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Rekonstruiertes Skelett eines Neandertalers (rechts) neben dem Skelett eines modernen Menschen.

Foto: AP/FRANK FRANKLIN II

Mithilfe von Abnutzungsspuren auf fossilen Zähnen rekonstruierten die Forscher die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten.

Foto: Sireen El Zaatari/PLOS ONE

Tübingen – Über Hunderttausende von Jahren entwickelte sich die Linie der Neandertaler erfolgreich im westlichen Eurasien und überlebte die stark wechselnden kälteren und milderen Zyklen der Eiszeit. Vor rund 40.000 Jahren, auf dem Höhepunkt der letzten Kaltzeit und der ersten Einwanderung moderner Menschen nach Europa, verschwanden sie.

Was genau zu ihrem Niedergang führte, ist bis heute nicht geklärt. Forscher um Sireen El Zaatari von der Universität Tübingen sind nun der Frage nachgegangen, welche Rolle Ernährungsstrategien gespielt haben könnten. Dazu analysierten sie Mikroabnutzungsspuren an fossilen Backenzähne von Neandertalern und jungpaläolithischen Menschen und zogen daraus Rückschlüsse auf deren Speiseplan und das zu jeder Zeit herrschende Klima.

Wie die Forscher in "Plos One" berichten, zeigten sich dabei deutliche Unterschiede: Die Neandertaler passten ihre Ernährung stets an Umweltveränderungen an, während der Homo sapiens sich auch um schwerer verfügbare Nahrung bemühte. Bei ihnen waren Änderungen möglicherweise stärker von der Nutzung neuer Technologien als von Umwelteinflüssen geprägt.

Zahlreiche Zahnspuren

Die Forscher gehen davon aus, dass diese Ernährungsstrategie den modernen Menschen gegenüber den Neandertalern Vorteile verschafften. "Eigentlich hätte man erwartet, dass die Neandertaler besser an die zeitweise sehr rauen Klimabedingungen im eiszeitlichen Europa angepasst waren", so El Zaatari. "Sie haben sich dort entwickelt, während der anatomisch moderne Mensch erst viel später nach Europa eingewandert ist."

Für ihre Studie werteten die Forscher Daten aus Überresten von insgesamt 52 Neandertalern und modernen Menschen aus einem Zeitraum von 500.000 bis 12.000 Jahren vor heute aus. "Der Wechsel von Kalt- und Warmzeiten formte die Landschaft immer wieder neu, mal gab es offene Steppenlandschaften, mal Wälder", so El Zaatari. Die Untersuchungen legen nahe, dass sich die Neandertaler als anpassungsfähig erwiesen.

Opfer des Opportunismus

In Steppenlandschaften ernährten sie sich vorrangig von Fleisch, Wälder boten dagegen mehr pflanzliche Nahrung inklusive harter Samen und Nüsse, wie die Abnutzungsmuster auf den Zähnen zeigen. "Diese Umstellungen haben die Neandertaler über lange Zeit erfolgreich gemeistert", so die Forscherin. Bei den modernen Menschen lassen sich die Änderungen in der Ernährungsweise hingegen stärker an der kulturellen Entwicklung festmachen. Sie schienen auch bei kleinen Umweltänderungen an ihrem Speiseplan festzuhalten und behielten auch in Steppenlandschaften einen vergleichsweise hohen Anteil an pflanzlicher Nahrung bei.

"Dafür entwickelten sie Werkzeuge, um etwa an Pflanzenknollen im Boden zu kommen", sagte El Zaatari. Die Studienergebnisse bedeuten nicht, dass die Neandertaler unflexibel waren oder sich nicht gut an Veränderungen anpassen konnten, sagte El Zaatari. Ihre eher opportunistische Ernährungsweise könnte aber letztlich ein Nachteil geworden sein, als das Klima während der Eiszeit sehr kalt und die Nahrung knapper wurde. "Die modernen Menschen könnten unter diesen Bedingungen einen Vorteil gegenüber den Neandertalern gehabt haben, weil sie die Nahrungsquellen in ihrer Umwelt effizienter nutzen konnten." (red, 1.5.2016)