Man will ja nicht wie der Nachbar ausschauen: Bei Gucci kann man Jeansjacken oder Handtaschen mit eigenen Aufnähern (unten) personalisieren.

Foto: Gucci
Foto: Gucci

Man kann der aktuellen Modeproduktion eine gewisse Nostalgie nicht absprechen. Gern wird eine gute alte Zeit heraufbeschworen, als Kleidung noch Ausdruck von innerer Haltung war. Was jemand anhatte, erzählte, welcher Jugendkultur er angehörte, welche Musik ihn prägte, und sogar, wie er sich politisch einordnete. Diese verlässlichen Codes existieren heute nicht mehr. Alles ist jederzeit als Look verfügbar: heute Hippie, morgen Goth, dazwischen Business-Lady.

"Es gibt keine Subkulturen mehr zu entdecken, vor allem in der westlichen Welt", bestätigte Stylistin Lotta Volkova, die prägenden Anteil an der coolen Attitude des französischen Hype-Labels Vetements hat, jüngst in einem Gespräch mit dem einflussreichen Berliner Kunst- und Modemagazin "032C": "Es geht nur mehr um den Remix von Informationen." Man könnte es auch profaner sagen: Mittlerweile gibt es Individualität und Rebellion von der Stange. Wer bereit ist, ein paar Hundert Euro für ein angesagtes Vetements-T-Shirt auszugeben, kann sich zumindest einbilden, Mitglied einer coolen Fashion-Gang zu sein.

Customizing ist Trend der Stunde

Die Situation ist paradox: Fashionistas möchten durch Kleidung und Accessoires möglichst individuell sein, blöd, wenn sich tausende Bloggerinnen mit derselben Handtasche ablichten lassen. Die mediale Overdosis der ewiggleichen Produkte ist mitunter erdrückend. Es bleibt immer weniger Platz für die eigene Kreativität. Aber keine Sorge, die großen Labels haben sogar dafür eine Lösung anzubieten: Customizing, also das Anpassen eines Serienprodukts an die Bedürfnisse des Kunden, ist der Trend der Stunde, den vor allem Gucci gerade bestens für sich zu nutzen weiß. Die Schultertasche "Dionysus"-Bag kann man im Mailänder Flagship-Store mit seinen Initialen besticken oder mit bunten Patches, die Libellen, Schmetterlinge, Pfingstrosen oder Schlangen darstellen, verzieren lassen.

Der Kunde als Co-Deisgner

"Der Prozess der Personalisierung ist sowohl ein persönliches Statement als auch eine Möglichkeit, den Kunden zum Co-Designer zu machen", meinte Kreativdirektor Alessandro Michele in einer offiziellen Gucci-Stellungnahme. "Alle Männer und Frauen sollen sich komplett frei fühlen, wenn sie sich ausdrücken möchten." Mittlerweile wird auch die Personalisierung von Bomberjacken, Jeans und Sneakers angeboten. Der Vorteil liegt auf der Hand, das Label spricht seine Kundschaft direkt an, es bindet sie stärker ein. Die Käuferschaft wiederum möchte zeigen, dass sie sich ein teures Label leisten kann, aber trotzdem nicht ein Standardmodell erwirbt, sondern sich kreativ einbringt. Für diese Möglichkeit einer persönlichen Note zahlt man gerne mehr.

Während diese Idee in der Luxusbranche noch relativ neu ist, haben Sportriesen das Geschäftspotenzial für "Massenware nach Maß" schon früh erkannt. "Mi adidas" ermöglicht seit Jahren, Sneakers und Adiletten mit Initialen zu versehen und in der Farbgestaltung mitzuwirken. "Nike ID" setzt auf dasselbe Prinzip, und mittlerweile wächst auch in anderen Bereichen – von "My Müsli" über "Pimp my Billy"-Regal bis zu "MyParfum" – der Selbstmachgedanke.

Nun ist die Do-it-yourself-Bewegung, einst vom Glauben an Selbstermächtigung als Gegentrend zum passiven Massenkonsum geprägt, sogar in der Luxuswelt angekommen. Was früher praktisch genutzt wurde, um kaputte Jeans zu flicken oder die Liebe zu einer bestimmten Band auf die Jacke zu pinnen, ist heute pure Dekoration. Losgetreten haben diese Tendenz Designer wie Hedi Slimane, der für Saint Laurent schon immer gern Jugendtrends anzapfte. Seine Army- und Denimjacken mit jeder Menge aufgenähter Patches passen perfekt zum aktuellen Revival der 1990er-Jahre.

No future!

Das Kultlabel Vetements hat dabei wieder die Nase vorn: Nächstes Frühjahr kommt gemeinsam mit Reebok ein weißer Instapump-Fury-Sneaker auf den Markt, der aussieht, als wäre die letzte Mathestunde extrem fad gewesen, anstatt aufzupassen, hat man – wie früher in der Schule – seine Turnschuhe mit Filzstift bemalt. "I'm bored!" steht da in krakeliger Schrift oder "No Future".

Die lustigste Personalisierung des Jahres hat aber It-Model Gigi Hadid jüngst vorgeführt. Ein Foto zeigt sie in einer weißen Adidas-Jacke, das bekannte Logo wurde am Rücken mit einen Stift manipuliert. Vor das Anfangs-A wurde ein "H" gesetzt, die letzten beiden Buchstaben sind durchgestrichen: "Hadid" statt "Adidas".

Coole Idee, aber höchstwahrscheinlich auch nur ein Werbeclou. Auf der Vorderseite ihres Jackets steht nämlich "Gigi" – und das sieht höchst professionell gemacht aus. Modische Individualität ist im 21. Jahrhundert eben ein höchst problematisches Projekt. (Karin Cerny, RONDO, 23.8.2016)