Viele Erdgeschoßlokale in Wien werden bereits kreativ genutzt...

Foto: Redl

...dennoch ist die Anzahl der Leerstände in vielen Bezirken noch groß.

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Funktioniert das Erdgeschoß, funktioniert die Stadt", sagt Angelika Psenner, Stadtplanerin an der Technischen Universität Wien. "Im Erdgeschoß laufen Wohnen und Arbeiten zusammen, dort verbinden sich die verschiedenen Ebenen einer Stadt, privat, öffentlich und halböffentlich" , so Psenner weiter.

Dass in einer fußläufigen Stadt eine vitale Erdgeschoßzone wesentlich zur urbanen Qualität beiträgt, sagt auch Verena Mörkl, Geschäftsführerin von Superblock. "Leider ist das Erdgeschoß ein Stiefkind, auch weil die Investitionskosten dort höher sind", so Mörkl. Jeder Hausbesitzer habe jedoch mit seiner Erdgeschoßfläche eine Verantwortung gegenüber der Stadt.

Dass in Wien viele Erdgeschoße leerstehen, hat verschiedene Gründe, so die Expertinnen. Es liege keinesfalls daran, dass niemand Interesse habe, diese Räume zu nutzen, sondern an den schlechten Rahmenbedingungen, sagt Psenner. "Diverse Vorschriften in unterschiedlichen Bereichen erschweren die Bespielung von Erdgeschoßflächen." Dazu zähle etwa Paragraf 78 der Straßenverkehrsordnung zum Verhalten auf Gehsteigen, der vorschreibt: "Auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten ist verboten, den Fußgängerverkehr (...) durch unbegründetes Stehenbleiben zu behindern." Gesetze wie dieses würden ganz klar zeigen, dass der öffentliche Raum nicht als Aufenthaltsraum für die Bevölkerung betrachtet wird, sagt Psenner.

Wien wandert nach oben

Zudem glaubt die Stadtplanerin, dass die Stadt nach und nach um ein Stockwerk nach oben wandert: "Immer mehr Dachgeschoße werden ausgebaut. Wenn ich dann als Hausbesitzer aufgrund der Verpflichtung einen zusätzlichen Stellplatz für die neuen Bewohner errichten muss und mein Erdgeschoß ohnehin schon leersteht, ist die Versuchung groß, aus dem untersten Stockwerk einfach eine Garage zu machen", sagt Psenner.

Der Leerstand im Erdgeschoß wirkt sich häufig auch negativ auf die Bewohner eines Hauses aus, weil Immobilienbesitzer die Kosten für ein leerstehendes Geschäftslokal oft direkt an ihre Mieter weitergeben.

Um des Leerstands im Erdgeschoß Herr zu werden, gibt es in Wien schon seit über zehn Jahren kreative Ideen und Lösungsansätze. Einer davon ist das Konzept des Grätzelhotels. Ehemalige Geschäftslokale wurden zu Hotelzimmern umfunktioniert. Der Gast soll dadurch ein authentisches Gefühl von der Stadt bekommen und Teil des Lebens in seiner Umgebung werden. Ein anderer Ansatz sind Pop-up-Stores, die zeitlich begrenzt und sehr kurzfristig ebenfalls in leerstehenden Geschäftslokalen eröffnet werden. Gemietet werden können sie pro Tag, Woche oder Monat.

Bereiche gemeinsam planen

Neben dem Altbestand ist das Erdgeschoß aber auch Thema im Neubau. Für die Zukunft sei es wichtig, so Psenner, das sogenannte Stadtparterre – bestehend aus der Straße vor einem Haus, den Innenhöfen, den untersten Stockwerken eines Gebäudes und teilweise auch den Kellern – zusammenhängend zu betrachten. Bisher seien diese Bereiche in der Verwaltung voneinander getrennt. "Wie breit der Gehsteig ist oder wie viele Autos vor einem Haus parken, wirkt sich aber wesentlich auf die Nutzung eines Gebäudes aus", sagt Psenner.

Das Problem liege auch darin, dass man in Wien angefangen habe, Wohn- und Bürogebäude zu bauen. In der Planung sollte man sich jedoch wieder auf die Idee zurückbesinnen, die auch hinter den Gründerzeithäusern steckt: "Ein Haus soll nicht nur für einen Zweck gemacht sein, sondern alles können und flexibel in der Nutzung sein."

Für Neubauten wünscht sich Psenner eine kleinteilige Struktur, "weil die Räume dadurch flexibel genutzt werden können", und dass Keller wieder zu Lagerräumen werden, um nicht ins Erdgeschoß ausweichen zu müssen. Im "neuen Erdgeschoß" brauche es nicht nur Glas, um Einsicht zu gewähren, sondern auch Öffnungen, die Austausch zwischen gebautem und öffentlichem Raum ermöglichen, denn das Erdgeschoß liege genau dazwischen, "es ist ein halböffentlicher Raum". (Bernadette Redl, 17.5.2016)