Die Automatisierung killt in den kommenden Jahren jeden zweiten Job, vernichtet Ressourcen in zunehmendem Tempo, produziert ein immer größeres Heer an Abgehängten und treibt den Rest unweigerlich ins Burnout, befürchten die einen. Die anderen jubeln: Alles ist für alle von überall jederzeit möglich – und verfügbar. Technische Lösungen beseitigen sämtliche Zugangsschranken und sorgen für Gerechtigkeit. Überhaupt führe die digitale Transformation zu mehr Menschlichkeit und Verbundenheit – auch in der Arbeitswelt.

Mit Dramatik wird in der Diskussion über die sogenannte New World of Work nicht gespart. Die beiden Positionen – Angst und Euphorie – bieten beide zu simple Extremperspektiven auf komplexe Entwicklungen – wie Arbeiten künftig aussehen wird, vermögen sie kaum zu skizzieren.

Ein Trend der Zeit heißt Homeoffice.
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Immer Online

Bis jetzt in der Arbeitswelt angekommen sind einige teils paradoxe Phänomene. So gibt es einen Trend zum örtlich und zeitlich flexiblen Arbeiten: Arbeitsplätze verlagern sich immer öfter in die eigenen vier Wände, ins "Homeoffice". Arbeit wird aber auch häufiger aus dem Büro mit heimgenommen, respektive reist mit in den Urlaub, kommt mit zum Ausflug mit Freunden – teilweise sogar mit ins Bett, wo viele spätnachts oder frühmorgens noch ihre E-Mails via Smartphone beantworten.

"Entgrenzung" nennen Psychologen dieses Phänomen, das Arbeitnehmern einerseits zu mehr Autonomie verhilft – sie aber auch vielfach ins Burnout treibt und so volkswirtschaftliche Milliardenschäden verursacht. Neue Geschäftsmodelle, neue Wege in das Arbeitsleben (der Algorithmus findet dich) sind entstanden, ebenso wie neue Krankheiten, wie etwa "Fomo" (Fear of missing out). Der Fachbegriff verweist auf die Angst, etwas zu verpassen und daher wie süchtig in sozialen Medien zu hängen.

Informationsüberfluss

Mit fortschreitendem digitalem Wandel wird die Forderung nach "Selbstmanagement" im Arbeitsleben lauter. Man solle sich abzugrenzen lernen, heißt es. Wie gut das tatsächlich gelingt, darüber entscheide letztlich die Selbstdisziplin, sagt Christian Korunka, Arbeitspsychologe an der Universität Wien. Wenn man permanent arbeiten kann, müsse man auch bewusst die Entscheidung treffen können, nicht zu arbeiten.

Stress, sagt Korunka, verursachen neue Technologien auch dadurch, dass sie den Arbeitsfluss unterbrechen. Überall blinkt und fiept es. "Unsere Gehirne sind so beschäftigt wie nie zuvor", schreibt der US-amerikanische Neurowissenschafter Daniel J. Levitin in seinem aktuellen Buch The Organized Mind. Dass ständig – virtuell – Informationen auf einen einprasseln, senkt nachweislich die Konzentrations- und Merkfähigkeit.

"Always on" ist im (Arbeits-)Alltag der meisten angekommen.
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Arbeiten in der Datenwolke

Aber der Trend zum Onlinearbeiten geht längst über die Firmengrenzen hinaus. Die sogenannten Crowdworker sind eine Extremform des Arbeitens in der Cloud, der virtuellen Datenwolke. Als eine Art digitale Freiberufler bieten sie ihre Dienste online an, auf spezifischen Vermittlungsplattformen. Diese Plattformen, darunter Freelance.com, Upwork.com, Clickworker oder die zu Amazon gehörende Mechanical Turk, vermitteln sie an Firmen, meist zu einem sehr geringen Lohn von ein paar Dollar oder Euro die Stunde.

Wie groß die Masse der Online-Freelancer bereits ist, lässt sich schwer sagen. In Deutschland geht man von einer Million Crowdworkern aus. Die Gruppe ist dabei sehr heterogen. Es sind Gutausgebildete aus den Bereichen Design, IT oder Verkauf und Marketing ebenso wie Niedrigqualifizierte, die einfache, repetitive Tätigkeiten, beispielsweise das Beschriften von Bildern, inserieren. Für einige von ihnen ist Freelancen im Netz die einzige Chance auf Einkommen, manchen erwächst so ein Nebenerwerb – andere entscheiden sich aus freien Stücken für diesen Arbeitsstil. Sie sehen das Crowdworking als eine Option, sich neben ihrem Nine-to-five-Job eigenen Ideen und Projekten zu widmen.

In diesem Video erklärt die deutsche Gewerkschaft verdi, die sich für Crowdworker einsetzt, diese neue Form des Arbeitens. "Cloudworking" und "Crowdworking" werden in der Diskussion oft als synonym verwendet.
ver.di

Anstatt eines Arbeitsvertrages gelten für Crowdworker die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Vermittlungsplattformen, die oft einseitig zugunsten der Auftraggeber gestaltet sind: Sie dürfen beispielsweise Leistungen ohne Lohn und ohne Angaben von Gründen ablehnen. Oder Wettbewerbe für fertige Projekte ausschreiben und nur den Gewinner entlohnen.

Zwei Seiten der Medaille

Traumjob und Albtraum, Chance und Prekariat liegen also nahe beieinander. Gewerkschaften in Österreich und Deutschland sind höchst alarmiert, wenngleich bezüglich ihrer Handlungsmöglichkeiten ziemlich ratlos – auch weil große Unternehmen die Chancen bereits nutzen und Belegschaftsteile schwups in die Crowd auslagern. Das ist billiger und klappt besser auf Abruf.

Crowdworker arbeiten in der "Cloud", der virtuellen Datenwolke. Dort herrschen schlechte Arbeitsbedingungen, kritisieren Gewerkschaften.
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Bei aller Kritik und allen rechtlichen Problemen bietet die Idee des Crowdworkings an sich auch Vorteile, durch Kollaboration und Kooperation der vielen: Open-Source-Projekte wie der Firefox-Browser von Mozilla wurden etwa großteils von Externen programmiert. Und Wikipedia ist ein prominentes Beispiel für ein Projekt der Crowd. Das Nutzen von Ideen aus aller Welt wird unter dem Schlagwort Open Innovation als die Zusammenarbeit der Zukunft gedacht.

Wie Staaten und ihre Institutionen mit dieser Form von Arbeit und ihren Folgen – Stichwort soziale Absicherung und Pension – verfahren, ist eine der zentralen Zukunftsfragen und spielt massiv in die Diskussionen um bedingungsloses Grundeinkommen und neues gesamtgesellschaftliches Miteinander hinein.

Neue Unternehmen, neue Gesellschaft?

Um ein anderes Miteinander geht es auch in Unternehmen. Die Theorie: Mitbestimmung wird durch Entwicklungen wie Open Source in Zukunft eine große Rolle spielen, die Unternehmen werden demokratischer.

Sinnbild hierfür sind Start-ups – auch ein Ergebnis der digitalisierten Arbeitswelt. Innovationen aus der IT befeuerten die Entwicklungen alternativer Organisationsformen – statt klassischer Hierarchie arbeiten die Teams dann beispielsweise nach der Holacracy-Methode ohne ständiges Einholen von Einverständnis großteils autonom. In anderen Unternehmen wird der Chef oder die Chefin von der Belegschaft gewählt, auch Beispiele für demokratische Gehälter gibt es bereits.

Führt digitales Arbeiten zu mehr Geschlechtergleichheit?
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Dass digitales Arbeiten gar zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen könnte, postulierten Forscher und Forscherinnen des Cornelia-Goethe-Centrums kürzlich in einem Fachbeitrag.

Denn: Können beide außerhalb des Büros zu flexiblen Zeiten arbeiten, ändere sich häufig auch die Aufgabenverteilung – der Mann nehme sich häufiger der Kinder und des Haushalts an.

Andererseits gibt es Wissenschafter, die Frauen in Zukunft mit verstärkten Problemen am Arbeitsmarkt konfrontiert sehen, weil diese in jenen Branchen unterrepräsentiert sind, die in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt Zukunftschancen bieten: Gefragt sind dort Experten, die die Entwicklung verstehen und sie vorantreiben können – IT-Fachleute, Big-Data-Experten. Um sie auszubilden, entstehen neue Studienrichtungen und Programme, auch von Unternehmen initiiert.

Anforderungen an (Aus-)Bildung

Auch für die meisten anderen Jobs wird heute aber ein grundlegendes Verständnis für Technologie vorausgesetzt – nicht nur für Gutqualifizierte: War ein Lagerarbeiter früher vor allem von seiner körperlichen Kraft abhängig, muss er jetzt eine Lagerverwaltungssoftware bedienen können. Selbst Fließbandtätigkeiten setzen heute zumindest das Bedienen von Touchdisplays voraus.

Nicht nur die Älteren müssen da aufholen, auch junge Menschen, die mit den digitalen Medien aufgewachsen sind, bringen nicht automatisch die am Arbeitsmarkt notwendigen digitalen Kompetenzen mit. Das monierte unlängst die ECDL Foundation, die die European Computer Driving Licence – ein Zertifikat für Computernutzung – vergibt. Zitiert wird eine 2014 in Österreich durchgeführte Studie, die deutlich macht, dass lediglich sieben Prozent der Fünfzehn- bis Neunundzwanzigjährigen über sehr gute Computerkenntnisse verfügen.

Im "Camp Grounded" in Navarro, Kalifornien, sind sämtliche technologischen Geräte verboten. In Europa ist die Rückzugsbewegung noch nicht ganz so ausgeprägt, aber auch hier gibt es bereits Camps, Seminare, Coachings und andere Angebote für den digitalen Entzug.
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Auf Digitalentzug

Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen wundert es kaum, dass ein Gegentrend zum Digitalen boomt: das Abschalten. Ausgerechnet im technikverliebten Silicon Valley gibt es immer mehr Menschen, die ihren Urlaub in Digital-Detox-Camps in den Wäldern Kaliforniens verbringen, auf Smartphone-, Laptop- und Tabletentzug. Dabei lassen sie nicht nur ihre digitalen Tools, sondern auch die eigene Identität in einer kleinen Schachtel am Eingangstor zurück – und nennen einander beim selbstgewählten Spitznamen.

Die Menschen sollen hier wieder "wahren Austausch" erleben, heißt es auf der Homepage eines der Camps, und natürlich zu sich selbst finden. Es sind der ständige Mailverkehr und der minimierte persönliche Kontakt zu Kollegen, die die Teilnehmer, die sich für das Camp ihre Gesichter bunt bemalen, in den Wald treiben.

"Es war schön, einfach frei zu sein", sagt eine Teilnehmerin im Werbevideo.
CampGrounded

Auch in Unternehmen setzen Konzernchefs mittlerweile auf digitalen Entzug. Google bietet etwa schon vermehrt Rückzugsräume an, in denen Mitarbeiter ohne technologische Geräte arbeiten können. Papier statt Powerpoint und Dialog statt digital.

Eine Gewissheit bleibt in jedem Fall: Lebenslanges Lernen ist in der digitalisierten Arbeitswelt zur Grundvoraussetzung der Teilhabe geworden. (Lisa Breit, Lara Hagen, 9.5.2016)