John W. Campbell: "Das Ding aus einer anderen Welt" / Shane McKenzie: "Parasite Deep"
Broschiert, 336 Seiten, € 14,40, Festa 2016 (Originale: "Who Goes There?", 1938, bzw. "Parasite Deep", 2014)
Berühmte erste Worte: Es stank. So also beginnt die legendäre Novelle "Who Goes There?" des nicht minder legendären John W. Campbell – des Mannes, der als Autor und viel mehr noch als Herausgeber von "Astounding Science Fiction" (später "Analog") nicht weniger als der Schöpfer des Golden Age of Science Fiction war. In seinem Angedenken wird noch heute zusammen mit den Hugos alljährlich der John W. Campbell Award für den besten neuen Autor im Bereich SF/Fantasy vergeben.
"Who Goes There?" dürften die meisten von John Carpenters Filmversion "Das Ding aus einer anderen Welt" aus dem Jahr 1982 kennen. Und das Prequel (das eher ein Remake war) "The Thing" aus dem Jahr 2011 hat der eine oder andere wohl auch gesehen. Eine erste Verfilmung der Novelle gab's übrigens schon 1951 – allerdings musste in der das außerirdische Wesen, das die Crew einer Polarstation dezimiert, auf seine eigentlich zentrale Gabe des Gestaltwandelns verzichten. Und abgesehen von solchen direkten Bearbeitungen findet man Plot und Grundmotiv des zwischen SF und Horror angesiedelten Genreklassikers in zahllosen weiteren Werken wieder – denken wir nur an "Alien".
Polarexpress
Spannend daher die Frage, wie sich das 1938 veröffentlichte Ursprungswerk zu all diesen Abkömmlingen verhält. Was darin am meisten ins Auge fällt, ist das Tempo bzw. die Ökonomie der Erzählung. Campbell machte nicht viele Umstände: Zu Beginn liegt das Ding bereits, vor sich hintropfend und hässlich wie Cthulhus versammelte Sünden, auf dem Seziertisch, während der stellvertretende Leiter der Antarktisstation, McReady, in knapper Form berichtet, wie es im Eis gefunden und dabei sein Raumschiff versehentlich zerstört wurde.
In Windeseile erfolgt auch die 180-Grad-Wende des Biologen Blair: Eben noch hat er eine Obduktion des Aliens für unbedenklich erklärt – gleich darauf sabotiert er schon die Flugzeuge der Station, damit sie keiner verlassen und die außerirdische Infektion in die Welt hinaustragen kann. Und wenn dann die im Carpenter-Film denkwürdigen Bluttest-Szenen kommen, dann laufen die hier so schnell ab, dass man es fast überliest, wenn mal wieder ein Crewmitglied durchgefallen (= als außerirdisches Imitat entlarvt) UND auch gleich abgefackelt worden ist. Wusch, zack, kreisch, nächster bitte.
The Look of Love
Insgesamt kann man sagen, dass sich die fast schon 80 Jahre alte Erzählung bemerkenswert gut gehalten hat – das ist es, was einen Klassiker ausmacht. Was am ehesten an die Entstehungszeit erinnert, ist der fließende Übergang von SF- zu Gruselelementen. Nicht nur, dass das Ding den Stationsmitgliedern durch telepathische Beeinflussung Albträume beschert wie ein böser Geist. Süß ist auch, dass sich zwar alle einig sind, dass es sich um einen völlig fremdartigen Organismus handelt – dessen eingefrorenen Gesichtsausdruck glauben sie aber trotzdem lesen zu können:
Nichts, was unser Planet je hervorgebracht hat, besitzt diese unbeschreibliche Ansammlung vernichtenden Zorns, wie sie das Ding im Gesicht entfesselt hat, als es sich vor 20 Millionen Jahren in dieser zugefrorenen Einöde umblickte. Wütend? Aber so was von wütend – schnaubend und schäumend! Solche gefühlsbeladenen Assoziationen sind eher Lovecraft als Asimov; obwohl Campbell als Herausgeber großen Wert auf eine Hard-SF-Linie legte, würde ich diese Novelle daher nach heutigen Maßstäben eher dem Horror als der SF zuordnen.
Ekelhafter geht immer
Den Wandel der Zeit illustriert wunderbar der Roman "Parasite Deep" des texanischen Horror-Autors Shane McKenzie, den der Festa-Verlag mit "Das Ding aus einer anderen Welt" im fast schon vergessenen Doubleheader-Format herausgebracht hat (also mit zwei "Vorderseiten"; will man die zweite Erzählung lesen, muss man das Buch umdrehen). McKenzies Hauptfiguren sind nicht wie bei Campbell Männer der Tat, sondern Teenager aus dysfunktionalen Familien. Und mit Umgangsformen wie Larry Clarks "Kids" ("Ich finde, die Lady sah gar nicht mal so schlecht aus. Ich scheiß drauf, dass ihre Mösenlappen bis zum Boden hingen, ich würde gerne daran herumkauen.").
Da hätten wir die beiden Freunde Ben und Gentry, die von Bens Onkel Pete zu einer Fischfangfahrt im Golf von Mexiko eingeladen wurden. Mit dabei sind aber leider auch Bens Meth-süchtiger und schwer aggressiver Bruder Clyde und dessen Freundin Emma, die von ihm geschlagen und betrogen wird. Und noch zwei Kumpels, die beiden dauerbekifften Dumpfbacken Manuel und Cobb. Zwischen den Figuren schwelt so viel Hass und Frust, dass sie als menschliche Mini-Hölle aufs Meer hinaustuckern.
Der alte Mann und das Meer
Was sie leider nicht ahnen, ist, dass der liebe Onkel Pete seine ganz eigenen irren Pläne verfolgt. Wir wissen es schon aus dem Prolog, in dem McKenzie Vollgas gibt: Pete hat gerade erfahren, dass sein Bruder gestorben und sein Lebenstraum endgültig geplatzt ist, steht völlig neben sich und fährt mit seinem kleinen Sohn aufs Meer hinaus. Dort muss er miterleben, wie der Bub von einem Orca zerfetzt wird, den gleich darauf wiederum ein Hai attackiert – beide Tiere sind mit seepockenähnlichen Parasiten bedeckt, die sie offenbar zu zombieartigen Monstern gemacht haben. Pete kehrt (mit den Beinen seines Sohnes) nach Hause zurück ... und bringt seine Frau, die er ohnehin nie leiden konnte, auf grausamste Weise um. Dieses Anfangskapitel allein wäre Stoff genug für einen Roman.
Der Prolog ließ auch noch die Möglichkeit offen, dass "Parasite Deep" auf psychologischen Horror setzen könnte. Danach zeigt sich aber rasch, dass Petes fortschreitender Wahnsinn nicht mehr als ein typisches Horror-Motiv ist: Der eine, der sich – warum auch immer – freiwillig zum Agenten des Bösen macht. In diesem Fall wären das die allesinfizierenden und -fressenden Parasiten aus dem Meer. Die nebenbei bemerkt – ebenfalls horrortypisch – eine Metabolismusrate wie Flash auf Speed haben müssen.
Lieber lesen als sehen!
Ein bisschen erinnert die Attacke der gemischten Meeresfauna zwangsläufig an Schätzings "Schwarm", ein näherer Verwandter scheint mir aber der unvergessliche Zombie-Wal aus Brian Keenes "Totes Meer" zu sein. "Parasite Deep" steht ganz in der Tradition klassischen Critter Horrors, die mindestens von den Riesenkrabben in Guy N. Smiths "Crab"-Reihe bis zu den giftigen Ameisen in Jeff Strands "Mandibles" reicht. Heute wird diese schön schundige Erzähltradition eher im Fernsehen fortgeführt – Sender wie Tele 5 bestreiten ja ihr halbes Hauptabendprogramm mit derartigen Szenarien. Bücher haben allerdings den Vorteil, dass einem der größte Makel solcher B- bis Z-Produktionen erspart bleibt: billige Spezialeffekte, die einem den Spaß am Grusel echt verleiden können.
Fazit: "Parasite Deep" bietet zwar keinerlei Überraschungen irgendwelcher Art, aber reichlich Spannung, Gore und Ekelmomente. Wobei die Meeresparasiten in Sachen Ekelfaktor wirklich nur knapp vor einigen der hier versammelten Teenager die Ziellinie überschreiten.