Stürmer Mario Gomez und sein Muskelfaserriss im rechten Oberschenkel. Keine schwere Verletzung, aber trotzdem so schwer, dass er bei dieser EM nicht mehr spielen wird.

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Wien/Salzburg – Fußball heißt Körperkontakt, auch der brutalen Art: Es wird am Trikot des Gegners gezogen, gestoßen, gegrätscht, Ellbogen oder Faust ausgefahren, ins Schienbein oder Knie getreten. Die deutsche Nationalmannschaft hat das zu spüren bekommen, vor allem das Spiel gegen Italien hinterließ seine Spuren: Sami Khedira laboriert an einer Adduktorenverletzung, Sebastian Schweinsteiger erlitt nach einer Attacke eine Außenbandzerrung am rechten Knie. Pech auch für Mario Gomez, den im Viertelfinalspiel ein Muskelfaserriss im rechten Oberschenkel außer Gefecht setzte.

Schätzungen zufolge entfallen zwischen 50 und 60 Prozent der in Europa registrierten Sportverletzungen auf das Spiel mit dem Fußball. Je niedriger das Niveau, desto höher das Risiko für Meniskus, Sprunggelenke und Kreuzbänder, wie eine aktuelle skandinavische Studie gezeigt hat. Das Ergebnis: Profis erleiden signifikant weniger Rezidive als Amateure. Der Grund für das erhöhte Wiederverletzungsrisiko: "In den unteren Ligen sind die Platzverhältnisse schlechter, ebenso der Trainingszustand der Spieler", erklärt Jörg Eichinger, Kardiologe und Sportmediziner in Salzburg.

Besonders im Sport gilt: Prävention ist häufig auch eine Frage des Geldes. Neben den liebevoll gepflegten und akkurat getrimmten Grasflächen für die Vollprofis wirken die Spielwiesen von Amateur- und Hobbymannschaften vergleichsweise wie holprige Bolzplätze. Ein weiterer Unterschied: die Trainingsbedingungen. In der höchsten Spielklasse setzen die Vereine zunehmend auf individuelles Training, auch in Österreich. "Vor Saisonbeginn werden sämtliche Spieler gescreent und so die Defizite jedes Einzelnen erkannt – etwa welche Muskeln verkürzt und zu wenig trainiert sind. Für jeden Spieler gibt es dann ein maßgeschneidertes Fitnessprogramm", berichtet Eichinger.

Die Macht der Gene

Aber nicht nur die Vorbereitung auf eine Spielsaison oder ein Großereignis haben einen erheblichen Einfluss auf das Verletzungsrisiko. "Genauso wichtig ist auch die Regeneration", so der Sportmediziner. "Eine Analyse hat gezeigt, dass sich in den Regionalligen Nordeuropas die Spieler eher verletzen, weil sie übertrainiert sind. In Südeuropa gibt es hingegen häufiger Kreuzbandrisse ohne Fremdeinwirkung. Das liegt daran, dass dort das Training mit dem Ball einen höheren Stellenwert hat – und die Spieler so weniger den enormen Belastungen einer gesamten Spielzeit gewachsen sind."

Topspieler behaupten zwar häufig, sie wären nur durch die Mühen auf dem Trainingsplatz bis an die Spitze gekommen, doch das dürfte nur die halbe Wahrheit sein. Die andere Hälfte ihrer Fähigkeiten bekamen Ronaldo und Co regelrecht in die Wiege gelegt. "Wenn man die Relation zwischen den genetischen Voraussetzungen und dem Trainingsfleiß für den Erfolg eines Fußballers betrachtet, liegt man bei 50 Prozent für beide Faktoren bestimmt nicht schlecht", sagt Steffen Just, Molekular- und Entwicklungsbiologe an der Uniklinik Ulm.

Der Experte betont aber, dass es so etwas wie das Fußballgen schlechthin nicht gebe. "Es ist eine Kombination von Genen verantwortlich. Die Wissenschaft weiß aber bei weitem noch nicht, welche Kombination das sein muss. Schließlich ist schon die Frage, welche Gene für ein Merkmal wie beispielsweise eine ausgeprägte Muskulatur zuständig sind, schwer zu beantworten." Diese genetisch bedingten Unterschiede im Körperbau haben laut Jörg Eichinger auch einen Effekt auf das Verletzungsrisiko. "So ist beispielsweise Wayne Rooney rein physiologischen deutlich anfälliger als etwa Christiano Ronaldo."

Das Pech mit dem Restrisiko

Nur unzureichend berücksichtigt wurde dem Sportmediziner zufolge bislang der Einfluss der Ernährung. In einer Studie wurde etwa der Effekt von Putenfleisch aus Massentierhaltung auf den Organismus von Athleten eruiert. "Der Salat mit Putenbruststreifen zählt ja gemeinhin als gesundes Essen für Sportler. Es zeigte sich allerdings, dass Fleisch aus konventioneller Haltung einen extrem hohen Anteil entzündungsfördernder Arachidonsäure enthält, die mit einem signifikant erhöhten Risiko für Achillessehnenrisse assoziiert ist", erläutert der Experte.

"Etwa ein Drittel der Verletzungen lässt sich auch durch Prävention nicht verhindern", schätzt Eichinger. Das liegt wohl in der Natur der Sache: denn Fußball zeichnet sich durch schnelle Bewegungswechsel und kurzfristige Spitzenbelastungen aus. "Dazu kommt, dass die Spieler bei Großereignissen emotional extrem hochgepusht agieren", so der Sportmediziner. Das führt nicht nur zu Schmerzen, die dem Zweikampf geschuldet sind. Als etwa der niederländische Stürmer Robin van Persie im Jahr 2007 für den FC Arsenal den Ausgleich gegen Manchester United schoss, sprang er so freudvoll in die Luft, dass er sich bei der Landung prompt den fünften Knochens im rechten Mittelfuß brach. (Günther Brandstetter, 7.7.2016)