autor John Bemelmans Marciano im Buch "Whatever Happened to the Metric System" (2014) resümiert: US-Amerikaner steigen nicht gerne später zu, weil sie dann auf dem Rücksitz mitfahren müssen.

Einige Male wurde in den USA ein Anlauf genommen, das metrische System einzuführen. Der Erste, der dies umsetzen wollte, war der amerikanische Gründervater Thomas Jefferson. Allein, immer kam etwas dazwischen, immer fanden sich prominente, wortgewandte Gegner. Der Schriftsteller Thomas Wolfe bezeichnete Kilo und Meter als einen Kolonialismus der Europäer.

Pint bleibt Pint

Ablehnung bekamen die Festlandeuropäer auch bei den Briten zu spüren, wo das angloamerikanische Maßsystem seinen Ursprung hat. Eigentlich hätten die Briten Meilenangaben auf Straßenschildern EU-konform in Kilometer umwandeln müssen, widersetzten sich aber stillschweigend. Besänftigt wurden sie dadurch, dass ihnen erlaubt wurde, das typische britische Flüssigkeitsmaß Pint (0,568 Liter) bei Bier beibehalten zu dürfen. Das ist wichtig für die nationale Identität.

Es ist nicht immer Trotz oder Justamentstandpunkt, wenn eine Maßeinheit beim Konsumenten nicht ankommt. So klappte die vor vielen Jahren in der EU verordnete Umstellung von Kilokalorien auf Joule nie, dazu ist die Joule einfach zu unhandlich: 350 Kalorien sind 1465 Joule, das merkt sich ja keiner. Oder ein anderes Beispiel: Dass Bildschirmgrößen in Zoll angegeben sind (woran sich niemand in der Welt bei einem Kauf stößt) ist auf die Dominanz der USA im Computerbereich zurückzuführen.

In der Regel bezieht das metrische System aus der Naturwissenschaft Eleganz und Selbstverständnis. So war beispielsweise der Meter, auf den sich die Pariser Revolutionäre festlegten, der zehnmillionste Teil des Abstandes vom Pol zum Äquator. Heute wird der Meter als jene Entfernung definiert, die das Licht in einer 299.792.458stel-Sekunde zurücklegt. Das Pariser Urmeter, von dem einige Kopien hergestellt wurden, die an die Partnerländer zwecks Maßgabe weitergereicht wurden, wird in Paris aufbewahrt.

Von mathematischer Schönheit ist die Temperatureinheit Celsius, die ebenfalls zum metrischen System gehört. Bei null Grad Celsius gefriert Wasser, bei 100 Grad siedet es. Beim US-amerikanischen Fahrenheit entsprechen gewöhnungsbedürftige 32 Grad der Celsius-Nullmarke.

Nun ist es egal, ob die Hausfrau die Zutaten für den Kuchen auf der Küchenwaage in Gramm genau abwiegt – oder ob sie Spoons und Cups voll Mehl und Zucker abzählt. Auch ist eine doppelte Auszeichnung für die Produzenten unterschiedlichster Waren nicht wirklich kompliziert. In unserer computerisierten, digitalisierten Welt gibt es tausende Webseiten und Apps, mit denen sich jedes Maß schnell und einfach umrechnen lässt. Dennoch: Wenn dies kein Handelshemmnis ist, das sich im Zuge des Freihandelsabkommens TTIP abschaffen ließe, was dann?

Einige Branchen in den USA haben stillschweigend umgestellt oder fahren doppelt: etwa die Informationstechnologie mit ihrer Digitalisierung. In öffentliche Ausschreibungen wird bei technischen Unterlagen immer wieder mal auf Meter, Liter oder andere metrische Maße Wert gelegt.

Nasa geht auf Nummer sicher

Auch die Nasa verlässt sich darauf, nachdem es 1999 zum Absturz der Marssonde Climate Orbiter kam. "Dieses Land hat das metrische System immer noch nicht zu hundert Prozent übernommen", erklärte Chris Jones vom Nasa-Labor JPL damals laut "Spiegel". Der Erbauer des Satelliten, die Firma Lockheed Martin Astronautics, hatte sich bei der Übertragung von Flugdaten vom amerikanischen ins metrische System geirrt. (Johanna Ruzicka, 31.1.2016)