Traumatisierung im Kindesalter kann lebenslange Folgen haben. Mit psychotherapeutischer Intervention lassen sich schreckliche Erfahrungen besser verarbeiten. Ziel: nicht im Leid steckenbleiben.

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"Das Trauma ist immer ein Zuviel", sagt der Wiener Psychoanalytiker Wilhelm Burian und meint eine "Überwältigung". Sie führt zu einem "inneren Abschalten" und Angst, die nicht mehr verdaut werden kann. Statt einer Kampf-Flucht-Reaktion passiert ein "Freezing", eine Art Betäubung. Das sei, so der Experte bei einer Tagung der Wiener Psychoanalytischen Akademie, bei Kindern nicht anders als bei Erwachsenen.

Das akute Trauma nach Vertreibung, Krieg oder Folter äußere sich durch Sprachlosigkeit und Ohnmachtsgefühle. Was folgt, sei aber "sehr unterschiedlich". Entscheidend dabei sei die prätraumatische Persönlichkeit oder "Resilienz". Damit ist die Widerstandsfähigkeit eines Menschen gemeint, seine Fähigkeit, Krisen im Leben zu bewältigen.

In der Folge des akuten Traumas innerhalb der ersten zwei bis vier Wochen entscheidet diese Resilienz mit darüber, ob sich eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), meist nach rund sechs Monaten, entwickelt. Bei einem Großteil der Menschen bildet sich – bei entsprechender Behandlung – das Trauma dann zurück, rund "15 Prozent chronifizieren".

Dies sei die Gruppe, die dann auffällig wird, also zum Beispiel jene Kinder, die in Folge einer Traumatisierung in der Schule dauerhaft stören oder nicht folgen können. Mitentscheidend dafür, ob es zu einem massiven Trauma kommt, ist auch die Dauer der traumatisierenden Situation.

"Es ist ein Unterschied, ob ich dem Krieg über Jahre ausgesetzt bin, und Kinder zum Beispiel immer wieder sehen, wie Verwandte erschossen werden, oder ob ich einer solchen Situation ein paar Wochen ausgesetzt bin", sagt Burian.

Hilfe vor Ort

Die Folgen sind langwierig. "Wir wissen aus der Holocaust-Forschung", so Burian, "dass bei einem massiven Trauma oft Jahre oder sogar Jahrzehnte zwischen dem KZ-Aufenthalt und dem Ausbruch der Symptome vergehen können. Je früher wir heute traumatisierten Kindern helfen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht zu einem dauerhaften Trauma, also der Störung der seelischen Struktur selbst, kommt. Die Gelder, die jetzt bereitgestellt werden, machen sich über Jahrzehnte bezahlt."

Zudem werde so der Möglichkeit der "transgenerationalen Übertragung" von Traumata, das heißt, die Eltern geben unbewusst ihre Traumata an die Kinder weiter, vorgebeugt.

Hilfe vor Ort in Katastrophengebieten leistet zum Beispiel die Kindernothilfe Österreich. "Wir helfen bei Naturkatastrophen, Taifun, Erdbeben, Tsunami – oder auch bei von Menschen gemachten Katastrophen wie Bürgerkrieg", erklärt Geschäftsführer Gottfried Mernyi. "Wir beginnen im Katastrophenfall immer mit sogenannten "child friendly spaces", also Kinderzentren, die oft mit einfachsten Mitteln, also Zelten, Tüchern, Matten, hergestellt werden können und den Kindern erst einmal Struktur geben."

Hier soll im absoluten Chaos wie etwa nach einem Erdbeben nach dem ersten Schock ein Ort geschaffen werden, an dem einfache Dinge wie Spiel, Bewegung, Ergotherapie möglich sind. "Oft werden die Kinder auch registriert, damit sie nicht Opfer von Menschenhandel werden", so Mernyi. "Es geht auch um eine Basisversorgung wie Hygienemaßnahmen und regelmäßiges Essen." Dabei arbeite die Kindernothilfe in 98 Projekten weltweit immer mit lokalen Trägern, da diese über das lokale Know-how, Sprachkenntnisse und kulturelles Verständnis verfügen.

Im Libanon ermöglicht die Kindernothilfe derzeit gemeinsam mit dem lokalen Projektpartner Amurt 800 syrischen Flüchtlingskindern den Schulbesuch, kommt für den Transport und Schulgeld auf. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Mernyi. Fünf Millionen Kinder, so schätzen die Vereinten Nationen, sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen, hunderttausende davon ins Nachbarland Libanon. Nicht alle davon sind aufgrund ihrer Traumatisierung überhaupt in der Lage, eine Schule zu besuchen.

Sie leiden unter akuten körperlichen Symptomen wie Schlaflosigkeit, Albträumen oder Sprachlosigkeit. "Manche Kinder mussten erleben, wie neben ihnen ein Angehöriger von einer Bombe zerfetzt wurde", erklärt Mernyi. Rund 400 Kinder sind deswegen derzeit in psychosozialer Betreuung, werden langsam ins Leben zurückgeführt und auf die Schule vorbereitet.

"Es ist schwierig, qualifiziertes Personal für schwer traumatisierte Kinder zu finden. In manchen Ländern verfügen wir über ein gutes Netzwerk, wie etwa auf den Philippinen oder eben im Libanon, in anderen müssen wir es erst ausbauen."

Bereits seit 1995 bietet der Verein Hemayat Beratung für Opfer von Krieg und Folter an, das besondere: in vielen verschiedenen Sprachen, auf Tschetschenisch, Türkisch, Farsi, Chinesisch etc. "Wir zählen in Ordnern", sagt Geschäftsführerin Cecilia Heiss, auf die Wartezeiten auf einen Betreuungsplatz angesprochen. Gerade bei Kindern sei es aber wichtig, schnell reagieren zu können. "Wir haben es mit schwer traumatisierten Kindern zu tun, die Symptome wie Mutismus oder Aggression zeigen, die ziehen wir vor, die dürfen wir nicht warten lassen."

Lange Wartelisten

122 Minderjährige hat Hemayat 2015 betreut, 33 sind es derzeit, für 51 weitere soll demnächst eine neue Kunsttherapiegruppe eröffnet werden. "Wir versuchen, die Therapiestunden möglichst flexibel an unser Budget anzupassen", so Heiss. Rund die Hälfte davon sei durch Spenden finanziert, der Großteil der anderen Hälfte aus EU-Geldern.

"Wir haben nach wie vor keine Kassenverträge", sagt sie. Trotzdem würden viele verschiedene Therapiearten angeboten: "Das Team ist riesig", sagt sie, "weil wir so schlecht zahlen. Die meisten haben einen Hauptjob, von dem sie leben, und arbeiten bei uns drei bis 20 Stunden in der Woche."

"Eltern, die schwere psychische Verletzungen mit existenzbedrohenden Traumatisierungen überlebt haben, sind sehr oft nicht in der Lage, ihren Kindern die nötige emotionelle Zuwendung zu schenken", erklärt sie. "Die Kinder erleben die Angst, die Nervosität, die Depressivität und die Schlafstörungen der Eltern mit und übernehmen oft Rollen in der Familie, die sie eigentlich überfordern – wie Trösten, Beschützen der Eltern oder Dolmetschen bei Amtswegen." Letzteres sei ein bisschen besser geworden, weil zunehmend Videodolmetschen angeboten werde.

Es sei "ein Wahnsinn", dass die Asylverfahren so lange dauern, denn: "So wird eine Situation der Hilflosigkeit prolongiert. Das macht die Verarbeitung von Traumata noch schwieriger. Dabei ist es erstaunlich, was gerade Kinder wegstecken können – wenn die Bedingungen stimmen." (Tanja Paar, CURE, 3.5.2016)