Sterling Ruby wurde mit seinen Spraybildern bekannt. Mittlerweile arbeitet Ruby an anderen Werkgruppen.

Foto: © Melanie Schiff, Courtesy Sterling Ruby Studio

Die Kunstwerke sind verschickt und Sterling Ruby auch schon auf dem Sprung nach Wien. Im Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen in der Himmelpfortgasse wird das Belvedere dem amerikanischen Künstler eine Überblicksausstellung ausrichten – die erste in Europa. Hierzulande ist der in L.A. wohnende 44-Jährige noch nicht so bekannt, wie dies international der Fall ist. Mit seinen Spraybildern wurde Ruby in der Kunstszene berühmt, sie brachten ihm Millionen ein und den Vorwurf, ein Dekorationskünstler zu sein.

Dabei umfasst sein Schaffen eine Vielzahl von Werken, die nicht so einfach konsumierbar sind. Von glasierten biomorphen Keramiken über gegossene Urethan-Skulpturen bis hin zu riesigen Pappkartonbildern reicht ein OEuvre, das ihn zu einem der wichtigsten Künstler seiner Generation gemacht hat – und auch zu einem der unberechenbarsten: Gemeinsam mit dem ehemaligen Dior-Designer Raf Simons entwarf Ruby vor zwei Jahren eine großes Aufsehen erregende Modekollektion, in der sowohl seine Spraybilder als auch seine Beschäftigung mit der Bauhaus-Ästhetik einen Widerhall fanden. Im Fokus der Wiener Ausstellung stehen Arbeiten, die sich mit militärischem Imperialismus und Kriegsrhetorik auseinandersetzen. Wir erreichten Sterling Ruby an einem Junimorgen in seinem Atelier in Kalifornien.

STANDARD: Ihr Atelier in Los Angeles ist 8.000 Quadratmeter groß ...

Sterling Ruby: Nein, nein, es misst sogar doppelt so viel. Es besteht aus einem Gebäudekomplex aus vier verschiedenen Gebäuden.

STANDARD: Ganz schön groß. Eine Menge Leute arbeiten dort für Sie. Muss man sich Ihre Arbeit in etwa so vorstellen, wie wenn Sie ein Unternehmen führen würden?

Ruby: Es sind im Durchschnitt zehn Leute, die für mich arbeiten. Okay, wenn richtig viel los ist, können noch einige dazukommen. Aber schauen Sie sich mal meine Arbeiten an, dafür ist das ein recht kleines Team. Ich glaube nicht, dass heute noch irgendwer glaubt, dass ein Künstler allein in seiner Stube sitzt und dort versonnen an seiner Kunst bastelt. Das war im Übrigen auch kaum so. Dieses Bild des einsamen Künstlers ist nicht viel mehr als ein Mythos. Raum gibt mir Autonomie und Freiheit, er muss aber nicht zwangsläufig groß sein.

STANDARD: Den muss man sich auch leisten können. Am Anfang Ihrer Karriere schufen Sie eher intime Kunstwerke. Hängt die Größe Ihrer Arbeiten auch mit dem Erfolg der letzten Jahre zusammen?

Ruby: Ich habe immer schon abwechselnd an kleinen und sehr großen Kunstwerken gearbeitet. Als ich vor 20 Jahren in einer Wohnung in Chicago arbeitete, war das nicht anders als heute in meinem Atelier. Das ist eine Konstante in meinen Arbeiten. Ich habe immer die Arbeiten von Donald Judd bewundert, die Freiheit, die ihm sein Anwesen in Marfa (ein Ort in Texas, Anm.) geboten hat. Er konnte seine Arbeiten auf seinem eigenen Grundstück zeigen. Ich habe vor Jahren beschlossen, dass ich so etwas Ähnliches auch für mich möchte.

Sterling Ruby, Sandal (4828), 2014
Foto: Robert Wedemeyer, Courtesy Sterling Ruby Studio

STANDARD: Bronze- und Keramikarbeiten, Stoffe und Stahl, Urethan und Resopal: Ihre Arbeiten zeichnen sich teilweise durch abenteuerliche Materialkombinationen aus: Wie wählen Sie sie aus?

Ruby: Ich habe Materialien immer nach dem historischen, sozialen oder formalen Kotext ausgewählt. Wichtig ist mir, dass das Material selbst anspielungsreich ist. Und dann gibt es natürlich immer die Frage, wie man es einsetzt. So, wie es die Konvention will, oder auf eine ganz andere Art und Weise? Meistens entscheide ich mich für Letzteres.

STANDARD: Der Akt der Herstellung selbst ist Ihnen sehr wichtig. Sind Sie ein guter Handwerker?

Ruby: Im ländlichen Pennsylvania, wo ich aufgewachsen bin, war das Handwerk eine wichtige Sache. Es gab dort viele Holzarbeiter, Schmiede, Bauern. Handwerk hatte einen Wert.

STANDARD: Und das haben Sie dort alles gelernt?

Ruby: Meine Ausbildung unterscheidet sich sehr von jener vieler anderer Künstler. Ich habe eine vierjährige Kunstausbildung absolviert, bei der ich gelernt habe, wie man eine Leinwand aufzieht, wie man Farben mischt, ich habe alles über Perspektive gelernt, wie man Bilder und Skulpturen herstellt. Auf vielen Kunstunis lernt man das heute nicht mehr. Ich habe immer wissen wollen, wie man Dinge herstellt. Das gibt mir die Freiheit, mich davon freizuspielen.

STANDARD: Ist es wichtig, dass man als Künstler weiß, wie es geht, selbst wenn man es am Ende ganz anders macht?

Ruby: Es war wichtig für mich, und es war auch eine Art Mantra für meine Lehrer. Man kann nur mit Form und Geschichte brechen, wenn man sie kennt. Aber ich glaube, dass das heute nicht mehr so wichtig ist und sich andere Künstler kaum mehr darum scheren. Ich habe aus dem Faktum, dass ich es kann, immer viele Freiheiten gezogen.

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Die Hosen ein Widerhall der Spraybilder, der Pulli in Bauhaus-Optik: Die Kollektion, die Sterling Ruby 2014 gemeinsam mit Raf Simons entwarf, war schnell ausverkauft.
Foto: AP

STANDARD: Sie haben in Ihrer Jugend auch nähen gelernt. Das ist recht ungewöhnlich für einen Buben. Stammt daher auch Ihre Leidenschaft für Textilien und Mode?

Ruby: Was die Geschlechterrollen anbelangt, war die Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, sehr konservativ. Die Sphäre der Männer war die Arbeit, jene der Frauen der Haushalt. Es war für mich nicht einfach als Kind, ich habe mehr Zeit mit meiner Mutter und mit meiner Großmutter verbracht als mit sonst irgendjemandem. Mit den Männern in meiner Familie habe ich mich unwohl gefühlt, noch viel unwohler mit den Männern und Buben in der Gegend. Also habe ich nähen gelernt, das war eine sehr kreative Sache. Ich habe meine selbstgenähten Klamotten getragen, das war für meine Identität sehr wichtig.

STANDARD: Vor zwei Jahren haben Sie zusammen mit dem Designer Raf Simons eine eigene Kollektion entworfen. Wie haben Sie die Modewelt erlebt?

Ruby: Nicht anders als die Kunstwelt. Es war ein spannendes Projekt. Raf arbeitet sehr ähnlich wie ich.

STANDARD: Kunst und Mode vertragen sich nicht immer gut. Die Kunstwelt blickt gerne auf die Modeleute hinunter ...

Ruby: Vielleicht sehen das andere Leute so, mich interessiert das Denken in solchen Schubladen nicht. Das ist zu einfach gedacht, wenn man das eine gegen das andere ausspielt.

Sterling Ruby, FIGURES (IT.MT.DNM.), 2015
Foto: Courtesy Sterling Ruby Studio

STANDARD: Sie machen keine Unterscheidung zwischen Kunst- und Modewelt?

Ruby: Aus der Perspektive des Kreativprozesses: Nein.

STANDARD: Themenwechsel: Sie wurden sehr populär mit Ihren Spraygemälden. Sie haben insgesamt über 280 angefertigt. Wurden sie Ihnen zu dekorativ, dass Sie mit ihnen aufgehört haben?

Ruby: Ich glaube, ich habe in den letzten drei Jahren nur mehr drei von ihnen gemacht. Es ist einfach so, dass man mit gewissen Werkgruppen an ein Ende gelangt. Aber das heißt nicht, dass ich diese Art von Arbeiten nie mehr machen werde. Ich denke, keines meiner Werke ist zu dekorativ, das ist nicht der Grund, warum ich damit aufgehört habe.

STANDARD: Dekorative Werke können viel einfacher verkauft werden als große Skulpturen. Spielt das keine Rolle in Ihrem Denken?

Ruby: Darüber denke ich überhaupt nicht nach.

STANDARD: In den USA ist der Kunstmarkt noch stärker geldgetrieben als in Europa. Wie reagiert man da als Künstler darauf?

Ruby: Mir ist das komplett egal. Und im Übrigen denke ich nicht, dass dies ein US-amerikanisches Phänomen ist, es ist ein globales Phänomen.

STANDARD: Fragen zum Markt scheinen Sie nicht gerne zu hören, warum?

Ruby: Weil Sie mit mir über etwas sprechen, das nichts mit meiner Kunst oder den Ideen, die dahinterstecken, zu tun hat. Meine Arbeiten handeln nicht vom Kunstmarkt. Ich denke über solche Fragen auch nicht nach, ich schätze mich glücklich, dass ich über ein Einkommen verfüge, das es mir ermöglicht hat, mein Werk in eine Richtung zu lenken, die mir wichtig war. Ich treffe in meiner Kunst keine Entscheidungen, die auf irgendwelchen ökonomischen Überlegungen basieren.

STANDARD: In ein paar Tagen wird im Wiener Winterpalais Ihre Ausstellung eröffnet. Wie werden Sie auf die hochbarocken Räumlichkeiten Bezug nehmen?

Ruby: Der Kurator Mario Codognato und ich haben beschlossen, einige meiner militärisch angehauchten Arbeiten diesem Palais von Prinz Eugen von Savoyen gegenüberzustellen. Das Gold, die Kronleuchter, all der Prunk werden einen Gegensatz zu meinen Arbeiten darstellen. Wir werden Mobiles zwischen die Leuchten hängen, werden seltene Bronzearbeiten ausstellen, Metallskulpturen werden zu sehen sein, wir werden Wandteppiche aufhängen, mit Variationen der amerikanischen Flagge spielen.

STANDARD: Hilft es, wenn man ein solch starkes Gegenüber hat wie das Winterpalais? Oder macht das das Arbeiten schwieriger?

Ruby: Ich versuche, mit meinen Arbeiten immer auf Kontexte zu reagieren. Aber das Winterpalais ist natürlich sehr speziell, so unglaublich ornamental. Der Denkprozess ist ein anderer, wenn man hier ausstellt.

STANDARD: Sie leben in L.A. Die Stadt wurde in den vergangenen Jahren unter Kreativen sehr populär. Wie beeinflusst die Stadt Ihre Arbeit?

Ein Rendering zur Ausstellung im Wiener Winterpalais.
Foto: Robert Wedemeyer

Ruby: Ich bin schon vor 15 Jahren hierher gezogen, damals war das eine ganz andere Stadt. Mir war damals die Geschichte dieser Stadt wichtig, vor allem jene der Kunst. L.A. war für mich nie eine wirkliche Stadt, eher ein Konglomerat unterschiedlicher Vororte, ein Pasticcio verschiedener Geografien. Die Schizophrenie dieser Stadt beeinflusst meine Arbeit sehr.

STANDARD: Jetzt treffen Ihre in L.A. entstandenen Arbeiten auf ein barockes Wiener Palais. Welches Verhältnis haben Sie zu Wien?

Ruby: Viel Zeit habe ich in Wien nicht verbracht, aber was mir wirklich nahe geht, sind die Wiener Aktionisten. Als ein Künstler aus Los Angeles fühle ich eine große Nähe und Hochschätzung ihrer Arbeiten.

STANDARD: Was schätzen Sie an ihnen?

Ruby: Die Aggression, die sie durch ihre Kunst vermittelten. Künstler waren immer gut darin, durch ihre visuelle Sprache Zorn und Aggression auszudrücken. Und die Wiener Aktionisten haben das formal sehr gut umgesetzt. (Stephan Hilpold, RONDO, 1.7.2016)