Dass Abtreibungskosten nicht von der Krankenkassa übernommen werden, führt der Gynäkologe Christian Fiala auf den Einfluss der Kirche zurück.

Foto: iStockphoto / Getty Images

Der Einfluss der Kirche auf die Abtreibungsgesetzgebung der Neuzeit werde überschätzt, erklärt Kultur- und Sozialanthropologin Aurelia Weikert.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Unter Maria Theresia – hier auf einem Gemälde von Martin van Meytens – wurde die Todesstrafe auf Abtreibung im gesamten Habsburgerreich eingeführt.

Foto: styriarte

Die Frage, ob Abtreibung erlaubt sein soll oder nicht, war in der Geschichte weniger moralisch als von politischen und ökonomischen Interessen geleitet: Bereits Plato und Aristoteles sahen den Schwangerschaftsabbruch als ein nützliches bevölkerungspolitisches Instrument, um unerwünschtes Bevölkerungswachstum zu verhindern, heißt es im von Robert Jütte herausgegebenen Standardwerk "Geschichte der Abtreibung. Von der Antike bis zur Gegenwart" aus dem Jahr 1993.

Ab der Neuzeit hielt man es in der Abtreibungsfrage allerdings anders als die alten Griechen und wollte das Bevölkerungswachstum ankurbeln. Die Kultur- und Sozialanthropologin Aurelia Weikert erklärt: "In der Frühzeit des Kapitalismus haben europäische Staaten erstmals versucht, mit bevölkerungssteigernden Maßnahmen einzugreifen, da es ein ökonomisches Interesse an Arbeitskräften gab."

Thomas von Aquin: Für das "Selbstverteidigungsrecht" der Mutter

Im Mittelalter bestrafte die weltliche Gerichtsbarkeit Abtreibung laut Jütte grundsätzlich nicht. Das änderte sich 1532 mit der Einführung eines Abtreibungsparagrafen im Rahmen der sogenannten "peinlichen Gerichtsordnung" von Karl V. Diese gilt als rechtshistorischer Wendepunkt zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit. Fortan wurde die Abtreibung des "belebten" Fötus als erschwerte Form des Totschlags bestraft. Allerdings gab es keine einheitliche Auffassung darüber, ab wann ein Embryo als "belebt" galt.

Darüber waren sich auch die Kirchengelehrten im Mittelalter nicht einig, erklärt Weikert. Der theologische Philosoph Thomas von Aquin etwa ging davon aus, dass bei männlichen Föten die "Beseelung" nach vierzig und bei weiblichen nach neunzig Tagen abgeschlossen war. Außerdem gab er im Falle einer Gefährdung der Schwangeren dem Leben der Mutter im Sinne eines "Selbstverteidigungsrechts" den Vorzug vor dem Leben des "beseelten" Fötus. "Andere kirchliche Lehrmeinungen traten dafür ein, ungeborenes Leben in jedem Fall zu schützen", sagt Weikert. "Aber das hatte keinen Einfluss auf die Gesetzgebung, denn der Staat war daran im Mittelalter noch relativ desinteressiert."

Die Mutter als potenzielle Gefahr für das Kind

1572 wurde die "Belebung" des Embryos juristisch mit der ersten Kindsbewegung in der Mitte der Schwangerschaft festgelegt. Ein Abbruch vor diesem Zeitpunkt wurde nun milder bestraft. Knapp zweihundert Jahre später vereinheitlichte Maria Theresia die Strafgesetzgebung für das Habsburgerreich. Nun war die Abtreibung zu jedem Schwangerschaftszeitpunkt mit dem Tod durch das Schwert zu bestrafen.

"Es ging um eine staatliche Geburtenregelung, nicht um eine moralische Vorschrift im Sinne eines Schutzes von Frauen und Kindern", sagt der Mediziner Christian Fiala, der ein Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung in Wien leitet und das dortige "Verhütungsmuseum" gegründet hat. "Der Staat wollte Soldaten, das ist historisch belegt. Daher ging es nicht nur um ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, sondern auch um ein Verbot der Verhütung."

Hebammen und Findelhäuser

Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. forcierten erstmals geburtenfördernde Maßnahmen. Unter Joseph II. wurde das Hebammenwesen reformiert und das erste Wiener Findelhaus gegründet, in dem ungewollte Kinder abgegeben werden konnten. Neben dem Findelhaus wurde ein Arbeitshaus eingerichtet, das die Kinder übernahm, sobald sie arbeitsfähig waren, erzählt Weikert.

Solche Arbeitshäuser gab es in vielen europäischen Städten. "Im Zeitalter der Aufklärung kam es zu einem Paradigmenwechsel: Während davor das Leben der Mutter mehr Priorität hatte, begann das Leben des ungeborenen Kindes an Bedeutung zu gewinnen, und die Mutter wurde als potenzielle Gefahr für das Kind identifiziert", erklärt die Wissenschafterin.

Kirche: Moral transportiert Interessen

Welchen Einfluss hatte nun die Kirche in der Abtreibungsfrage? Weikert: "Ihr Einfluss wird überschätzt. Die Kirche war sicher politisch einflussreich und hat Lobbyarbeit betrieben, aber ihre Macht ging nicht so weit, dass eine restriktive Abtreibungsgesetzgebung ursprünglich auf sie zurückzuführen ist." Ähnlich sieht das Christian Fiala.

Er betont aber die historische Rolle der Kirche bei der Durchsetzung bevölkerungspolitischer Interessen: "Die Kirche war immer ein Helfershelfer der Mächtigen. Von den Habsburgern bis zu Putin heute haben sich viele mit der Kirche zusammengetan. Die kirchlichen Moralvorstellungen eignen sich gut, um die eigenen Interessen ideologisch in der Bevölkerung zu verankern."

Aus "Bevölkerungspolitik" wird "Familienpolitik"

Für Weikert spielt ab dem 19. Jahrhundert auch die Eugenik eine wesentliche Rolle in der Debatte um Schwangerschaftsabbruch: "Sowohl die BefürworterInnen als auch die GegnerInnen der Abtreibung stellten eugenische Überlegungen an. Es ging darum, welche Bevölkerungsgruppen sich vermehren sollten und welche nicht."

Die österreichische Politik sei auch heute geburtenfördernd ausgerichtet, sagt Weikert: "Der Begriff Bevölkerungspolitik ist seit dem Zweiten Weltkrieg politisch sehr belastet und wird nicht mehr verwendet. Heute sagt man Familienpolitik. Familienpolitische Maßnahmen waren und sind in Österreich immer pronatalistisch, also geburtenfördernd."

"Politik muss Kirche Grenzen aufzeigen"

Man müsse sich der bevölkerungspolitischen Interessen des Staates bewusst sein, dürfe aber die eigenständige Lobbyarbeit der Kirche in der heutigen Politik nicht unterschätzen, meint Fiala. Dass Abtreibung immer noch ein Straftatbestand ist und in Österreich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern Kosten für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch nicht von der Krankenkassa übernommen werden, führt Fiala auf den Einfluss der Kirche zurück.

"In der Demokratie ist die Politik nicht mehr so homogen wie in der Monarchie. Sie ist ein Kompromiss, der sich stark durch die AkteurInnen definiert: Ohne Johanna Dohnal hätten wir vielleicht die Fristenlösung nicht – und ohne Karol Wojtyla sähe die Situation in Polen auch anders aus." (Katharina Gruber, 7.8.2016)