Pjotr Pawlenski, im Februar dieses Jahres in Moskau vor Gericht.

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2014 schnitt sich Pawlenski aus Protest gegen den politischen Missbrauch der Psychiatrie ein Ohrläppchen ab. Er selbst war für seine Aktionen auch schon eingewiesen worden – immer wurde ihm aber Zurechnungsfähigkeit bescheinigt.

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Über mangelndes Interesse seitens der russischen Justiz kann sich der 32-jährige Pjotr Pawlenski derzeit nicht beklagen. Gleich drei Moskauer Gerichte beschäftigten sich vergangene Woche mit dem bekannten Petersburger Aktionskünstler – verhandelt wurde nicht nur über eine Aktion aus dem Jahr 2014 und über eine Berufung gegen Untersuchungshaft. Mit einer ersten nichtöffentlichen Vorverhandlung startete auch das Gerichtsverfahren zur bislang spektakulärsten Tat des Künstlers, für die er sich seit November in U-Haft befindet und sich laut Entscheidung vom vergangenen Donnerstag bis zumindest Oktober 2016 auch weiterhin befinden wird.

Pawlenski hatte in der Aktion Bedrohung in der Nacht zum 9. November 2015 eine Holztür der Lubjanka-Geheimdienstzentrale im Zentrum Moskaus angezündet, sich vor diesem brennenden Hintergrund filmen und anschließend widerstandslos festnehmen lassen. Die brennende Tür, so erklärte er, sei jener Fehdehandschuh, den die Gesellschaft der terroristischen Bedrohung hinwerfe. Dem russischen Geheimdienst FSB warf er "Terrormethoden" vor.

Pjotr Pawlenski posiert vor der von ihm in Brand gesetzten Holztür der Lubjanka-Geheimdienstzentrale in Moskau.
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Kunst oder Vandalismus?

Während russische Kunstkritiker ein eindrucksvolles Werk politischer Aktionskunst sahen, inkriminierten Strafverfolger zunächst "Vandalismus" aus ideologischem Hass. Seit März werfen sie dem Künstler nunmehr "Zerstörung oder Beschädigung des kulturellen Erbes" vor. Erstaunlicherweise wird das auch damit begründet, dass in den 1930er-Jahren herausragende Vertreter von Gesellschaft und Wissenschaft im Gebäude festgehalten wurden.

Zweifel an der Stichhaltigkeit des inkriminierten Paragraphen, der bis zu drei Jahre Haft vorsieht, äußert indes Pawlenskis Strafverteidigerin Olga Dinse. Die Lubjanka-Tür selbst könne unmöglich als kulturelles Erbe gelten, so erklärt sie gegenüber dem STANDARD. Nicht einverstanden ist auch der Künstler: Aus Solidarität mit dem ukrainischen Filmregisseur Oleh Senzow, der für angebliche Brandanschläge auf der Krim von einem russischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, forderte er vergeblich gar eine Anklage wegen Terrorismus.

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2012 nähte sich Pawlenski zur Unterstützung der Punkband Pussy Riot den Mund zu.
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Der Angeklagte als Beobachter

Seit der Ablehnung dieser Forderung hat sich Pawlenski in allen Verhandlungen zu Bedrohung einen "Schweigemodus" verordnet und verweigert die direkte Kommunikation mit Richtern und Anklägern. Dies gilt auch für einen weiteren Gerichtsprozess zu vermeintlichem Vandalismus im Jahr 2014. "Ich bin hier selbst ein Beobachter und die Unterstützung dieser Rituale ist Kollaboration", sagte der Künstler auf STANDARD-Nachfrage vergangene Woche aus dem Glaskasten des Angeklagten. In der inkriminierten Aktion mit dem Titel Freiheit, eine Anspielung an den Kiewer Maidan, hatte Pawlenski am 23. Februar 2014 Reifen auf einer Brücke im Zentrum von St. Petersburg angezündet, eine ukrainische Fahne geschwenkt und mit Metallstangen Lärm verursacht.

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Pawlenski in Stacheldraht bei einer Protestaktion 2013 in St. Petersburg.
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Gerichtsprozess als Kunstaktion

Gerade im Fall Freiheit lässt der Künstler keinen Zweifel daran, dass er den Gerichtsprozess und die Reaktion des Staates als Teil seiner Aktion erachtet. Pawlenski, der sich sichtlich mit dem französischen Philosophen Michel Foucault und dessen Schlüsselwerk Überwachen und Strafen beschäftigt hat, möchte in seiner Kunst den Staat und dessen repressive Mechanismen vorführen. Dafür nimmt er auch Gefängnis in Kauf. Bezeichnenderweise lehnten seine Anwälte vergangene Woche etwa das Angebot der Richterin ab, das Verfahren zu Freiheit wegen Verjährung einzustellen. Sie erachten ihren Mandanten für unschuldig und streben einen Freispruch an.

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Ebenso 2013 nagelte Pawlenski seine Hoden auf dem Roten Platz in Moskau fest.
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Gutachter und Prostituierte

Gleichzeitig setzte die Verteidigung zum Gegenangriff an. Ein zentrales Argument der Anklage sind Gutachten staatsnaher Experten, die dem Künstler unter anderem eine "Entweihung" der Petersburger Altstadt durch die brennenden Reifen vorwerfen. Ähnlich bedenklich sahen Pawlenskis Kunstaktion aber auch jene Prostituierte, die vergangene Woche als Zeuginnen der Verteidigung ihre ehrliche Meinung vor Gericht kundtaten. Mit dieser Wahl der Zeugen zog der Künstler nicht nur die vermeintlich hochwissenschaftliche Grundlage der Anklagegutachten in Zweifel, er warf den gegnerischen Experten auch implizit vor, selbst wie Prostituierte zu agieren. "Es ist schon lange niemandem mehr gelungen, dem dem Staat aus dem Gefängnis derart eins auszuwischen", kommentierte diesen Schachzug der liberale Moskauer Publizist Gleb Morew. (Herwig G. Höller aus Moskau, 3.5.2016)