Die Fauna des Ediacariums bestand großteils aus fremdartigen Kreaturen, die mit den heutigen Tierstämmen kaum etwas gemein haben. Ihr Verschwinden und die nachfolgende kambrische Artenexplosion könnten mit dramatischen Unregelmäßigkeiten des Erdmagnetfelds zu tun haben.

Illu.: Ryan Somma

Gainesville – Im Ediacarium vor rund 600 Millionen Jahren liegt der Ursprung mehrzelliger Lebewesen. Was damals die Meere bevölkerte, hatte nur wenig mit der Fauna nachfolgender Erdzeitalter gemein: Die Ozeanböden waren mit dicken Bakterienmatten bedeckt, die von seltsam geformten Lebewesen ohne feste Schalen abgegrast wurden. Räuber im heutigen Sinn gab es noch nicht. Vor 550 Millionen Jahren beendete ein gewaltiges Massenaussterben die Herrschaft dieser fremdartigen Kreaturen. Was dann folgte, kennt man heute als kambrische Artenexplosion: Innerhalb von 5 bis 10 Millionen Jahren entwickelten sich beinahe alle heute noch existierenden Tierstämme.

Was die Ursache für die kambrische Explosion war, ist seit langen Gegenstand wissenschaftlicher Spekulationen. Manche halten einen rapiden Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre für den Grund. Andere glauben, die Entwicklung von räuberischen Spezies hätte diesen evolutionären Höhenflug ausgelöst. Auch das Auseinanderbrechen des Urkontinents Rodinia könnte eine Rolle gespielt haben. Einige Paläotologen zweifeln sogar daran, dass die Artenexplosion tatsächlich stattgefunden hat. Ihrer Argumentation zufolge ist der plötzliche Fossilienreichtum dieser Ära allein der Entwicklung von harten Schutzpanzern zuzuschreiben, die sich besser erhalten als die weichen Körper der Ediacara-Fauna.

Polsprünge in schneller Folge

Forscher um Joseph Meert von der University of Florida in Gainesville präsentierten nun eine neue, spektakuläre Hypothese: Der dramatische Umbruch in der Artenvielfalt stehe in Zusammenhang mit einer ungewöhnlich schnellen Folge von Umpolungen des Erdmagnetfelds. Während sich in geologisch jüngerer Zeit das geomagnetische Feld im Schnitt alle 100.000 bis 1 Million Jahre umkehrte, sind Polsprünge während des Ediacarium wesentlich häufiger aufgetreten, glauben die Forscher.

Belege dafür fanden sie in rund 550 Millionen Jahre altem Sedimentgestein im Ural im westlichen Russland. Damals dürfte sich das Erdmagnetfeld bis zu 20 Mal schneller umgekehrt haben, legen die Untersuchungen nahe – und das könnte für Lebewesen der damaligen Ära eine fatale Kettenreaktion ausgelöst haben: Durch die wiederkehrende Schwächung des geomagnetischen Schutzschildes drangen hochenergetische Partikel aus dem All in die oberen Atmosphärenschichten ein und zerstörten einen großen Teil der Ozonschicht. Das wiederum führte dazu, dass mindesten doppelt so viel UV-Strahlung der Sonne den Boden erreichte als normalerweise, wie die Wissenschafter im Fachmagazin "Gondwana Research" vorrechnen.

Flucht vor der UV-Strahlung

"Organismen, die die Fähigkeit hatten, der schädlichen UV-Strahlung zu entkommen, waren dabei klar im Vorteil", meint Meert. Für den Geologen wäre dies eine plausible Erklärung für die dramatischen evolutionären Veränderungen am Übergang zwischen dem späten Ediacarium und dem frühen Kambrium. Mobile Lebewesen mit harten, schützenden Schalen, die sich während des Tages eingraben oder in größere Meerestiefen zurückziehen können, hätten demnach bedeutend bessere Chancen und wären langfristig erfolgreicher gegenüber der kaum beweglichen Ediacara-Fauna.

In der Folge ebnete die neue Körperausstattung den Weg zu bisher unbesiedelten Lebensräumen. Harte Schalen ermöglichte es einigen Arten, auch in die Gezeitenzone vorzudringen, wo ihnen die Brandung aufgrund ihrer Rüstung nichts mehr anhaben konnte. Darüberhinaus könnte das Aufwühlen der Bakterienmatten am Meeresgrund durch schutzsuchende Organismen mittelfristig auch anderen Lebenwesen den Zugang zu tieferen Bodenschichten ermöglicht haben. (tberg, 22.2.2016)