Gesund einkaufen: Will eigentlich doch jeder, die wenigsten schaffen es, die ungesunden Versuchungen im Supermarkt sind zu groß.

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Uwe Knop ist deutscher Ernährungswissenschafter und Buchautor.

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Uwe Knop, "Ernährungswahn". 10,30 € / 187 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2016

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STANDARD: Sie schreiben, dass es keine Ernährungsform und kein Lebensmittel gibt, das nachweislich gesund oder krank, schlank oder dick macht. Ist es demnach egal, wie sich ein Mensch ernährt?

Uwe Knop: Nein, es geht darum, auf den Körper zu hören. Darauf zu achten, wann ich echten Hunger verspüre, worauf ich Lust habe, was körperlich ein positives Gefühl erzeugt. Denn nur der eigene Körper weiß, was ihm guttut. Dazu muss der Mensch aber wieder lernen, sich wahrzunehmen.

STANDARD: Doch westlicher Ernährungsstil steht im Zusammenhang mit Diabetes Typ 2?

Knop: Das stimmt. Es liegen aber nur relativ schwache statistische Korrelationen vor, keine Kausalitäten. Ich habe für mein Buch über 1000 Studien kritisch hinterfragt. Alles, was die Ernährungswissenschaft vorzuweisen hat, sind Hypothesen über statistische Zusammenhänge, die mit randomisierten klinischen Studien überprüft werden müssten. Das wird aber nicht gemacht, weil es äußerst schwer umzusetzen ist. Zudem sind die Korrelationen nicht einmal konsistent, zu jeder Studie gibt es Gegenstudien.

STANDARD: Ein Experiment zeigt, dass Fast Food innerhalb von 14 Tagen Entzündungen im Darm signifikant erhöht. Ist das kein Beweis?

Knop: 20 Personen und 14 Tage sind nicht besonders aussagekräftig. Wer saubere Studien in der Ernährungsforschung machen will, muss die Probanden randomisieren, also zufällig verteilen. Das ist hier nicht passiert. Zudem müssten die gemessenen Effekte über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren beobachtet werden. Es könnte genauso gut sein, dass die Darmflora deshalb "verrückt gespielt hat", weil die Ernährungsweise kurzfristig radikal umgestellt wurde. Wenn jemand von heute auf morgen nur mehr Hirsebrei und Rohkost isst, möchte ich sehen, wie der Darm darauf reagiert.

STANDARD: Welchen Nutzen hat Ernährungswissenschaft?

Knop: Forscher betonen immer häufiger, dass Ernährungsempfehlungen mit Vorsicht zu genießen sind, da es keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege dafür gibt. Die Ernährungswissenschaft hat dann einen Sinn, wenn es darum geht, bei Erkrankungen – etwa Lebensmittelallergien oder Nierenerkrankungen – Empfehlungen auszusprechen. Für den gesunden Menschen ist die Ernährungswissenschaft aber völlig überflüssig.

STANDARD: Wie sollte sich ein Mensch ernähren, der nachhaltig abnehmen will?

Knop: Wer die Frage beantworten kann, ist ein gemachter Mann oder eine reiche Frau. Es gibt keine Pauschalempfehlung. Selbst die Adipositasforschung kann keine Lösungen anbieten oder ein Patentrezept, das für alle gilt. Es muss immer der Einzelne betrachtet werden. Ich kann zu einem Menschen mit 180 Kilogramm Körpergewicht nicht sagen: Iss weniger und geh laufen! Es gibt mehr als 15 verschiedene Faktoren, die zu Adipositas führen.

STANDARD: Welche Faktoren beeinflussen das Körpergewicht?

Knop: Die wichtigste Rolle spielen die Gene. Weitere Faktoren sind Stoffwechsel- und Schlafstörungen, Diabetes, die Einnahme bestimmter Medikamente wie Psychopharmaka oder "Emotional Eating", bei dem die Seele, und nicht der Körper gefüttert wird. Deshalb ist es auch so, dass jedes Jahr zahllose neue Diäten auf den Markt kommen, die das Blaue vom Himmel versprechen. Durch den Jo-Jo-Effekt werden die meisten aber nur noch dicker. Die Diätindustrie ist ein paradoxer Wirtschaftszweig, der an unwirksamen Produkten verdient.

STANDARD: Eine Analyse hat gezeigt, dass Bio-Fleisch und Bio-Milch im Mittel rund 50 Prozent mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten als die entsprechenden Nahrungsmittel aus Massentierhaltung. Welche Rolle spielt die Qualität von Produkten?

Knop: Ob ein Mensch Bio-Produkte bevorzugt, ist keine gesundheitliche, sondern eine rein ethisch-moralische Frage. Und eine Frage des Geschmacks. Ob irgendwelche Fettsäuren mehr oder weniger enthalten sind, ist im Prinzip egal. Es ist nicht einmal eindeutig geklärt, wie gesund oder ungesund gesättigte Fettsäuren sind. Die Datenlage dazu ist völlig unklar, manche Studien zeigen Korrelationen, andere wiederum nicht.

STANDARD: Was bringt eine Ernährungsumstellung, etwa im Sinne der Ernährungspyramide?

Knop: Das kann im Einzelfall funktionieren. Menschen stellen dabei aber häufig ihren ganzen Lebensstil um. Treiben Sport, hören zu rauchen auf, trinken weniger Alkohol, ändern ihr Sozialverhalten. In Ernährungsstudien werden diese Faktoren jedoch nicht in ihrer Gesamtheit berücksichtigt. Die Ernährungspyramide ist letztendlich ein frei erfundenes Konstrukt und hat keinerlei Relevanz. Sie beruht auf Vermutungen und Spekulationen. Möglicherweise macht sie sogar krank.

STANDARD: Inwiefern?

Knop: Bei Menschen, die sich gesund ernähren wollen, kann ein Zuviel an Fruktose, Rohkost und Ballaststoffen zu einem Reizdarmsyndrom führen. Wer mit Gastroenterologen darüber spricht, bekommt häufig als Antwort: "Um das Problem in den Griff zu bekommen, müssen wir den Betroffenen in erster Linie ihre ,gesunde' Ernährung wieder ausreden." (Günther Brandstetter, 23.4.2016)