Uwe Linke hilf beim Wohnen. Er berät in Stil-, Geschmacks- und auch Streitfragen.

Foto: Uwe Linke
Foto: Istock

STANDARD: Woran merkt man, dass man beim Wohnen Beratung braucht?

Uwe Linke: Menschen wie ich können helfen, wenn man mit dem Partner zusammenziehen will und man bezüglich der Wohnsituation keine Einigung erzielen kann. Oder wenn das Austauschen von Möbeln doch nicht den erwünschten Wohlfühlfaktor bringt. Er ist aber auch in allen typischen Fragen der Lebensraumgestaltung hilfreich.

STANDARD: Da klingt etwas Therapeutisches durch ...

Linke: Nein, im Prinzip mach ich das Gleiche wie ein Innenarchitekt, aber halt mit dem Wissen der Psychologie. Kunden vertrauen mir, weil ich ihnen keine Möbel verkaufe, sondern mich um ihr Wohlfühlen kümmere. Es geht darum herauszufinden, was die künftigen Bewohner in ihrem Heim wirklich wollen.

STANDARD: Und wenn zwei Partner sich nicht auf eine Einrichtung einigen können. Werden Sie dann zum Paartherapeuten?

Linke: Nein, obwohl ich auch ausgebildeter Paartherapeut bin. Auf der Wohnebene ist alles sehr praktisch orientiert. Es geht um Möbel, Produkte, Farben etc. Bei der Paartherapie geht es um ein inneres Thema.

STANDARD: Und wenn die Frau nun partout nicht das Sofa möchte, das sich der Mann wünscht?

Linke: Dann muss man halt schauen, ob man eines findet, das für beide passt. Wenn das auch nicht gelingt, dann sollten die zwei vielleicht gar nicht erst zusammenziehen.

STANDARD: Was verrät eigentlich ein Sofa über eine Wohnung?

Linke: Ein Sofa verrät nichts über die Wohnung, aber viel über seinen Bewohner. Er gibt damit preis, welche Vorstellungen von Entspannung, Kommunikation und Nähe er hat.

STANDARD: Zurück zur Beratung: Welche sind die häufigsten Fehler beim Wohnen bzw. Einrichten?

Linke: Meistens fehlt ein Konzept für die Einrichtung, und man wundert sich, dass das Interieur langweilig ausfällt. Ein zweiter großer Fehler ist eine Beleuchtung, die sich an den Stromanschlüssen orientiert. Vielen Menschen sind außerdem schöne Leuchten wichtiger als das richtige Licht für die passende Atmosphäre.

STANDARD: Wie sieht es diesbezüglich mit Geschmacksunsicherheiten aus? Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich viele Menschen damit schwertun, ihre nächste Umgebung zu gestalten, zumindest schwerer als beim Outfit.

Linke: In der Mode haben wir viel mehr Beispiele, die wir nachahmen können. Ob das zum Typ passt, ist eine andere Frage. Die Kosten, sich umzustylen, sind ebenfalls niedriger. Viele können einfach ihren Stil nicht finden, und das lässt dann Wohnungen so aussehen, als hätte jemand einfach seine Möbel abgestellt. Das Konzept für eine schöne Atmosphäre fehlt. Es geht um Wärme und Charakter.

STANDARD: Und wie kann man das alles bewerkstelligen?

Linke: Letztendlich geht es um Personalisierung. In einer Wohnung sollte sichtbar sein, wer in ihr wohnt und was für eine Geschichte dazugehört. Das kann nicht gelingen, wenn ich mir eine Einrichtung aus dem Katalog nehme. In dem Fall kopiere ich ein Modell von jemandem, der Produkte verkauft. Wir Individuen sind aber vielleicht auch ein bisschen schrullig und stellen Dinge zusammen, die nicht zusammenpassen. So etwas erzeugt durchaus Authentizität. Es geht darum, Dinge auszusuchen, die einem entsprechen und mit denen man sich wohlfühlt. Das entspricht keinem Trend.

STANDARD: Sie haben selbst ein großes Einrichtungshaus geführt. War das die Ausbildung für Ihren späteren Job?

Linke: Ja, 1.000 Wohnungen zu sehen und den Charakter der Menschen, die darin leben, zu erforschen, das ist wahrlich eine gute Schule. Natürlich die Ausbildungen zum Coach und Therapeuten nicht zu vergessen.

STANDARD: Wer sind typische Kunden von Ihnen?

Linke: Privatpersonen, die gerade bauen oder sich einrichten lassen, oder Ärzte und Unternehmen, die ihre Arbeitsräume als Markeninstrument betrachten. Als Speaker werde ich oft von Herstellern und Messen beauftragt. Ferner schreibe ich für Wohnzeitschriften und Magazine.

STANDARD: Sie haben das Buch "Vom Glück, sich ein authentisches Zuhause zu schaffen" geschrieben. Wann ist man zu Hause angekommen?

Linke: Ein authentisches Zuhause ist ein sehr persönlicher Ort der Geborgenheit, an dem man sich willkommen fühlt und Kraft schöpfen kann. Der Aneignungsprozess macht ihn authentisch.

STANDARD: Was verstehen Sie unter Aneignungsprozess?

Linke: Für uns ist dies der wichtigste Vorgang. Dieser findet nicht statt, wenn Sie eine Wohnung schon fertig eingerichtet bekommen, inklusive eingeräumter Bestecklade in der Küche. In dem Fall übernehmen Sie ein vorgelebtes Leben mit vorgelebten Mustern. Wenn Sie aber schon zweimal bei der Renovierung Ihrer Wohnung verzweifelt sind, geflucht haben, Zeit und Geld investiert haben, damit alles so wird, wie Sie es sich wünschen, dann haben Sie diesen Aneignungsprozess durchgeführt. Man setzt sich mit seinem Wohnen auseinander.

STANDARD: Da landen wir schnurstracks beim Thema Home-Staging, das auch hierzulande mehr an Bedeutung gewinnt. Dabei werden Wohnungen oder Häuser im Prinzip von der Stange voreingerichtet. Das erzielt höhere Verkaufspreise. Ferner gehen Wohnungen schneller an den Mann und die Frau. Was halten Sie davon?

Linke: Home-Staging ist ungefähr das Gegenteil von meiner Arbeit. Für den Verkäufer einer Immobilie ist das sicher sinnvoll, weil der Eindruck der gemütlich dekorierten Bewohntheit Vertrauen bei Kaufinteressenten schafft. Dekoration ohne Bezug zu den Bewohnern hat mit Wohnpsychologie überhaupt nichts zu tun. Da geht es lediglich um eine schicke Fassade.

STANDARD: Ist Home-Staging also ein Widerspruch zum landläufigen Bild, eine Wohnung sei der Spiegel seines Bewohners?

Linke: Ja sicher, Home-Staging baut eine Illusion, eine nette Kulisse auf, mit der ein Interessent angeregt werden soll, sich selbst darin vorzustellen.

STANDARD: Welche Rolle spielt das Geld beim Wohnen? Reichtum garantiert keinen Geschmack.

Linke: Das ist richtig. Meine Erfahrung ist, dass die teuren Einrichtungen oft langweiliger und geschmacksfreier sind als jene von kreativen Menschen mit schmalem Budget.

STANDARD: Warum?

Linke: Menschen, die viel Geld haben, lassen sich mehr auf Trends ein, auch auf professionelle Gestalter, die eher ihre eigene Geschichte schreiben als die des Kunden. Sie lassen sich eher verführen als jemand, der aufs Geld schauen muss. Das ist auch oft der Grund, warum sich viele Bauherren mit ihren Architekten zerstreiten. Dieses Zuviel an Einflussnahme mag für den einen gut sein, für den anderen ist es halt zu viel. Im Idealfall ist es ein gemeinsames Herausfinden von Bedürfnissen, von Stil. Die Hauptfrage, die ich stelle, lautet: "Wie wollen Sie sich in dem Raum fühlen?"

STANDARD: Der Philosoph Alain de Botton, der sich sehr intensiv mit Wohnen und Architektur beschäftigt, sagt, Geschmäcker von Menschen zeigen eine Menge von dem, was ihnen in ihrem Leben fehlt. So würden zum Beispiel Menschen, die ihr Zuhause mit Puppen und Teddybären dekorieren, vor etwas flüchten. Menschen mit leeren Zimmern wollen Chaos und Unordnung von ihren Gefühlen fernhalten? Sind Sie damit d'accord?

Linke: Ich stimme de Botton voll zu.

STANDARD: Wohnen Männer anders als Frauen?

Linke: Wenn Männer allein wohnen, traue ich mich jede Männerwohnung zu entlarven. Männer haben einfach andere Prioritäten und einen anderen Umgang mit Oberflächen und Materialien.

STANDARD: Um es klischeehaft zu hinterfragen: Stahlrohrmöbel statt Pölsterchen?

Linke: Nein, das ist kein Klischee. Pauschal gesehen sind Männer elektronikaffin, haben große Fernseher, zeigen ihre Lautsprecher etc. Wenn ein Mann von der Arbeit heimkommt, schaltet er gern den Fernseher ein oder liest die Zeitung oder schenkt sich ein Bier ein. Männer lenken sich ab. Frauen gehen hier anders vor. Die Frau spannt ab, in dem sie Möglichkeiten zur Kommunikation schafft. Dazu zählen Kissen auf dem Sofa ebenso wie das Telefonat mit der besten Freundin. Männer wollen eher nicht reden, wenn viel los war. Sie wollen erst einmal ihre Ruhe haben. Frauen wollen etwas loswerden.

STANDARD: Sie haben ein zweites Buch mit dem Titel "Single-Frau wählt Single-Mann ... und schaut sich seine Wohnung an" geschrieben. Was schließt sie aus seiner Wohnung?

Linke: Die Singlefrau erkennt schon in der Einrichtung, ob der Auserwählte zu ihr passt oder ob sie es lieber bleibenlassen soll.

STANDARD: Klingt nach einem Bestseller. Wie erkennt sie das an der Einrichtung?

Linke: Da geht es zum Beispiel um zu präsente Altlasten aus vergangenen Beziehungen wie Fotos, um etwas Unabgeschlossenes. Ein anderes Warnsignal sind plakativ formulierte Dinge wie Bettwäsche vom Fußballverein und omnipräsente Fanartikel. Fußballvernarrtheit ist natürlich kein Problem, aber wenn dieser in einer Wohnung vorherrscht, dann lässt das Rückschlüsse über seinen Bewohner zu, der wahrscheinlich der neuen Beziehung nicht die nötige Bedeutung beimessen wird. Natürlich ist das Problem viel feinschichtiger.

STANDARD: Wie sieht es umgekehrt aus?

Linke: Die Singlemänner können aus meinem Buch lernen, wie sie nach außen wirken und was sie auf der Suche nach der Prinzessin lieber meiden sollten. Denn Frauen wollen zwar richtige Kerle, aber mit einem weichen, empathischen Herz.

STANDARD: Was sollten die Kerle also abgesehen von Fotos der Ex und Fußballbettwäsche vermeiden?

Linke: Aufgrund verschiedener Experimente wissen wir, dass es Frauen extrem stört, wenn Männer etwas vorgeben, was sie nicht sind.

STANDARD: Zum Beispiel?

Linke: Im Rahmen eines Fernsehexperiments hatten wir einen Teilnehmer, der eine Vitrine voller gefakter Rolexuhren hatte, überall Champagnerflaschen aufstellte und Posters von luxuriösen Fernreisen aufgehängt hatte. Der Kerl war ein Taxifahrer. Nichts gegen Taxifahrer, ganz im Gegenteil, aber Frauen stehen nicht auf solche Blender. Männer sollten auch, was die Einrichtung betrifft, mehr auf ein Miteinander achten.

STANDARD: Haben Sie irgendwelche Wohnmarotten, zum Beispiel Hausschuhpflicht für Besuch?

Linke: Ja, das habe ich, mein Parkett ist mir heilig.

STANDARD: Was denken Sie über solche Marotten?

Linke: Wenn man die Marotten übertreibt, dann nennt man es zwanghaft, aber die eine oder andere Marotte zeigt einfach, dass man sich das Wohnen und den Wohnraum angeeignet hat und einem das Thema wichtig ist.

STANDARD: Werfen Sie doch bitte für uns einen Blick in die Kristallkugel? Wie wird in 50 Jahren gewohnt?

Linke: Ich vermute, dass wir in 50 Jahren immer noch Bücher, Betten und Stühle haben. Aber weniger als heute, weil die Ressourcen knapp sind. Und weil Wohnraum Luxus wird. Unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben wird noch größer, auch wenn wir scheinbar alles haben, außer Privatheit. (Michael Hausenblas, RONDO OPEN HAUS, 8.5.2016)