Lebensraum des Holzbockes: Dort sitzt er auf Halmen und wartet, dass Rehe, Katzen oder Menschen vorbeikommen. Er braucht ihr Blut.

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Eine improvisierte weiße Fahne, mehr braucht es nicht. Der Stoff wird langsam über die Vegetation geschleift und alle zehn Meter überprüft, erklärt Muriel Vayssier-Taussat. So fängt sie Zecken. "Wenn sie nach einem Wirt suchen, klettern sie einen Halm hoch und warten ab." Vielleicht kommt ein Reh vorbei, eine Katze oder ein Mensch. Die Blutsauger sind nicht wählerisch. Was sich bewegt, wird attackiert. Und sei es ein weißer Lappen.

Womöglich regt auch der Geruch die Parasiten an, meint Vayssier-Taussat. Die Zeckenjagd, die sie und ihre Kollegen in den französischen Ardennen durchführten, dient allerdings nicht der Verhaltensforschung. Muriel Vayssier-Taussat ist Veterinärwissenschafterin am Pariser Institut national de la recherche agronomique und ist Spezialistin für Zoonosen, also von Tieren übertragenen Krankheiten. Zecken wie der berüchtigte Holzbock (Ixodes ricinus) können bekanntlich die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME-Virus) und Borreliosebakterien weiterreichen. Doch das sind nicht die einzigen Erreger.

Blut für Wachstum

Die Entwicklung von Zecken verläuft in drei Stadien. Frisch aus dem Ei geschlüpfte Larven sind winzig und mit dem bloßen Auge kaum erkennbar, aber auch sie brauchen für ihr Wachstum bereits eine Blutmahlzeit. Nach der ersten Häutung durchlaufen die Krabbler das Nymphenstadium und müssen sich erneut am roten Lebenssaft laben. Die zweite und letzte Häutung läutet den Beginn der Geschlechtsreife ein. Weibchen zieht es nun zum dritten Mal zum Blutsaugen, da sie für die Entwicklung ihrer Eier reichlich Proteine benötigen. Die Männchen hingegen haben schon genug davon getrunken.

Da Holzbock und Co verschiedene Tierarten befallen, können sie sich im Lauf ihres Lebens auch mit unterschiedlichen Bakterien, Viren oder einzelligen Parasiten anstecken. Die Zeckenwerden dadurch zu potenziellen Sammelbecken für gefährliche Erreger. Das betrifft auch Menschen: Auch sie sind dadurch einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt.

Erste Hinweise auf die mögliche Häufigkeit solcher Koinfektionen liegen schon seit einigen Jahren vor. Eine 2008 veröffentlichte österreichische Studie wies in 32 Prozent der hierzulande gesammelten Zecken mindestens zwei verschiedene pathogene Bakterien- oder Protozoenspezies nach. Ixodes ricinus, so hieß es, sei so etwas wie eine "Büchse der Pandora".

Neues Verfahren

Eine Übertreibung ist das anscheinend nicht. Muriel Vayssier-Taussat und ihr Team haben während ihrer Ardennen-Exkursionen insgesamt 267 geschlechtsreife weibliche Holzböcke eingefangen und sie anschließend auf die Anwesenheit von Mikroorganismen hin untersucht. Die Forscher setzen hierzu ein neues, hocheffizientes Verfahren zur DNA-Analyse ein. Es ermöglicht die Erbguterkennung mehrerer Dutzend Spezies gleichzeitig. Das Ergebnis, welches vor kurzem im Fachblatt PLoS Neglected Tropical Diseases publiziert wurde, lässt erneut aufhorchen.

45 Prozent der gesammelten Zecken trug mindestens einen Typ Krankheitserreger in sich, und knapp die Hälfte davon war mehrfach infiziert. Manche der Blutsauger beherbergten bis zu fünf verschiedene pathogene Spezies in ihrem Körper. Am häufigsten, in insgesamt 21,7 Prozent der untersuchten Tiere, wurden Vertreter der Gattung Borrelia nachgewiesen – hauptsächlich Borrelia garinii. Relativ häufig zeigten sich auch Bartonella henselae (17,6 Prozent), Verursacher der "Katzenkratzkrankheit" und das mit dem Fleckfiebererreger verwandte Bakterium Rickettsia helvetica. Den gefährlichsten vom Holzbock übertragenen Keim, das FSME-Virus, trafen die Wissenschafter in den Ardennen nicht an. "FSME kommt in Frankreich kaum vor", erklärt Vayssier-Taussat.

Mehrfachinfektion als Crux

Die Experten stießen allerdings auf einige andere Arten wie Borrelia miyamotoi und Anaplasma phagocytophyllum. Erstere ruft bei Menschen eine Form von Rückfallfieber hervor, dessen Symptome an Malaria erinnern. Anaplasma-phagocytophyllum-Infektionen können ebenfalls hohes Fieber auslösen, begleitet von starken Schmerzen. Das Team wies in 1,4 Prozent derZecken auch den geheimnisvollen Candidatus Neoehrlichia mikurensis nach. Diese erst 2004 entdeckten Bakterien stehen im Verdacht, bei immungeschwächten Personen Gefäßschäden zu verursachen.

Für die Medizin dürfte die Vielfalt der Zeckenpathogene ein unterschätztes Problem sein, meint Muriel Vayssier-Taussat. "Wenn man mit mehreren Erregern gleichzeitig infiziert ist, verändert sich das Krankheitsbild. Dadurch wird es für Ärzte schwerer, eine korrekte Diagnose zu stellen." Gerade Borreliosepatienten klagen oft über lang anhaltende, diffuse Beschwerden. Vielleicht leiden manche schlicht unter unerkannten Mehrfachinfektionen. (Kurt de Swaaf, 16.4.2016)