Luftaufnahme auf das Hafenviertel und das Hafenbecken von Ephesos. Die Ausgrabungsfläche im Vordergrund ist markiert hervorgehoben.

Foto: ÖAW/ÖAI, Ludwig Fliesser

Das Grabungsteam beim Abtragen der obersten Schichten.

Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail

Blick auf die spätantiken Wohnbauten mit der Marienkirche rechts.

Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail

Bodenradarmessung im Areal der Wohnbebauung.

Foto: ZAMG

Eingestürzte Ziegel des Tondachs überziehen die Grabungsflächen.

Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail

Steinsetzungen des 12. bis 14. Jahrhunderts n. Chr. – die bislang jüngsten archäologischen Befunde in Ephesos.

Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail

Wer jetzt im Ramadan nicht von den Trommeln, die um vier Uhr morgens zum Frühstück rufen, oder etwa eine Stunde später vom Gebet des Muezzins aufwacht, ist zweifelsohne mit einem guten Schlaf gesegnet oder hat bereits einige anstrengende Grabungswochen hinter sich. So richtig geschäftig wird es im Grabungshaus des ÖAI in der nahe der antiken Stätte gelegenen Stadt Selçuk erst um halb sieben, schnell wird noch gegessen, Wasser abgefüllt und die notwendigen Arbeitsutensilien zusammen gesucht. Kurz vor sieben Uhr sitzen wir, ein bunt zusammengewürfeltes Archäologenteam aus Österreich, der Türkei, Rumänien, Frankreich und Deutschland in den Kleinbussen, die uns vom Grabungshaus in das ein paar Kilometer entfernte Ephesos im Westen der Türkei bringen.

Als wir ankommen, warten unsere Arbeiter bereits bei den Schnitten; rasch werden die Messgeräte eingerichtet. Es muss gar nicht viel gesprochen werden, denn jeder kennt seine Aufgabe. Die Temperaturen lassen bereits in den frühen Morgenstunden wieder einen heißen Tag befürchten, die nun schon lange andauernde Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 45 Grad setzt allen zu. Kurze Zeit später hört man aus unterschiedlichen Bereichen ein beständiges Hacken der kleinen Krampen, Kratzen der Kellen und das Geräusch des Staubsaugers, mit dem gerade eine Fläche gereinigt wird.

Vergessenes Areal

Die Lage des Grabungsplatzes ist beeindruckend: Direkt nördlich anschließend liegt die einstige Bischofskirche, Besuchern von Ephesos besser bekannt als Marienkirche. Im Westen ragen die mächtigen Überreste einer Badeanlage aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. auf, dahinter befindet sich das einstmals prächtige Hafenbecken, heute ein geschütztes Biotop mit seltenem Fisch- und Vogelbestand. Nur mehr wenig erinnert an dieses pulsierende Stadtviertel mit Kaianlagen, Ankerplätzen, Warenhäusern, Spelunken und den prächtigen Hafentoren, die in die Stadt führten. Alles ist dicht überwuchert, Rodung hier daher der erste Schritt jeder archäologischen Forschungstätigkeit.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden im Hafenviertel, in dem ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. das Stadtzentrum lag, Wohnhäuser ausgegraben, aber nur unzureichend dokumentiert. Unsere Vorgänger waren mehr an den Monumentalbauten der römischen Kaiserzeit als an dieser kleinteiligen Bebauung aus der Spätzeit der Stadtgeschichte interessiert. Bald geriet das Areal wieder in Vergessenheit und die Natur eroberte sich die ausgegrabenen Bereiche zurück. Erst als in den vergangenen Jahren der Forschungsschwerpunkt in Ephesos auf die Transformationszeit zwischen Antike und der türkischen Eroberung der Region gelegt wurde, rückten auch die Häuser wieder in das Zentrum des Interesses.

Ein Haus freilegen

Ursprünglich war geplant, die bereits bekannten Bauten neuerlich zu reinigen, genau zu dokumentieren und partiell kleine Grabungen durchzuführen zur Klärung der Chronologie. Als sich aber während der geophysikalischen Prospektion durch die ZAMG in noch unerforschten Bereichen des Areals weitere Wohnbauten deutlich abzeichneten, wurde die Strategie geändert und die paradigmatische Freilegung eines solchen Hauses in Angriff genommen.

Während Ausmaße und Raumaufteilung an den Georadarbildern ablesbar waren, liegt die Erkenntnis durch die Grabungen in den zahlreichen Details. Bereits knapp unter der Humuskante lag über die gesamte Fläche der Ziegelversturz des Daches, ein sicheres Indiz dafür, dass alle darunter liegenden Schichten durch spätere Eingriffe nicht gestört wurden. In minutiöser Feinarbeit gelang es, Trockenmauern und dazugehörige Gehniveaus freizulegen, die zu den spätesten Überresten der Stadt Ephesos gehören. Nichts erinnert mehr an die Prachtstraßen und Repräsentationsbauten der römischen Kaiserzeit, spätestens im 14. Jahrhundert war Ephesos nicht viel mehr als ein kleines, Seuchen geplagtes Dorf, wo man in den ehemaligen Sportstätten Ackerbau und Viehzucht betrieb und die antiken Bauwerke als Müllhalden und als Steinbrüche benutzte. Unser spätantikes Haus wurde zwar noch immer von Menschen bewohnt, allerdings längst seiner ursprünglichen Ausstattung beraubt. In ehemaligen Repräsentationsräumen lagen nun Werkstätten, die Höfe waren mit Schutt verfüllt.

Massive Zerstörung

Einige Wochen später und zahlreiche Schichten tiefer treffen wir auf Nachweise einer massiven Zerstörung. Eine Brandkatastrophe, deren Ursache noch nicht geklärt ist, setzte dem Leben im Haus ein plötzliches Ende. Zurück blieb – ein Glücksfall für uns Archäologen – der Hausrat: in einem Raum Handmühlen und dazu gehörige Vorratsgefäße, in einem anderen Spinn- und Webwerkzeug, aber auch die Reste von Türen, Fenstern, Kästen, Truhen und Schatullen.

Ein sorgfältig verstecktes Bronzegefäß (Authepsa), das zum Aufkochen von Flüssigkeiten verwendet wurde, lässt an ein Bedrohungsszenario denken, das die Menschen dazu veranlasste, ihre Wertsachen in Sicherheit zu bringen, in der Hoffnung, sie später wieder bergen zu können. Mehr als 5000 Münzen, viele davon aus den Zerstörungsschichten, sowie das Fundmaterial aus Glas, Keramik und Metall geben uns einen klaren Hinweis auf den Zeitpunkt der Katastrophe, die im dritten Viertel des 7. Jahrhunderts n. Chr. stattgefunden haben muss.

Rekonstruktion der Obergeschoße

Teilweise ist es uns sogar möglich, die Ausstattung der Obergeschoße zu rekonstruieren: In den Zerstörungsschichten finden sich Elemente der Decken- und Bodenkonstruktion, Marmorplatten, Wandmalereien und Fensterglas. Noch wesentlich detaillierter kann das Aussehen und die Funktion der Räume im Erdgeschoß rekonstruiert werden.

Das Zentrum des Hauses bildete ein offener Hof, von dem aus im Süden ein prächtig ausgestatteter Repräsentationstrakt betreten werden konnten. Schwert und Lanze, die in einem dieser Räume gefunden wurden und die ursprünglich als Insignien an der Wand aufgehängt waren, weisen den Hausherrn als Mitglied der lokalen Elite aus.

Ein Vorratsgefäß aus Keramik, gefunden in der Zerstörungsschicht des Hauses.
Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail
Das Authepsa in Fundlage.
Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail
Eine byzantinische Münze, geprägt in Nikomedia.
Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail
Apsidaler Repräsentationsraum mit Opus-Sectile-Boden.
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Polychromer Mosaikboden aus dem Repräsentationtrakt des Hauses.
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Byzantinisches Schwert, gefunden im Repräsentationstrakt des Hauses.
foto: öaw/öai, niki gail
Eine Werkstätte des 6. Jahrhunderts mit Handmühlen, einer Ölpresse, einem Pithos sowie zwei Herden.
Foto: ÖAW/ÖAI, Niki Gail

Ein neues Kapitel der Stadtgeschichte

Dem Wohntrakt sind hauswirtschaftliche Bereiche, aber auch Werkstätten angeschlossen, in denen landwirtschaftliche Güter verarbeitet wurden. Wohnen und Arbeiten bildeten sowohl räumlich als auch zeitlich eine Einheit. Im rückwärtigen Teil des Hauses lagen Gärten und Felder, die sich zum Anbau von Feldfrüchten, aber auch zur Viehhaltung eigneten.

In wenigen Wochen wird die Grabung endgültig abgeschlossen sein und mit den auf 3.600 Kubikmetern gewonnenen neuen Erkenntnissen werden wir den Versuch unternehmen, das vielleicht schwierigste Kapitel der Stadtgeschichte von Ephesos, nämlich jenes seines Absinkens in die Bedeutungslosigkeit, neu zu schreiben. (Helmut Schwaiger, 30.7.2016)