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Immer mehr Nutzer werden mit "Ghosting" konfrontiert – einer bequemen Ausflucht aus heiklen Trennungsgesprächen

Foto: dapd/Vetter

Man trifft sich über eine Dating-App wie Tinder; verbringt eine gute Zeit, landet vielleicht im Bett und merkt dann nach ein paar Rendezvous, dass der andere langfristig doch nicht zu einem passt. Was tun? Immer mehr (vor allem junge) Menschen reagieren mit "Ghosting": So bezeichnet man das für den anderen unerwartete und unangekündigte Verschwinden aus den digitalen wie realen Kommunikationskanälen. Dabei handelt es sich zwar um kein komplett neues Phänomen, doch neue Technologien und damit einhergehende Kommunikationsformen erleichtern dieses Verhalten enorm.

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Vom Festnetztelefon, das keine Rufnummern erkennt, führte ein weiter Weg zur Whatsapp- oder Snapchat-Kommunikation. Die neuen Kanäle erlauben es Nutzern oft, bestimmte Personen auszublenden oder im Gegenzug eigene Nachrichten vor ihnen zu verbergen. Das ist oftmals als Schutz vor Stalkern gedacht, eignet sich aber perfekt, um eine Person zu "ghosten". Zuverlässige Studien fehlen noch, eine Umfrage der "Elle" legt jedoch nahe, dass rund jeder zweite junge US-Bürger bereits "verschwunden" ist – und für andere selbst zum Geist wurde.

Angst vor Drama

Die Motive dahinter sind vielschichtig. Oftmals heißt es, dass man mit "Ghosting" verletzende Aussprachen verhindern will. Diese werden durch Dating-Apps wie Tinder verkompliziert. Ausreden, dass man momentan "keine Dates" sucht oder "keine Zeit" habe, werden ja augenscheinlich durch den Online-Status in Dating-Netzwerken widerlegt.

Gleichzeitig gibt es weniger Rückkoppelung, da durch Tinder und Co plötzlich komplett fremde Personen ins eigene Leben gespült werden – im Unterschied zu prädigitalen Zeiten, als Liebschaften oft Bekannte von Freunden, Nachbarn oder Arbeitskollegen waren. Das von vielen als asoziale empfundene "Ghosting" fällt also nicht auf das persönliche Lebensumfeld des Handelnden zurück.

Auch langjährige Partner

Oftmals kommt die Strategie in jener Phase zwischen erstem Kennenlernen und fester Beziehung zum Einsatz. Allerdings gibte es durchaus auch radikalere Fälle. Die Vogue berichtet etwa von Partnerschaften, die schon jahrelang bestanden und dann durch "Ghosting" aufgelöst wurden. Außerdem ist die Verhaltensweise nicht auf Romanzen beschränkt. Im "Cosmopolitan" schildert eine Kolumnistin, wie sie von ihrer besten Freundin plötzlich ignoriert wurde – und nie mehr mit ihr Kontakt hatte.

Schädliches Verhalten

Psychologen halten "Ghosting" für ein sehr schädliches Verhalten. Bei einer Trennung können Betroffene einen Schlussstrich ziehen und nach einigen miserablen Tagen neu starten. Das "Ghosting" führt jedoch zu Zweifeln, ob die Person vielleicht einfach nur Stress habe oder gar deren Mobiltelefon kaputt sei. Außerdem gibt es, selbst wenn man das "Ghosting" überreißt, keine Möglichkeit, darauf zu reagieren. Darunter leide laut Psychology Today das Selbstwertgefühl der Betroffenen massiv.

"Verstehen, was Sache ist"

Allerdings gibt es auch Stimmen, die zu einer Akzeptanz dieser Verhaltensweise aufrufen. Der Autor Greg Behrendt, der Sachbücher zum Liebesverhalten der US-Bevölkerung publiziert hatte, meint etwa, dass man "nicht zurückschreiben" nicht groß analysieren müsse. Zur Huffington Post sagte er: "Wenn dich jemand nicht anschreibt und du siehst, er hat deine Nachricht gelesen, dann solltest du verstehen, was Sache ist."

Derselben Meinung ist auch Slate-Autorin Amanda Hess: "Was moderne digitale Beziehungen angeht, sagt der Rhythmus der Konversation fast so viel wie der Inhalt selbst aus." Vor allem junge Nutzer seien fast immer in der Lage, schnell zu antworten. Wenn man alle Chats selbst einleiten müsse, dann "steht die andere Person wohl nicht besonders auf dich" – und wenn sie gar nicht zurückschreibt, "dann mag sie dich überhaupt nicht", so Hess. (fsc, 28.2.2016)