Die Kombucha-Mutter ist ziemlich sicher das seltsamste Lebewesen, mit dem Menschen freiwillig ihre Küche teilen. Sie hat zwar ihre eigene Ästhetik – sie "klassisch schön" oder nur "appetitlich" zu nennen muss aber selbst ihren größten Verehrern schwerfallen. Am ehesten ähnelt sie einer Kreuzung aus Qualle, Gummipropf und Schimmelpilz: eine gallertartige bis ledrige, meist gelblich-braun-beige Masse mit leicht schleimig-fadenbehangener Unterseite. Außerdem verströmt sie einen mehr oder weniger ausgeprägten sauren Geruch, der je nach Betrachtungsweise an Apfelessig oder alte T-Shirts erinnert. Wie so oft aber ist der erste Eindruck trügerisch: Das seltsame Geschöpf hat die Gabe, den König des Eistees zu erschaffen.

Foto: Tobias Müller

So, wie ihre enge Verwandte, die Essigmutter, Wein in Essig verwandelt, zaubert die Kombucha-Mutter aus Tee per Fermentation Kombucha – ein leicht süßes, leicht saures, angenehm prickelndes und gekühlt herrlich erfrischendes Getränk. Geschmacklich liegt es irgendwo zwischen Tee und Cidre – immer ein wenig anders, meist aber besser, interessanter, komplexer als das Ausgangsprodukt. Und im Gegensatz zu Wein und Bier ist es sehr einfach und ohne besonderes Gerät zu Hause herzustellen.

Kombucha-Mütter sind eine komplexe Symbiose aus zahlreichen Hefe- und Bakterienstämmen, die den Zucker (und andere Stoffe) im Tee in allerlei Köstlichkeiten, etwa diverse Säuren, verwandeln. Ihre eigenwillige, feste Konsistenz verdanken sie Acetobacter xylinum, einem Bakterium, das Zellulose produziert.

Woher Kombucha kommt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Höchstwahrscheinlich aber entwickelten sich die Kulturen über Jahrhunderte symbiotisch mit menschlichen Teetrinkern – ganz so wie etwa Saccharomyces cerevisiae, die Brauerhefe, die nicht wild, sondern nur in Verbindung mit brotessenden, biertrinkenden Menschen vorkommt, oder jenes komplexe Ökosystem, das wir Sauerteig nennen. Gesichert scheint, dass Kombucha in Europa erstmals ausgehend von Russland im 19. Jahrhundert populär wurde – andere Quellen geben an, dass die Lebensform bereits im China der Tsin-Dynastie etwa 200 vor Christus verwendet wurde und von dort über die Seidenstraße ihren Weg nach Russland fand.

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Kirschblüten-Kombucha

Ich bin Kombucha erstmals in diesem Mekka aller Fermentierfans begegnet und durfte mich dort an ausgefallenen Kreationen wie Kirschblüten-Kombucha erfreuen. Dann habe ich ihn wieder komplett vergessen, bis ich während meines antialkoholischen Monats im Wiener Punks einen hausgemachten Kombucha angeboten bekam und sehr dankbar angenommen habe – es ist eine absolute Bereicherung für viel zu oft armselige antialkoholische Getränkekarten. Über Berlin ist schließlich eine Mutter auch in meiner Küche gelandet (an dieser Stelle nochmals danke, lieber M., für das Mitbringsel).

Kombucha-Mütter sind etwa auf Ebay und in diversen Onlineshops erhältlich, oder Sie fragen einfach jemanden, der ebenfalls Kombucha macht. Es genügt übrigens, ein wenig lebendiges Kombucha (nicht das Zeug aus dem Supermarkt) in ein Glas zimmerwarmen, gezuckerten Tee zu gießen, um die Fermentation zu starten. Wenige Tage später wird obenauf eine neue Kombucha-Mutter treiben, die mit der Zeit die gesamte Oberfläche des Tees bedecken wird. Wird diese Mutter abgeschöpft und in frischen Tee gelegt, hat der Besitzer wenige Tage später nicht nur neuen Kombucha, sondern auch eine zweite, neue Mutter im Glas.

Ein kleiner Hinweis: Kombucha wird, aus welchen Gründen auch immer, gern von Menschen kultiviert verkauft und getrunken, die ein etwas angespanntes Verhältnis zur wissenschaftlich fundierten Medizin haben und ihn zur Medizin erklären. Soweit ich es überblicke, gibt es bisher wenige bis gar keine Beweise für etwaige positive gesundheitliche Auswirkungen von Kombucha-Konsum. Mir persönlich ist das schnurz – mir schmeckt er einfach, und ich empfehle, ihn ausschließlich für den Genuss zu trinken. Wenn Sie dann auch noch meinen, er hilft Ihrer Verdauung oder verleiht gar Flügel – umso besser. Für eine umfassende Diskussion möglicher Auswirkungen des Kombucha-Trinkens lesen Sie etwa hier.

Arbeiten Sie sauber, und sollte der Tee dennoch einmal schimmeln: Werfen Sie ihn weg und besorgen Sie sich eine neue Mutter.

Wie man eine Kombucha-Mutter kultiviert

Brühen Sie einen Liter Ihres Lieblingstees und mischen Sie ihn je nach Geschmack mit 50 bis 100 Gramm Zucker. Tee ist hier wörtlich zu nehmen: ein Aufguss mit Camellia sinensis, der Teepflanze. Ob Sie dabei mit Schwarztee, Grüntee, Oolong oder Pu-Erh arbeiten, bleibt ganz Ihnen und Ihrem Geschmack überlassen (ich habe meinen bisher besten Kombucha auf Pu-Erh gezogen). Heißgetränke aus Kamille oder Hagebutte sind aber nicht geeignet – sie werden vielleicht, wahrscheinlich aber nicht funktionieren. Es gibt zwar Berichte über erfolgreiche Kombucha-Kultivierungen auf Fruchtsäften oder gar Milch – für Leute, die nur eine Mutter zum Experimentieren haben, gilt das aber als ein wenig riskant.

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Je süßer der Tee am Anfang ist, desto mehr Nahrung hat die Mutter und desto potenziell saurer kann das Endprodukt werden. Wie bereits erwähnt, war mein Lieblingskombucha bisher einer, den ich aus Pu-Erh gebrüht habe. Das könnte daran liegen, dass es sich dabei um sehr hochwertigen Tee gehandelt hat, der von sich aus bereits ziemlich komplex schmeckt – wie so oft gilt auch hier: Aus einem schlechten Ausgangsprodukt wird auch kein besonders gutes Endprodukt.

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(Einschub: Übertreiben Sie es aber nicht. Chinesen, Japanern oder Koreanern, die Tee so ernst nehmen wie Europäer Wein und die gute und/oder berühmte Tees für zigtausend Euro pro Kilo handeln, muss bei dem Gedanken grausen, dass ihr wertvoller Stoff mit Zucker und einer Kombucha-Mutter misshandelt wird.)

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Gießen Sie Ihren Tee in ein großes Gefäß aus Glas (oder jedenfalls ein Material, das nicht mit Säure reagiert), das nicht zu schmal ist. Die Kombucha-Fermentation braucht Sauerstoff und daher eine gewisse Oberfläche.

Lassen Sie Ihren Tee auf Zimmertemperatur herunterkühlen und geben Sie Ihre Kombucha-Mutter und idealerweise eine Portion (100 bis 200 ml) reifen Kombucha hinein, um für eine etwas saure Umgebung zu sorgen – das gibt den Kombucha-Kulturen einen Startvorteil gegenüber unerwünschten Mikroorganismen.

Decken Sie das Glas mit Küchenrolle oder einem Geschirrtuch ab (Fruchtfliegen lieben Kombucha) und lassen Sie es fünf, sechs, sieben Tage in der Küche stehen. Ideal sind Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad, also ziemlich genau die Bandbreite, in der sich auch Menschen wohlfühlen. Je länger Sie warten, desto saurer wird Ihr Tee. Kosten Sie nach fünf Tagen erstmals: Ihr Kombucha ist dann fertig, wenn er Ihnen schmeckt.

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Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten. Erstens: Sie genießen Ihn sofort. Gießen Sie den fertigen Kombucha durch ein Sieb (um etwaige Mutterflankerl und tote Hefen loszuwerden) in eine Flasche und stellen Sie ihn in den Eiskasten, um ihn zu kühlen und die Fermentation zu stoppen. Wenn Sie sich noch ein paar Tage gedulden und die Flasche luftdicht verschließen, wird Ihr Kombucha noch besser prickeln und interessanter schmecken. Nehmen Sie Ihre Mutter und beginnen Sie von vorn.

Oder zweitens: Sie mischen ihn mit diversen (Frucht-)Säften nach Geschmack und lassen ihn eine weitere Woche fermentieren. Sandor Katz, Autor des wunderbaren Standardwerks "The Art of Fermentation", schreibt, dass seine besten Kombuchas so gemacht wurden. Ich habe das bisher nur einmal mit Traubensaft versucht – mit geschmacklich eher unangenehmen Ergebnissen. Wer erfolgreich experimentiert: Ich freue mich über Erfahrungsberichte.

Wenn Sie Ihrer Mutter einmal ein paar Tage Pause gönnen wollen (oder nicht zum frischen Teemachen kommen), lagern Sie sie in ein wenig Kombucha bei Zimmertemperatur oder, noch besser, im Kühlschrank. Und nicht luftdicht verschließen, sonst erstickt sie.

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Achtung: Wenn Sie Ihren Kombucha bei Zimmertemperatur luftdicht verschließen, besteht Explosionsgefahr, weil die Fermentation Gase entstehen lässt. Für ein, zwei Tage ist das okay beziehungsweise sogar erwünscht – Sie bekommen so mehr Kohlensäure in Ihr Getränk –, danach wird's aber riskant. Lassen Sie die Flasche offen oder stellen Sie sie in den Kühlschrank. (Tobias Müller, 4.9.2016)