Reinigung von menschlichen Skelettresten am ÖAI.

Fotos: ÖAI/ÖAW/Niki Gail

Verbrannte Knochenreste.

Foto: ÖAI/ÖAW/Michaela Binder

Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien im Friedhof am St.-Bartholomäus-Platz, 17. Bezirk im Vorfeld der Platzerneuerung.

Foto: Eduard Pichler

Ausgrabungen eines Soldatenfriedhofs aus dem 17. Jahrhundert im Innenhof eines Gebäudes im Vorfeld des Baus eines Turnsaals.

Foto: Stadtarchäologie Wien

Wenn ich nicht antike Friedhöfe an exotischen Orten unsicher mache, ist mein Standort seit 2015 das Österreichische Archäologische Institut der Akademie der Wissenschaften in Wien (ÖAI). Ich bin für die wissenschaftliche Untersuchung von menschlichen Überresten aus Projekten des ÖAI zuständig, das sowohl in Österreich als auch im Ausland zahlreiche bedeutende archäologische Forschungsprojekte wie Ephesos durchführt. Hier bin ich derzeit auch mit der Einrichtung entsprechender Forschungsinfrastruktur beschäftigt. Mittlerweile haben wir auch eine Reinigungsanlage für menschliche Skelettreste einrichten können, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derzeit an der Säuberung einer Skelettserie mit über 400 Individuen arbeiten. Diese Woche konnte ich den Laborbereich auch erstmals zu Unterrichtszwecken nutzen.

Meine Anstellung am ÖAI ist auch insofern bemerkenswert, als es in Österreich bisher nicht üblich war, Anthropologen in archäologische Institutionen zu integrieren. Im deutschsprachigen Raum ist die naturwissenschaftlich ausgerichtete physische Anthropologie (ein Teilbereich der Biologie) traditionell sehr stark von der geisteswissenschaftlichen Archäologie getrennt – sowohl in der Forschung als auch in der universitären Ausbildung. Das steht in Gegensatz zur angloamerikanischen Tradition, in der der Überbegriff Anthropologie entsprechend dem "Vier-Felder-Zugang" die Forschungsbereiche der physischen Anthropologie, der Kultur- und Sozialanthropologie, der Archäologie und der Linguistik vereint.

Stärke und Hindernis

Beides hat Vor- und Nachteile. Die physische Anthropologie im Sinne einer Humanbiologie macht in ihren Grundlagen und Methoden zweifelsohne als naturwissenschaftliches Fach viel Sinn. Die solide Grundausbildung in Biologie und auch in den medizinischen Fächern ist eine der großen Stärken der Anthropologinnen und Anthropologen aus dem deutschsprachigen Raum. Im speziellen Anwendungsbereich der Erforschung menschlicher Überreste aus der Vergangenheit stellt diese starke Trennung jedoch oft ein Hindernis dar. Ergebnisse anthropologischer Auswertungen von archäologischen Skelettserien sind nur dann sinnvoll, wenn sie in einen soliden historischen, kulturellen und sozialen Kontext eingebettet werden. Das wird in der Fachwelt heute gerne als der "biokulturelle Zugang" bezeichnet. Die Interpretation der Daten, aber auch bereits die Entwicklung von Forschungsfragen sollte daher in Zusammenarbeit beider Seiten stattfinden.

Der Arbeitsalltag hier ist im Gegensatz zum sehr regelmäßigen Tagesablauf auf Grabungen relativ abwechslungsreich und reicht vom Schädel im Kochtopf über die Begutachtung möglicher menschlicher Reste auf laufenden Grabungen bis hin zu sehr viel Schreibarbeit vor dem Computer. Das umfasst im Moment in erster Linie die Vorbereitung von Projekten beziehungsweise Projektanträgen, aber auch Vorträge (es stehen Vortragsreisen nach England und China an). Die eigentliche Untersuchung von Knochen zählt zurzeit daher auch nicht zu meinen Hauptbeschäftigungen.

Auswertung von Bestattungen

Eines der Projekte, an denen ich derzeit arbeite, ist die Auswertung von Bestattungen aus dem römischen Gräberfeld von Virunum in Vorbereitung für einen Projektantrag. Den archäologischen Teil wird Christoph Hinker, ein Kollege am ÖAI, in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamts durchführen. Entsprechend dem römischen Grabritus wurden die Toten auf Scheiterhaufen verbrannt. Dabei blieb von den Körpern jedoch nicht nur Asche übrig, sondern auch auf den mineralischen Anteil reduzierte Knochenfragmente, die in der Fachsprache als "Leichenbrand" bezeichnet werden. Die Untersuchung der oft nur wenige Zentimeter großen Stücke gehört zu den schwierigeren Aufgaben in der Bioarchäologie.

Merkmale, die zur Rekonstruktion von Parametern wie Sterbealter, Geschlecht oder auch Krankheiten einer Person dienen, können im Leichenbrand erhalten sein, sind jedoch durch die hitzebedingte Schrumpfung und Verzerrung der Knochen oft schwer zu identifizieren. Hinzu kommt das Problem, dass selten die gesamten Reste eines Menschen erhalten sind. Das rührt aus der Tatsache, dass für die Bestattung die Knochenreste aus den Resten des Scheiterhaufens händisch ausgelesen werden mussten. Während das in manchen Gruppen sehr genau durchgeführt wurde, gibt es auch viele Fälle, wo es weniger sorgfältig geschah und somit nur eine ausgewählte Stichprobe bestattet wurde. Wenn sich unter diesen Resten keine charakteristischen Merkmale finden, kann nur mehr sehr wenig über die bestattete Person ausgesagt werden.

Die ethische Frage

Eine der schwierigsten Fragen in meinem Fachbereich, die immer wieder in unterschiedlichen Graden der Emotionalität gestellt beziehungsweise diskutiert wird, ist eine ethische: Dürfen menschliche Überreste ausgegraben, untersucht und in weiterer Folge in Museen und Forschungsinstituten gelagert oder sogar ausgestellt werden?

Wurzelnd in religiösen Vorstellungen sind gerade menschliche Überreste in sehr vielen Kulturen dieser Welt mit starken Emotionen und Tabus behaftet. Das mit einem rein rationalen, wissenschaftlichen Ansatz abzutun wäre kulturell hochgradig unsensibel, ignorant und meines Erachtens auch falsch. Daher ist diese Frage nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.

Exhumierung als Notwendigkeit

Auf Ebene der Ausgrabung muss gesagt werden, dass heute Friedhöfe zumeist im Rahmen von Rettungsgrabungen freigelegt werden und die Exhumierung daher eine Notwendigkeit ist. Gerade im innerstädtischen Bereich müssen Friedhöfe zunehmend Parkhäusern (zum Beispiel Märzpark/Schmelzer Friedhof, Schubertpark/Währinger Ortsfriedhof), U-Bahn-Bauten oder anderen baulichen Maßnahmen weichen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass diese Areale oft bereits kurz nach ihrer Auflösung profan genutzt wurden, Parks darauf angelegt wurden oder Häuser darauf errichtet wurden. Dabei werden immer wieder große Mengen an Gräbern und deren Inhalt freigelegt. In vielen Fällen werden die exhumierten Bestattungen innerhalb kurzer Zeit auf dem Zentralfriedhof wiederbestattet. In England ist die Wiederbestattung innerhalb von drei Jahren nach der Auffindung mittlerweile sogar gesetzlich vorgeschrieben und kann nur bei besonderem wissenschaftlichem Wert aufgeschoben oder sogar ausgesetzt werden.

Der wissenschaftliche Wert

Wo liegt nun der wissenschaftliche Wert von menschlichen Überresten? Abgesehen von der bereits mehrmals angesprochenen Information, die zur Rekonstruktion des Lebens in der Vergangenheit beitragen kann, rückt gerade durch moderne wissenschaftliche Methoden wie der DNA-Analyse die Bedeutung für die Erforschung der Evolution von Krankheiten in den Vordergrund. Menschliche Skelettreste können dazu beitragen zu verstehen, ob und wie sich Wirt und Krankheitserreger im Lauf der Geschichte verändert haben. Archäologische Daten zu Umweltbedingungen und Lebensweise könnten entsprechend Gründe für solche Veränderungen liefern.

Darüber hinaus ermöglichen menschliche Überreste Aussagen zum Erfolg oder Misserfolg von Bevölkerungsgruppen, sich langfristigen Prozessen wie klimatischen Veränderungen et cetera anzupassen und/oder Problemlösungen zu finden. Diese Langzeitperspektiven stehen der modernen Forschung im Gegenzug nicht zur Verfügung. Solche Studien können damit auch durchaus zukunftsrelevante Ergebnisse liefern. Daher ist es meiner Meinung nach durchaus gerechtfertigt, menschliche Überreste auszugraben, zu erforschen und auch in Sammlungen aufzubewahren. Dass das jedoch ein heikles Thema bleiben wird – und viele Leute anders darüber denken werden –, ist völlig klar. (Michaela Binder, 14.4.2016)