Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty will den Majestätsbeleidigungs-Paragrafen so rasch wie möglich abschaffen.

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Thomas Kutschaty will den deutschen Majestätsbeleidigungsparagrafen lieber heute als morgen abschaffen. Die Bundesratsinitiative des Justizministers Nordrhein-Westfalens könnte dazu führen, dass das Verfahren gegen TV-Satiriker Jan Böhmermann wegen seiner "Schmähkritik" am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht nach Paragraf 103 stattfinden kann. Warum eine Gesetzesänderung eine Verurteilung nach dem umstrittenen Paragrafen verhindern könnte, erklärt der SPD-Politiker im STANDARD-Interview. Dass ausländische Staatsoberhäupter durch das Strafrecht einen höheren Schutz erfahren als normale Bürger, ist für den SPD-Politiker unverständlich. Am Donnerstag berichtete die "Rheinische Post", dass der deutsche Justizminister Heiko Maas nun doch einen Gesetzesvorschlag zur sofortigen Abschaffung des Paragrafen einbringen will.

STANDARD: Warum hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Zeithorizont für die Abschaffung des Paragrafen 103 bis 2018 angekündigt? Sie hat ihn als "entbehrlich" bezeichnet – warum wird er nicht umgehend abgeschafft; plant sie eine größere StGB-Reform?

Kutschaty: Das ist das Geheimnis von Frau Merkel. Der Straftatbestand lässt sich mit einem einfachen Federstrich des Gesetzgebers abschaffen. Das kann sofort geschehen, wenn alle sich einig sind.

STANDARD: Kann mit der sofortigen Abschaffung wirklich auch ein bereits laufendes Verfahren gestoppt werden? Zum "Tatzeitpunkt" war das Gesetz ja noch in Kraft.

Kutschaty: Bei einer Gesetzesänderung kommt das Gesetz zur Anwendung, das für einen Angeklagten am günstigsten ist. Entscheidend ist, ob es noch vor einer gerichtlichen Entscheidung zur Abschaffung des Paragrafen 103 StGB kommt. Wird Paragraf 103 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, kann es keine Verurteilung mehr geben.

STANDARD: Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, hat noch vor der Bekanntgabe der Ermächtigung zur Strafverfolgung durch Merkel eine sofortige Abschaffung des Paragrafen 103 im kommenden Plenum in den Raum gestellt – wäre eine Mehrheit im Bundestag dafür denkbar?

Kutschaty: Die SPD hat der Bundeskanzlerin angeboten, die Änderung des Strafgesetzbuches schon in der nächsten Sitzung des Bundestags auf die Tagesordnung zu nehmen. Das ist konsequent, wenn man es mit der Abschaffung des Straftatbestands der Majestätsbeleidigung wirklich ernst meint. Eine Antwort der Kanzlerin steht allem Anschein nach noch aus.

STANDARD: Was denken Sie über die Ermächtigung Merkels? Handelt es sich dabei um eine Unterwerfungsgeste gegenüber Erdoğan, oder ist es gar als innenpolitische Machtdemonstration gegenüber der SPD zu sehen?

Kutschaty: Mit der Entscheidung, den Weg für ein Strafverfahren gegen den Satiriker Böhmermann wegen Majestätsbeleidigung freizumachen, rollt Frau Merkel Herrn Erdoğan den roten Teppich aus. Bemerkenswert ist, dass gerade Politiker, die die Pressefreiheit gängeln, sich auf die Strafvorschrift der Majestätsbeleidigung berufen. Dem sollte man nicht noch Vorschub leisten.

STANDARD: Wäre es sinnvoll, bei der Gelegenheit das Strafgesetzbuch gleich gründlich zu durchforsten und auch andere antiquierte Paragrafen wie den Blasphemieparagrafen 166 abzuschaffen?

Kutschaty: Paragraf 166 StGB schützt die ungestörte Ausübung der Religion. Das ist ein wichtiges Anliegen unserer Werteordnung. Beim Straftatbestand der Majestätsbeleidigung habe ich dagegen meine Zweifel, ob es jemals einen überzeugenden Grund für seine Einführung gab. Er ist ein Relikt aus der Kaiserzeit und schützt die Empfindlichkeiten einzelner Regierungschefs. Warum ausländische Staatsoberhäupter durch das deutsche Strafrecht stärker geschützt werden sollen als alle anderen Bürger und Politiker, ist nicht zu verstehen.

STANDARD: Glauben Sie an eine Verurteilung Jan Böhmermanns, gleich ob nach Paragraf 103 oder 185?

Kutschaty: Nordrhein-Westfalen will mit einer Bundesratsinitiative erreichen, dass eine Entscheidung über die Anwendung des Straftatbestands der Majestätsbeleidigung nicht mehr getroffen werden muss. Alles andere wird unsere unabhängige Justiz entscheiden.(Michael Vosatka, 21.4.2016)