Seit Wochen schwirren "Stranger Things"-Begeisterungsartikel durch das Internet. In der im Jahr 1983 angesiedelten Geschichte geht es um einen zwölfjährigen Jungen, der auf dem Nachhauseweg verschwindet. Seine Mutter, sein älterer Bruder, seine drei besten Freunde und der Sheriff suchen nach ihm. Es gibt Monster, eine andere, dunklere Welt, ein schweigsames Mädchen mit Zauberkräften und allerlei unerklärliches Gruselzeug. Und: Gefühlt jede zweite Szene wirkt wie etwas, das wir damals in den 80ern am Sonntagnachmittag im Fernsehen geschaut haben. Deswegen diesmal die zentrale Frage: Ist "Stranger Things" wirklich gut oder nur eine aufgewärmte Nostalgiesuppe?

Also wer sich vor Spoilern gruselt, sollte hier besser nicht weiterlesen. Nur damit nachher niemand sagt, wir hätten nicht gewarnt.

Anya Antonius: Es ist sogar ziemlich super. Und das sage ich nicht nur als begeisterter 90er-Jahre-Winona-Ryder-Fan. Wie lange habe ich auf ein (zufriedenstellendes) Revival ihrer Karriere gewartet? In "Black Swan" gab es schon ein kurzes Wiedersehen, aber jetzt gleich eine ganze Serie, die dazu noch auf allen Ebenen so umwerfend ist – ich bin glücklich! Nostalgie ist halt schon auch etwas sehr Schönes, und ich muss sagen, dass ich mich bei jedem einzelnen Filmzitat einfach nur gefreut habe.

Michaela Kampl: Ganz ehrlich, ich hätte "Stranger Things" nicht geschaut, wenn wir nicht beschlossen hätten, hier drüber zu reden. Aber dann war’s halb so schlimm. Ich habe mich ein bissi gegruselt, mich gefragt, ob Wills Mama verrückt oder verrückt und klug ist, mich erinnert, wie super Weihnachtsbeleuchtung ist, und viel über Dustin gelacht.

Julia Meyer: Meine Hoffnung galt zuallererst tatsächlich auch dem Spiel Winona Ryders. Nachdem ich mich versichert hatte, dass sie tatsächlich wieder da ist, war ich entspannter. Aber nur für gefühlte zehn Sekunden, denn gerade die ersten Folgen sind an Gruseligkeit kaum zu überbieten. Oder ich bin einfach sensibel.

She is back.
Foto: Netflix

Michaela Kampl: Ursensibel. Das is nicht gruselig. Also nur ein bissi. Hast du nicht gemeint, du findest es süß?

Julia Meyer: Durchaus. Süß und gruselig schließt sich in meinem emotionalen Horizont nicht aus. Die Kinderdarsteller sind einfach wunderbar. Kein einziger Fremdschäm-Moment, sondern Rührung aufgrund der Tücken des Erwachsenwerdens mit all seinen Peinlichkeiten. Das ist auch der Hauptgrund, warum mir die Serie gefallen hat: Sie spielt auf die ganzen Coming-of-Age-Filme an. Vor allem "Stand by Me" hatte ich im Kopf. Stephen King hat sich nicht ohne Grund als Fan geoutet.

Michaela Kampl: Es ist wie eine liebevollere Variante von "Akte X": irgendeine komische Versuchsanstalt, irgendein komischer Schleim, und das alles in einer ganz normalen Kleinstadt. Und über allem liegt ein Farbfilter, der alles ausschauen lässt wie die Bilder im Fotoalbum aus meiner Volksschulzeit. Allerdings, so super Radln hatten wir nicht. Ich frag mich, ob die 80er nötig sind für "Stranger Things". Würde das im Jetzt nicht funktionieren?

Anya Antonius: Ich glaube, das ergibt schon Sinn, dass die Serie 1983 spielt. Sämtliche Referenzen an andere Filme aus dieser Zeit sind ja auch recht unverschlüsselt wiedergegeben. Das kleine "Poltergeist"-Mädchen, die Schminkszene genauso wie die radfahrenden Kinder aus "ET", die gruselige Parallelwelt aus "Nightmare on Elm Street" und als Draufgabe noch Winona Ryder, die ihre Karriere Mitte der 80er-Jahre begonnen hat. Funktionieren würde es in der heutigen Zeit vermutlich auch, aber es ist halt schon netter, wenn die Stimme des verschwundenen Will aus dem Funkgerät oder dem Festnetztelefon kommt statt aus dem Smartphone. Ich verstehe die Serie als ein Geschenk an heute erwachsene Serien-Nerds, die mit den zitierten Filmen groß geworden sind.

The Outsider.
Foto: netflix

Julia Meyer: Nostalgie funktioniert halt. Zwar nicht immer, aber wenn es so detailreich und liebevoll gemacht ist, schon. Die Geschichte an sich würde vermutlich auch in der Jetztzeit funktionieren, dem Erinnerungsfilter ist aber der Hype zu verdanken. Meine These.

Michaela Kampl: Es ist zum ersten Mal seit langem eine Serie, in der Kinder oder Jugendliche die Hauptrollen spielen, die aber nicht spezifisch für Kinder gemacht wurde. Oder übersehe ich da was, und das wird eh laufend gemacht? Glaubt ihr, dass Kinder die Serie gut finden?

Anya Antonius: Ja, ich glaube schon. Gar so oft kommt das ja nicht vor, dass Kinder in einer Serie eine zentrale Rolle spielen und gleichzeitig von den Autoren auch als eigenständige Charaktere ernstgenommen werden. Sie handeln über weite Teile der Serie komplett selbstständig und abgekoppelt von der Erwachsenenwelt, sind aber – abgesehen von Eleven mit ihren Superkräften – auf die eingeschränkten Möglichkeiten der Kindheit zurückgeworfen. Im Rahmen einer Fantasy-Serie finde ich das erstaunlich realistisch umgesetzt. Ich hätte mir so etwas gerne angeschaut – mich nachts aber vermutlich furchtbar gegruselt und die Wände meines Kinderzimmers genau im Auge behalten.

Julia Meyer: Schöne Beschreibung! Für mich funktioniert die Serie aber auch als Familiengeschichte. Bis auf den vertrottelten Vater von Mike sind ja auch die erwachsenen Figuren aktiv in die Handlung eingebunden. Und genauso auf Entdeckungstour. Es ist ab einem gewissen Zeitpunkt eben nicht mehr Kinderwelt gegen Erwachsenwelt, auch wenn die Stränge parallel laufen. Es sind mit Mikes Schwester und Wills Bruder quasi drei Altersstufen, die sich den Geschehnissen unterschiedlich nähern. Und jede Generation trägt halt ihren Teil zur Lösung bei. Das macht's fast wieder kitschig! Die fiesen Kinder erinnern mich übrigens an die gemeinen Jungs aus der "Unendlichen Geschichte".

Anya Antonius: Was mir an der Serie so gefällt, ist, dass sie ein Herz für Underdogs hat und den einzelnen Charakteren auch erlaubt, sich zu entwickeln. Wie schnell könnte man die Nancy als tussige Streberin abstempeln, die natürlich auf Steve, den coolsten Schleimer der Highschool, steht. Doch gerade die beiden passen mit jeder weiteren Folge immer weniger in die vermeintlich schon vorgefertigten Schubladen. Sauer bin ich nur, dass Barb schon so früh dran glauben musste – bis zuletzt habe ich gehofft, dass sie noch irgendwo im Upside-down herumkrebst. #WeAreAllBarb

Immerhin hat sie ihr eigenes Video bekommen.
Dr.Chorizo

Michaela Kampl: Was mich genervt hat, ist diese Makeover-Szene, als die Jungs Eleven in ein rosa Kleidchen stecken, ihr eine blonde Perücke aufsetzen und Rouge auf ihre Wangen pinseln. Und dann sagt Mike auch noch: "Pretty!" Eleven hat Superkräfte und alles, und dann schaut's fast so aus, als wären die drei eher davon beeindruckt, dass sie auch ein hübsches Mädchen ist. Das fand ich schade. Sie hätten ihr auch einfach kurze Hosen und ein Leiberl geben können und sie als Cousin und nicht als Cousine aus Schweden vorstellen können.

Julia Meyer: Oder halt als ungeschminktes Mädchen mit kurzen Haaren. Aber ja, ich gebe dir recht. Das könnte als Zitat der 90er-Jahre-Highschool-Filme durchgehen, wo sich das vermeintlich hässliche Mädchen die Brille absetzt und alle dahinschmelzen. Und das waren nun nicht die allerbesten Filme über Geschlechterverhältnisse!

Michaela Kampl: Darf ich an dieser Stelle einfach nur sagen, dass der Soundtrack super ist? Wahnsinnig gut ist das "Heroes"-Cover von Peter Gabriel. Da krieg ich auch ohne Monster Gänsehaut. Und: Es gibt Momente, in denen ich mich an "Drive" erinnert fühle. Warum? Synthesizer. Vermute ich halt, es könnt aber noch banaler sein. Aber ich habe dazu noch nicht ausführlicher gegoogelt.

Julia Meyer: Also können wir uns grob einigen: "Stranger Things" ist eine wunderbare Nostalgiesuppe?

Anya Antonius: Absolut. Winona forever!

Michaela Kampl: Ja. Oder wie ein Twinni in Serienform: schön bunt, süß, und die Freude ist teilbar. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Julia Meyer, 18.8.2016)