Die Französin Emmanuelle Charpentier war vergangenen Freitag in Wien, um an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über ihre Forschungen zu halten.

Foto: CeMM/Klaus Pichler

Wien – Die einen sprechen von der revolutionärsten wissenschaftlichen Entdeckung seit Beginn des Biozeitalters, die anderen verwenden martialische Ausdrücke wie "Wunderwaffe gegen Krankheiten". CRISPR/Cas9 hat jedenfalls enormes Potenzial, denn das Immunabwehrsystem von Bakterien gegen Viren kann auch auf andere Organismen übertragen werden. Die Bakterien schneiden damit fremde Gene aus sich heraus.

In einer fehlerhaften DNA ist damit Gen-Editing möglich, womit die Heilung von Erbkrankheiten möglich wird. Als Entdecker werden weltweit die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, und die US-amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doudna gefeiert.

Charpentier, durch zahlreiche Preise hoch dekoriert, war in ihren Anfängen in Wien an den Max-Perutz-Labs am Vienna Biocenter, konnte aber nicht gehalten werden, was seither immer wieder zu Kritik führte. Vergangene Woche hielt sie im Rahmen der Landsteiner Lecture des Forschungszentrums für molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien einen Vortrag. Thema: "The revolution of CRISPR-Cas genome engineering: lessons learned from bacteria". CeMM-Direktor Giulio Superti-Furga meinte, sie habe in Wien immer ein Zuhause. Schließlich animierte der Strukturbiologe das Publikum "Welcome home, Manu!" zu rufen.

STANDARD: Sie haben zahlreiche Wissenschaftspreise gewonnen. Sie galten schon im vergangenen Jahr neben Jennifer Doudna als eine Favoritin für den Nobelpreis. Ist es eigentlich schwierig, trotz des Rummels am Boden zu bleiben und weiterzuarbeiten?

Charpentier: Ich habe jedenfalls kein Problem damit. Wahrscheinlich hilft mir dabei die Mobilität. Ich bin in den vergangenen sieben Jahren dreimal umgezogen. Von Wien nach Umeå in Schweden, von Umeå nach Braunschweig und von Braunschweig nach Berlin. Jedes Mal stand ein wirklich großer logistischer Aufwand dahinter, da hat man keine Zeit abzuheben. Es geht darum, das Labor so schnell wie möglich effizient aufzubauen – das Equipment, die Technik – und sich mit den Wissenschaftern, mit den Postdocs zu besprechen und nächste Schritte zu planen.

STANDARD: Wie schwierig ist es, als prominente Wissenschafterin effizient zu sein? Ich frage, weil Sie vermutlich zahlreiche Anfragen erhalten, an Kongressen teilzunehmen, Vorträge zu halten, Interviews zu geben?

Charpentier: Es ist eine Herausforderung. Ich erhalte 50 bis 60 Anfragen pro Woche, natürlich kann ich nicht alle annehmen. Ich muss auch irgendwann einmal essen, und der Tag hat eben nicht mehr als 24 Stunden. Es gibt Anfragen, Seminare zu leiten, an Kongressen über mögliche klinische Anwendungen teilzunehmen und zu ethisch-philosophischen Fragen Stellung zu beziehen. Ich reise ein- bis zweimal pro Woche. Wenn es zu einer Preisverleihung geht, dann braucht das schon vier bis fünf Tage. Die Foundation, die den Preis stiftet, hat natürlich auch Interesse an Medienarbeit. Da bin ich dann wieder froh, im Labor zu sein und arbeiten zu können.

STANDARD: In einem jüngst erschienenen Porträt im Fachmagazin "Nature" werden Sie als stille Revolutionärin bezeichnet. Sehen Sie sich selbst auch so?

Charpentier: Ich wusste davor, was Nature schreiben würde. In diesem Text wurde ich als still und zurückhaltend bezeichnet, das stimmt. Im wissenschaftlichen Umfeld, im Labor bin ich dennoch dynamisch. Da kann ich gesprächig sein. Aber: Ich bin jemand, der etwas fühlt und denkt, es aber nicht gleich ausdrückt. Ich sage meine Meinung erst, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Das erweckt vielleicht den Eindruck, dass ich reserviert bin. Möglicherweise wirke ich auch manchmal autistisch, obwohl ich es natürlich nicht bin.

STANDARD: Hat man Sie und Ihre Arbeit in Wien eigentlich missverstanden, weil man Sie gehen ließ? Im gleichen "Nature"-Porträt steht, Sie hätten sich in Wien nie wirklich zu Hause gefühlt.

Charpentier: Steht das so drin? Ich habe den Text wohl doch nur quergelesen. Ich habe mich in Wien schon wohlgefühlt. Gerade am Vienna Biocenter herrschten Bedingungen, die ich schätze, die Wissenschaft möglich machen, aber eben nicht meine Schwerpunkte. Wien ist sehr schön, einerseits eine Stadt der Vergangenheit, eine sehr konservative Stadt, das habe ich vielleicht stärker empfunden als andere. Andererseits ist Wien auch eine kreative Stadt, ein Ort der Kultur, wo man jederzeit viele unterschiedliche Musikstile hören kann, von der Orchester- zur Tanzmusik. Das vermisse ich schon auch.

STANDARD: Wie ist es nun, wieder in Wien zu sein?

Charpentier: Es ist eigentlich so, als wäre ich nie weggewesen. Wenn man einmal in einer Stadt gelebt hat, dann hat man gewisse Automatismen eingelernt.

STANDARD: Als Sie in Wien waren, haben nur wenige Wissenschafter in Ihrem Gebiet geforscht. Jetzt wurde daraus ein Boom, kaum eine Woche vergeht, in der nicht neue Papers zu den Anwendungsmöglichkeiten von CRISPR/Cas9 publiziert werden. Wie fühlt sich das an?

Charpentier: Es fühlt sich schon recht surreal an. Ich hätte nie erwartet, dass diese Arbeit so einen Einfluss haben würde. Das übersteigt selbstverständlich alle meine Vorstellungen.

STANDARD: Es ist modisch, mit dieser Technologie zu arbeiten.

Charpentier: Ja, aber ich glaube nicht, dass es Wissenschafter gibt, die sich nur deshalb damit beschäftigen. Sie wollen aus meiner Sicht die Technologie nützen, um zu neuen Erkenntnissen in der Genregulierung zukommen.

STANDARD: Es gibt aber auch Wissenschafter, die über Designbabys mithilfe von CRISPR/Cas9 nachdenken, was ja prinzipiell möglich ist. Sie waren immer dagegen ...

Charpentier: ... Und ich bin es heute noch. Daran hat sich nichts geändert.

STANDARD: Sollte der Eingriff in die Keimbahn weltweit verboten werden?

Charpentier: Aus meiner Sicht ja. CRISPR/Cas9 ist eine Technologie, mit der man viel bewirken kann, mit der man bestimmte Krankheiten womöglich einmal heilen kann. Wenn das gelänge, wäre ich glücklich, einen Mechanismus entdeckt zu haben, der dafür wichtig ist. CRISPR/Cas9 ist nicht entwickelt worden, um an Embryonen genetische Manipulationen vorzunehmen.

STANDARD: Es gibt unterschiedlichste Zugänge zu dieser Frage. In Österreich ist das verboten, in China wurde diese Manipulation schon vollzogen und CRISPR/Cas9 am ungeborenen Kind eingesetzt. Macht Ihnen das Sorgen?

Charpentier: Die Chinesische Akademie der Wissenschaften hat immerhin Guidelines verabschiedet, die das verhindern sollten. In Wahrheit kann man die aber auch so interpretieren, dass eine genetische Manipulation sehr wohl möglich ist. Über die ethischen Fragen zu diesem Thema wird in Europa viel diskutiert. Ich denke, dass es da klarere Richtlinien geben sollte, was erlaubt ist und was nicht. Großbritannien ist zum Beispiel etwas liberaler. In anderen Ländern wird diese Frage strenger gehandhabt.

STANDARD: Woran arbeiten Sie eigentlich zurzeit?

Charpentier: Ich versuche wieder Grundlagenforschung zu machen, Projekte fortzuführen, die ich in Wien begonnen habe, um die ich mich aber in den vergangenen Jahren zu wenig kümmern konnte. Mich interessieren schon mögliche Anwendungen von CRISPR/ Cas9, aber ich bin nicht allein dafür Wissenschafterin geworden. In diesen anderen Projekten geht es wieder um Genregulation in Bakterien. Es wird wohl diesmal kein Durchbruch werden, ich bin froh, wenn ich irgendwann einmal zu einem brauchbaren Ergebnis komme. Derzeit ist die Arbeit an diesen Projekten aber frustrierend. Auch deshalb gelingt es mir, am Boden zu bleiben: weil ich auch Frustration erlebe. (Peter Illetschko, 13.5.2016)