Pamela Rendi-Wagner will keine Impfpflicht für das Krankenhauspersonal. Spitalsbetreiber sollten für ihre Mitarbeiter aber eine Impfempfehlung aussprechen können, sagt die Sektionsleiterin für öffentliche Gesundheit.

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Das Masernvirus unter dem Elektronenmikroskop.

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STANDARD: Was macht Ihnen bei Impfungen die größten Sorgen?

Rendi-Wagner: Eindeutig die Masern. Österreich ist nach Kroatien auf dem unrühmlichen zweiten Platz, was die Krankheitshäufigkeit betrifft. Es ist eine hochansteckende, gefährliche Erkrankung, deren Nachwirkung, die subakute sklerosierende Panenzephalitis, auch noch Jahre nach einer Maserninfektion auftreten kann und zum Tod führt. Als Gesundheitsbehörde ist es unsere Aufgabe, mit aller Kraft Maßnahmen gegen Masern zu setzen.

STANDARD: War die Kampagne für die Masernimpfung erfolgreich?

Rendi-Wagner: Ja, wir verzeichneten einen Anstieg der Impfrate. Wir müssen aber weiterhin neben den Babys vor allem die jungen Erwachsenen zwischen 20 und 35 Jahren erreichen.

STANDARD: Warum?

Rendi-Wagner: Weil es in dieser Altersstufe historische Impflücken gibt. Die Menschen sind geimpft, glauben, dass sie geschützt sind, sind es aber nicht, weil die damalige Impfung keine ausreichend lange Schutzwirkung hatte.

STANDARD: Wie stellt man das fest?

Rendi-Wagner: Durch einen Antikörperstatus, eine einfache Blutabnahme. Wenn sich ein ungenügender Schutz herausstellt, sollte man die Masern-Röteln-Mumps-Impfung zweimal im Abstand von vier Wochen machen. Sich im Zweifel einfach impfen zu lassen ist auch eine Option. Zusätzliche Antikörper sind unbedenklich.

STANDARD: In welchem Bundesland sind Masern besonders häufig?

Rendi-Wagner: Masern verbreiten sich immer dort rasend schnell, wo Ungeimpfte zusammenkommen. Letztes Jahr waren alle Bundesländer betroffen. Auch Spitäler sind Hotspots, weil wir festgestellt haben, dass Krankenhauspersonal, also Ärzteschaft, Pflege, Hebammen, Reinigungskräfte, oft nicht gegen Masern geimpft ist. Da müssen wir etwas machen.

STANDARD: Eine Impfpflicht?

Rendi-Wagner: Nein, das würde gegen das Recht auf Privatleben verstoßen, und wir halten uns an die europäischen Grundrechte. Die Frage stellt sich anders. Es geht um all jene, die sich in einem Spital anstecken könnten, und die wichtige Frage, inwiefern die Spitalsbetreiber eine Rolle spielen.

STANDARD: Ist das eine Verschiebung der Verantwortlichkeit?

Rendi-Wagner: In einem Spital gibt es Patienten, die anfällig für Infektionen sind. Für sie tragen Spitalsbetreiber Verantwortung.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Rendi-Wagner: Spitalsbetreiber sollten für ihre Mitarbeiter eine Impfempfehlung aussprechen können. Die Praxis zeigt, dass die Arbeitgeber im Gesundheitsbereich sich dieser Verantwortung teilweise nicht bewusst sind. Wir haben deshalb mit dem Sozialministerium eine Broschüre zur rechtlichen Faktenlage gemacht.

STANDARD: Was bedeutet das?

Rendi-Wagner: Spitalsbetreiber sowie auch Betreiber von Kindergärten und Schulen dürfen sich vor Eintritt in ein Dienstverhältnis nach dem Impfstatus eines Bewerbers erkundigen. Es ist ein Fragerecht auf Basis einer gesetzlichen Grundlage. Wer eine Impfung verweigert, liefert einen Grund, nicht angestellt zu werden.

STANDARD: Wie betrifft das bestehende Anstellungsverhältnisse?

Rendi-Wagner: Auch da gilt das Fragerecht. Die Verweigerung, Auskunft zu geben oder sich impfen zu lassen, ist aber nicht automatisch ein Kündigungsgrund, sondern berechtigt den Arbeitgeber zu einer Versetzung in Bereiche, wo eine Ansteckung weniger fatale Folgen hat. Es ist also keine Impfpflicht, sondern eine Schutzmaßnahme für andere. Das wird Thema der Impfgespräche im Herbst sein. Ich hoffe, dass wir Krankenhausbetreiber, Ärzte, Hebammengremien, die Pflege, aber auch die Verantwortlichen in den Schulen erreichen und überzeugen.

STANDARD: Welche Rolle könnten die Schulärzte spielen?

Rendi-Wagner: Sie wären wichtige Instanzen, denn bei der Schuleingangsprüfung könnte ja auch der Impfstatus erhoben werden. Das Problem: Das Gesundheitsministerium ist nicht für die Schulärzte zuständig. Sie sind dem Bildungsministerium beziehungsweise den Ländern unterstellt.

STANDARD: Wo genau hakt es?

Rendi-Wagner: An der Haftungsangst der Schulärzte. Wir führen mit dem Bildungsministerium Gespräche. Da geht es nicht nur ums Impfen, sondern auch um Diabetes und den Umgang mit Medikamentenverabreichung. In Vorarlberg gibt es das Modell einer Haftpflichtversicherung, die das Land für Schulärzte abgeschlossen hat. Das ist ein interessantes Modell, Schulärzte haben so eine wichtige Rolle in der Gesundheitspflege.

STANDARD: Abgesehen von Masern – was ist der optimale Impfschutz?

Rendi-Wagner: Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres sollte man die Grundimmunisierungen laut Impfplan haben. Eine Auffrischung im Schulalter und dann im Zehnjahrestakt ist empfehlenswert. Bis zum zwölften Lebensjahr stehen die kostenlosen Meningokokken- und die HPV-Impfung an. Und für Österreicher ist auch die FSME-Impfung relevant.

STANDARD: Die wenigsten Menschen kennen ihren Impfstatus. Wie behalten Sie die Übersicht?

Rendi-Wagner: Zugegeben, es ist tatsächlich komplex, und optimalerweise haben Hausärzte den Überblick. Wir diskutieren seit Jahren eine elektronische Impfdokumentation und sind da ein wichtiges Stück weitergekommen. Ärzte und Bevölkerung würden auf jeden Fall davon profitieren.

STANDARD: Wie steht es um die HPV-Durchimpfung?

Rendi-Wagner: Wir stellen ab Herbst auf den Neunfachimpfstoff um, weil er eine Abdeckungsrate von 90 Prozent gegen krebserregende HPV-Stämme hat. Bei der Durchimpfungsrate stehen wir bei 50 Prozent. Für das erste Jahr HPV im kostenlosen Impfprogramm ist das ein guter Schnitt, aber wir geben uns nicht zufrieden. HPV ist ein Beispiel, dass Aufklärung eine erfolgreiche Strategie im Gesundheitswesen sein kann. (Karin Pollack, 19.5.2016)