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Auf globaler Ebene – egal, ob die Welt amerikanisiert, sinisiert oder europäisiert wird – braucht es Gestalter von wetterfesten Weltordnungsstrukturen. Solidarität endet nicht an den europäischen Außengrenzen.

Foto: ap / Kevin Frayer

Schwer tat ich mir. Tue es eigentlich immer noch: ihm den unabhängigen und überparteilichen Kandidaten abzukaufen. Nun ist Alexander Van der Bellen Präsident für alle. Als Unabhängiger erinnere ich den Unabhängigen nun gerne an die Grundwerte seiner Partei wie Gewaltfreiheit, Solidarität oder Basisdemokratie. Trotz oder gerade wegen der Internationalität des formal höchsten Amtes im Staat soll er aber auf Teile seiner "Heimat" und seiner Grundwerte nicht ganz vergessen.

Natürlich haben Wahlkämpfe eigene Regeln, aber nun sollte auch in der EU-Frage dringend wieder differenziert werden. Nicht aus einer Gartenzaun-Mentalität, sondern aus Sicht des Weltbürgers formt sich ein Ja und Amen zur EU angesichts der multiplen EU-Krise als gefährliche Drohung. Sieben Gedanken, wie bei der Repräsentation nach außen die eine oder andere Brücke Richtung Frieden geschlagen werden kann.

Gewaltfreiheit, ein grüner Grundwert

Erstens zählt Gewaltfreiheit zu den Grundwerten der Grünen. International ist das Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen festgemacht. Fast ein "No na ned" für ein neutrales Land, wären da nicht die permanenten EU-Militäreinsätze, an denen sich auch Österreich als Musterschüler so fleißig beteiligt.

Die EU hat verdeutlicht, Soldaten nötigenfalls auch ohne Uno-Mandat – also völkerrechtswidrig – in "Battle group"-Einsätze zu schicken. Hierzulande hofft die Politik, sich um eine Entscheidung zwischen Völkerrecht und EU-Solidarität drücken zu können. Die Kriege im Kosovo und Irak haben die internationalen Beziehungen nachhaltig beschädigt und sind ein Mahnmal für falsch verstandene Solidarität jenseits des Völkerrechts. Einige Hofer-Wähler kommen ihm auf der Brücke der Kriegsverweigerung sicher weit entgegen und verdeutlichen eine Haltung zur Stärkung des Völkerrechts.

Militärische Interventionstruppen

Zweitens – bleiben wir beim Thema Oberbefehlshaber – schickt Österreich überproportional viele Militärs in EU-Einsätze. Entsendet schon die EU nur rund 25 Prozent Zivile, mehrheitlich Polizisten, in globale Einsätze, sind es im Falle Österreichs nur etwa zehn Prozent. Friedensmacht schaut anders aus.

Als Oberbefehlshaber des Militärs wäre sein Wort in Richtung Prioritätenumkehr gewichtig und integrierend. Militärische Interventionstruppen hat die EU genug, sehr oft fehlt es aber an einer gemeinsamen außenpolitischen Haltung. Etwa wenn es um Palästina, Kosovo, Flüchtlinge oder Atomwaffen in der EU geht.

Zivile Prävention als Konfliktbearbeitung

Zivile Prävention ist, drittens, die beste, billigste und glaubwürdigste Form der Konfliktbearbeitung. Nach der aktuellen Sicherheitsstrategie Österreichs ist ihr sogar der Vorrang einzuräumen. Doch die Bemühungen bleiben vergleichsweise bescheiden.

Der Bundespräsident kann Koalitionen innerhalb und außerhalb der EU mit der Staaten- und Gesellschaftswelt suchen, um Fluchtursachen zu beseitigen – anstatt Flüchtlingspolitik auf nationaler und europäischer Ebene weiter zu "versicherheitlichen" und zu militarisieren. Besser vorher aktiv werden, als hinterher Waffen zu liefern und Zäune zu bauen. Und ein neuer Schritt auf der gebauten Brücke ist getan.

Wetterfeste Weltordnungsstrukturen

Viertens ist Außenpolitik seit 1995 mit einigen Ausnahmen eine vergleichsweise monokulturelle Angelegenheit geworden. Hier ist wieder mehr Pluralismus herzustellen. Es braucht gesamteuropäische Initiativen unter Einschluss von Russlands zur Sicherheits- und Vertrauensbildung oder zur Abrüstung.

Auf globaler Ebene – egal, ob die Welt amerikanisiert, sinisiert oder europäisiert wird – braucht es Gestalter von wetterfesten Weltordnungsstrukturen, die die heute laufenden globalen ökonomischen und politischen Machtübergänge konstruktiv unterstützen. Zumindest in der Vergangenheit hat das neutrale Österreich hier eine wichtige Rolle gespielt, wobei auch die ökonomisch ärmsten Regionen nicht vergessen werden dürfen. Solidarität – so ein grüner Grundwert – endet nicht an den europäischen Außengrenzen.

Motor für Abrüstung

Beachtliche Initiativen hat Österreich jüngst im Bereich der Abrüstung gesetzt. Der "Humanitarian Pledge" zur vollständigen nuklearen Abrüstung wurde weltweit von 127 Staaten unterstützt. Allerdings sind nur vier davon aus der EU, nämlich Österreich, Malta, Irland und Zypern (alle neutral oder paktfrei). Hier braucht es viel diplomatisches Geschick, um in der eigenen Wertegemeinschaft Unterstützung zu finden, damit die EU nicht nur eine zentrale Rolle als Rüstungsexportmacht spielt, sondern – fünftens – auch als Motor für Abrüstung fungiert. Die Bevölkerung ist davon überzeugt und nicht gespalten. Für die EU-Agentur zur Steigerung der Rüstungsexporte hat die EU jedenfalls keinen Friedensnobelpreis erhalten.

Politik der doppelten Standards

Was dem designierten Bundespräsidenten, Universitätsprofessor und basisdemokratieerprobten Van der Bellen nicht schwerfallen wird, er aber trotzdem – sechstens – nicht vergessen soll: Reich an außenpolitischen Expertisen, praktischen Ansätzen und Vorschlägen ist das breite Spektrum an wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen. Die vielfache Instrumentalisierung muss einer ernstgemeinten gesamtstaatlichen Einbindung weichen. Ein Bundespräsident hat da mehr als nur Symbolkraft.

Nicht selten setzten sich national wie europäisch Wirtschafts-, Energie- und Geopolitik-Interessen gegen "europäische Werte" (zum Beispiel Menschenrechte) durch. Exportinteressen bringen oftmals mehr Gewicht auf die Waage als die Unterstützung bei der Entwicklung eines regional überlebensfähigen Wirtschaftskreislaufs in Ländern des globalen Südens. Die Politik der doppelten Standards spielt bei der Glaubwürdigkeit des europäischen Projekts eine besondere Rolle.

Neue Kultur der Zusammenarbeit

Die Außen- und Sicherheitspolitik ist auch im europäischen Kontext ein weitgehend demokratiefreier Raum. Die EU-Rüstungskonzerne setzen den freien Markt außer Kraft, und teils absurde Geheimhaltungspflichten und Bündnisloyalitäten verhindern eine offene Debatte über die Werte und die Möglichkeiten der Umsetzung.

Viele haben im Wahlkampf aus guten Gründen mehr Demokratie gefordert. Auch wenn der österreichische Präsident kein Sesserl in Brüssel hat, so darf er – gemeinsam und internationalistisch – über Bürgernähe und demokratische Mitsprache nachdenken und Allianzen schmieden. Dabei geht es, um keine falschen Freunde zu gewinnen, nicht um nationale Interessen.

Eine neue Kultur der Zusammenarbeit nach innen und außen steht mit Präsident Van der Bellen auf dem Programm. Von einem Internationalisten wird jedenfalls auch ein Stück Kultur des Friedens erwartet. (Thomas Roithner, 27.5.2016)