Grüner Rahmen mit Röhre: Das Allianz-Stadion wurde passgenau auf das enge Grundstück in Wien-Hütteldorf platziert. Vom alten St. Hanappi blieb nur ein Flutlichtmast.

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"Mit kleinem Budget viel erreicht": Stadion-Architekt Guido Pfaffhausen.

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Jetzt wird schon wieder was angepfiffen! Nicht einmal eine Woche Erholung blieb dem Fußballfan nach dieser kaugummizähen EM, die so lang dauerte, dass sie überhaupt niemals mehr aufzuhören schien. Doch nach dem Spiel, das wusste schon Trainerlegende Sepp Herberger, ist eben vor dem Spiel, und am Samstag geht die wichtigste Hauptsache der Welt in die nächste Runde. Wenn die Spieler von Rapid Wien gegen den FC Chelsea mit dessen frisch eingekauftem italienischem Rumpelstilzchen-Trainergenie Antonio Conte antreten, tun sie es im Namen der Architektur: zur Eröffnung des neuen Stadions in Wien-Hütteldorf.

Bitterernste Glaubenssache

Offiziell Allianz-Stadion getauft, ist die Namensgebung bitterernste Glaubenssache. Für die einen wird es immer St. Hanappi bleiben, für die sponsorenskeptische Fanabteilung propagiert das "Weststadion", der Streit um die Namenshoheit wird auf allen verfügbaren Wänden um das Stadion grafittiintensiv ausgefochten. Für die Allianz ist es schon das sechste Stadionbranding, das bekannteste darunter zweifellos die Arena in München, entworfen von den Schweizer Architekturstars Herzog und de Meuron.

Ernsthaft diskutiert wurde eine bauliche Veränderung des 1978 errichteten Hanappi-Stadions erstmals 2012, damals noch mit der Option eines Umbaus. Anfang 2014 startete der neue Präsident Michael Krammer das Bieterverfahren für einen Neubau, als Sieger ging die STRABAG gemeinsam mit dem deutschen Architekten Guido Pfaffhausen hervor. Von den 53 Millionen Euro Baukosten steuert die Stadt Wien etwas weniger als die Hälfte bei. 28.600 Plätze (bei internationalen Spielen 24.000), Eventlogen, VIP-Bereich und Fanshop waren unterzubringen.

Balance mit Bratwurst

Der Balanceakt zwischen Lachshäppchen und Bratwurst, zwischen zahlungskräftigen VIP-Gästen und eingeschworenen Fans, zwischen Sitzplatz und Stehplatz ist dem zweigeteilten Stadionentwurf anzusehen, der in das eng bemessene Grundstück eingepasst wurde: die um 90 Grad zum Vorgängerbau gedrehte Arena selbst, in standesgemäßes Grün eingehüllt, für den bodenständigen Zugang, daneben nimmt eine hinter die westliche Tribüne geklemmte, etwas schwergewichtige Röhre, deren Stirnseite vollflächig mit dem Vereinswappen ausgefüllt ist, die Logenplätze auf.

Nicht alle waren mit den Plänen zufrieden, und der Dissens beschränkte sich nicht auf Ballestererkreise. Schon beim Bieterverfahren protestierte die Architektenkammer, dass für eine so wichtige Bauaufgabe kein offener Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Heute, da das Stadion nach rund 20 Monaten Bauzeit eröffnet wird, hat sich daran nichts geändert, wie Bernhard Sommer, Vizepräsident der Kammer der Architekten und Ingenieure für Wien, Niederösterreich und Burgenland, auf Anfrage des STANDARD erklärt: "Es ist traurig und verwunderlich, dass eine Bauaufgabe, die in anderen Ländern als erstrangige baukulturelle Aufgabe gesehen wird, ohne offenen Wettbewerb vergeben wurde. Vor allem, wenn man bedenkt, welches Potenzial in dieser Bauaufgabe steckt."

Öffentliche Gelder

Vergaberechtlich sei die Vorgangsweise ohnehin nur denkbar gewesen, weil der Errichter meine, privat zu sein, obwohl öffentliche Gelder im Spiel seien. Die rechtliche Frage sei jedoch zweitrangig, so Sommer: "Es gibt fast keine öffentlichere Bauaufgabe als ein Stadion; und ein solches unter Ausschluss der Planer-Öffentlichkeit zu entwickeln, zeugt von einem unglaublichen Ausmaß an Ignoranz und fehlendem Sendungs- und Verantwortungsbewusstsein der Verantwortlichen." Eine Kritik, die auch den Stadtrivalen Austria mit einbezieht, denn auch für die bis 2018 laufende Sanierung der Generali-Arena gab es keinen Architekturwettbewerb.

In die gleiche Kerbe schlägt Robert Temel, Sprecher der Plattform für Baukulturpolitik: "Während jede andere bedeutende Stadt die Chance eines Stadionbaus dazu nützen würde, eine architektonische Landmark zu erhalten und einen positiven Beitrag für das städtische Umfeld zu leisten, ist es in Wien schlicht wurscht, wie das ausschaut. Das Problem ist nicht, dass gegen Gesetze verstoßen worden wäre, sondern dass Basis der Entscheidung Kulturlosigkeit war. Beim geförderten Wohnbau achtet die Stadt bei jedem noch so kleinen Haus streng auf Qualitätskriterien – und das ist auch gut so. Aber gerade bei einem Stadionbau, der die umgebende Stadt massiv bestimmt, ist Qualität offensichtlich egal."

Multifunktionale Mega-Arenen

Nun könnte man sich als Laie fragen: Was hat die Baukultur in einem Stadion zu suchen? Geht es nicht vor allem um die Fokussierung auf das Spiel, um Atmosphäre und Stimmung? Und stehen andere Länder wirklich besser da? Eine kurze Sportschau durch die letzten Jahre: in der Champions League multifunktionale Mega-Arenen wie das 2007 errichtete neue Wembley-Stadion von Norman Foster gemeinsam mit den globalen Stadienbauern vom Büro Populous, die auch das Emirates Stadium des FC Arsenal verantworteten.

Elegant sind diese aufgepumpten Fußballverwertungsmaschinen selten, ihre bauliche Qualität liegt eher in der konstruktiven Flexibilität. Ihnen gegenüber stehen die reinen Fußballstadien, darunter architektonische Glanzstücke wie jenes, das Pritzkerpreisträger Eduardo Souto de Moura für die EM 2004 in Portugal in den roh behauenen Fels von Braga setzte. Ein Niveau, das sonst selten erreicht wurde.

Baukultur als Joker

Es dominieren sachliche Funktionsbauten in deutschen Mittelstädten wie Mainz, Aachen und Augsburg, deren Vereine nicht in bayernmünchenhaftem Reichtum schwimmen. Dort gilt das Prinzip "back to basics": steile Tribünen nah am Spielfeld, inszenierte Intensität, nach außen leuchtet es gerne in der jeweiligen Vereinsfarbe. Die Baukultur wird gelegentlich als Joker eingewechselt. In Größe und Budget spielt das neue Wiener Stadion in genau dieser Liga, und architektonisch darf man es dort im oberen Mittelfeld ansiedeln.

Für Stadion-Architekt Guido Pfaffhausen ist es das erste Projekt in Österreich, bisher hat er vor allem Multifunktionshallen in Deutschland realisiert. Im Gespräch mit dem STANDARD rückt er die Verhältnisse zurecht: "Die Münchner Allianz-Arena kostete siebenmal so viel und hat dreimal so viele Plätze. Wir haben versucht, mit dem knappen Budget so viel wie möglich zu realisieren." In bescheidenem Stolz verweist er darauf, dass der Entwurf genau so gebaut wurde wie geplant und fast keine Idee dem Rotstift zum Opfer fiel.

Grüner Edelstein

Er freue sich, so Pfaffhausen, dass seine spontane Idee, das Rapid-Wappen in den Bau zu integrieren, übernommen wurde, und dass es gelang, das Stadion in das enge Korsett der Restriktionen eines städtischen Umfelds einzupassen: "Die Höhe der Fassade war mit 20 Metern begrenzt, deswegen haben wir die Träger über dem Dach angeordnet." Die etwas stachelige Wehrhaftigkeit, die daraus resultiert, sei durchaus gewollt: "Man darf dem Stadion ruhig ansehen, dass es nicht so leicht einzunehmen ist." Weniger martialisch dafür die grüne Hülle aus Makrolon-Platten, die nachts in die Hütteldorfer Umgebung hinaus leuchten wird: "Wie ein grüner Edelstein!"

Spielanalyse: eine verpasste Chance auf die Qualifikation zur architektonischen Champions League, oder ein angemessener Rahmen für Brot, Bratwurst und Spiele? Ganz unparteiisch: Das Geld gibt den Rahmen vor, der Rest ist Ehrgeiz und der Wille zum schönen Spielzug. Sowohl bei der Ballkultur als auch bei der Baukultur. (Maik Novotny, 16.7.2016)