STANDARD: Vea Kaiser hat Sie in einer Kolumne als "sexy" bezeichnet. Schmeichelt Ihnen das, oder finden Sie es sexistisch?

Kern: Also ... nein, das ist – ich bin glücklich verheiratet.

Kaiser: Was habe ich mir deswegen anhören müssen! Da waren viele Wähler erbost, dass ich mir erlaube, den Bundeskanzler als sexy zu bezeichnen.

Kern: Die fanden das despektierlich?

Kaiser: Sexistisch.

derStandard.at

STANDARD: Sie sind als "It-Girl" der Literatur bezeichnet worden. Wie hinderlich ist es als Schriftstellerin in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn man hübsch und fröhlich ist?

Kern: Darf ich noch hinzufügen: hübsch, fröhlich und erfolgreich, oder?

Kaiser: Ich habe gedacht, ich schreibe Bücher, da ist man vor solchen Themen gefeit. Aber wenn es der Bundeskanzler nicht ist, dann ist es die Autorin auch nicht. Die Präsentation nach außen wird immer wichtiger. Das merkt man auch bei Ihnen. Sie bringen einen ganz anderen Stil hinein. Ich oute mich als Fan Ihres Instagram-Accounts. Diese schönen, retuschierten Fotos sind herrlich.

Kern: Sind die retuschiert? Ich behaupte das Gegenteil.

Foto: Fischer

STANDARD: Kann man ohne Inszenierung überhaupt noch Inhalte transportieren?

Kern: Das ist eine zweischneidige Geschichte. So ein Foto auf Instagram macht für viele Leute mehr Eindruck, als wenn wir über eine Gesetzesnovelle sprechen. Auf der anderen Seite geht schon die Substanz verloren. Ich habe mich entschieden, das Ministerratsfoyer auf neue Beine zu stellen. Was mich wirklich irritiert hat, war die Art und Weise, wie von dort aus Politik transportiert wird. Man geht raus, erzählt eine Geschichte, etwa über das Start-up-Paket, referiert 20 Minuten, warum wir das tun, was wir tun, was die Konsequenzen sind. Und gefragt werde ich nach irgendeiner Personalie. Es ist ein Desinteresse am Substanziellen, das wir erleben. Ich persönlich bin der Meinung, dass man sich dem entziehen muss.

Kaiser: Ist das eine dezente Medienkritik an der österreichischen Medienlandschaft? Hat diese es verlernt, zuzuhören und die substanziellen Fragen zu stellen?

Kern: Die Politik läuft Gefahr, dass sie sich in ihrer Blase völlig einkapselt. Das Problem ist, dass Journalismus genau so funktioniert. Er produziert diese "Politiker-Politik", in der die gesamte politische Klasse verfangen ist, und das geht an dem, was die Leute interessiert, oft um Meilen vorbei. Wir müssen da alle miteinander aufpassen, uns nicht zu weit zu entfernen. Das war jetzt meine sehr diplomatische Form, Ihre Frage zu bejahen.

Foto: Fischer

Kaiser: Es gibt eine wahnsinnige Boulevardisierung und Schlagzeilensucht. Ich bin mir aber nicht sicher, wie ich den Schritt finde, das Pressefoyer abzuschaffen.

STANDARD: Es wird als Diskussionsverweigerung verstanden. Sie stehen nicht mehr für direkte Fragen zur Verfügung und suchen sich die Journalisten, mit denen Sie kommunizieren, aus.

Kern: Wir werden andere Formate entwickeln, damit Journalisten die Möglichkeit haben, kritische Fragen zu stellen. Aber ich will eine ernsthafte Diskussion, und ich will nicht auf einen Einzeiler reduziert werden.

Kaiser: Dieses Desinteresse des Journalismus an substanziellen Themen oder wirklich großen Geschichten ist auch ein Ausdruck davon, dass Politik in der Bevölkerung nicht mehr ankommt, dass da kein Interesse mehr besteht.

Kern: Das stimmt nur zum Teil. Das liegt auch an den materiellen Produktionsbedingungen der Medien, die sind ein Desaster. Ich war Anfang der 1990er-Jahre Pressereferent im Parlament. Wenn ich mir anschaue, wie die Zeitungen damals ausgestattet waren, wie viele Leute sie hatten, wie viele Ressourcen es gab, muss ich sagen: Respekt vor denen, die heute die Zeitungen machen. Bei allem Unbehagen über manche Inhalte, es ist erstaunlich, was da immer noch an Qualität herauskommt.

Foto: Fischer

Kaiser: Müsste hier nicht der Staat seine Verantwortung, die Bürger zu informieren, stärker wahrnehmen und sich ein System überlegen, wie man die Presse besser unterstützt? Ein Verfassungsgrundrecht auf Medienförderung?

Kern: Es gibt ja eine Medienförderung von fast acht Millionen Euro pro Jahr ...

Kaiser: Scheinbar reicht das nicht.

Kern: Das ist offensichtlich zu wenig angesichts der strukturellen Verwerfungen in diesem Geschäft. Mit der Digitalisierung haben sich das Produktionsmodell und auch das Refinanzierungsmodell massiv verändert. Wenn man an Meinungsvielfalt und an Medienpluralismus interessiert ist, wird man das in einer neuen Form fördern müssen. Dazu sind wir auch bereit. Google macht in Österreich 200 Millionen Euro Umsatz, bei Facebook sollen es 100 bis 120 Millionen Euro sein. Bei Google sind es ein gutes Dutzend Mitarbeiter, bei Facebook angeblich noch weniger. Die saugen das Werbevolumen, das aus der Wirtschaft kommt, massiv auf, zahlen aber weder Körperschaftssteuer noch Werbeabgabe in Österreich. Wenn es nur gelingt, die Werbeabgabe dort durchzusetzen, könnte man aus diesem Titel die Medienförderung leicht erhöhen.

Kaiser: Genau diese Besteuerung von solchen Unternehmen brauchen wir, Amazon voran. Packt sie an den Eiern und lasst sie bluten. Das ist ein Feld, das auch den Literaturbetrieb hart trifft, da der österreichische Buchhandel massiv darunter leidet. Und wenn die Medien zu bestimmten Themen keine wirkliche Berichterstattung mehr leisten können, trifft das auch die Konsumenten, die Bürger, die Wähler.

Foto: Fischer

Kern: Max Schrems hat ausgerechnet, dass Starbucks 2014 1400 Euro Körperschaftssteuer gezahlt hat. Jedes Wiener Kaffeehaus, jeder Würstelstand zahlt in Österreich mehr Steuern als ein globaler Konzern. Das gilt für Starbucks, Amazon und andere Konzerne. Deswegen war es wichtig, dass die EU-Kommission vorgeschlagen hat, sich 13 Milliarden Euro an Steuernachzahlung von Apple zu holen. Was Irland, die Niederlande, Luxemburg oder Malta hier tun, ist unsolidarisch gegenüber der restlichen europäischen Volkswirtschaft.

STANDARD: Frau Kaiser hat gezögert, dieses Gespräch wahrzunehmen, weil sie das Bashing in den Foren fürchtet. Wie viel Anfeindungen kann man sich gefallen lassen?

Kaiser: Andererseits muss ich jetzt sagen: Gegen Thomas Bernhard haben die Leute demonstriert.

Kern: Anfeindungen sind vielleicht auch gut für den Marktwert.

Kaiser: Wenn man eine Sache mit vollkommener Emotion, der ganzen persönlichen Energie und Leidenschaft vertritt, dann trifft einen das viel härter.

Foto: Fischer

Kern: In der Politik werden die Auseinandersetzungen heftig geführt, aber die brutalsten Auseinandersetzungen führen doch die Kulturschaffenden unter sich. Mit einer Härte und Verächtlichkeit, da ist Politik ein Kinderfasching.

Kaiser: Ich habe diesen Sommer selbst einen ziemlich krassen Schriftstellerbeef miterlebt, wo es um Grundsatzhaltungen und Selbstrepräsentation gegangen ist, da waren auch die Kollegen Glavinic und Sargnagel beteiligt. Das war albern, aber es wäre furchtbar, wenn bei uns nur Harmonie herrschen würde. Worüber sollen sonst eventuelle Biografen in fünfzig Jahren schreiben?

Kern: Aber es war hart für Frau Sargnagel. Ich bin Glavinic-Leser, aber "Rollmops" ging zu weit. Eindeutig.

STANDARD: Wie gehen Sie selbst mit Kritik um?

Kern: Vorgewarnt war ich durch Alfred Gusenbauer. Ich halte ihn für einen der klügsten Köpfe im Land, er ist oft brutal runtergemacht worden. Ich habe ihn gefragt, wie er damit umgeht, dass so ein Zerrbild dargestellt wird. Er hat gemeint, das berühre ihn nicht. Ich wusste, das kommt auch bei mir. Ich bleibe dabei: Wer mich beleidigt, bestimme ich immer noch selbst.

Foto: Fischer

Kaiser: Muss man nicht langsam beginnen, sich gegen diesen ansteigenden Populismus zu wappnen? Die SPÖ leidet doch wahnsinnig darunter. Es gibt schon apokalyptische Umfragewerte. Und selbst populistisch gegensteuern bringt genauso viel, wie ein Feuer mit Benzin löschen zu wollen.

Kern: Da haben Sie völlig recht.

STANDARD: Was können Sie dem denn entgegensetzen?

Kern: Was wir brauchen, ist ein Modernisierungsprogramm gegen den Stillstand im Land. Es gibt ein paar Trends, die gesellschaftspolitisch massiv problematisch sind. Wir haben Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und zwar nicht die Inländer- oder die Ausländerarbeitslosigkeit, sondern jede Form. Wir werden um die Diskussion, was Gerechtigkeit in der Gesellschaft heißt, nicht umhinkommen.

STANDARD: Sie sind an einen Koalitionspartner gekettet, der in dieser Frage ganz andere Ansichten hat.

Kern: Aber es gibt auch einen gemeinsamen Nenner, wir werden Investitionsanreize schaffen, die Kaufkraft stärken, es wird auch gelingen, unternehmerische Aktivitäten zu entwickeln und soziale Fehlentwicklungen auszubessern. Ich bin mitten in der Legislaturperiode dazugekommen. Das Ziel ist schon, nach einer nächsten Wahl ein Mandat für eine andere Form der Politik zu haben. Die Konfliktlinien, die wir heute diskutieren und die ausschließlich anhand kultureller Identitäten laufen, sind die falschen. Dahinter versteckt sich der Konflikt zwischen Arm und Reich, zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Das ist eine klassisch sozialdemokratische Agenda, da wird kein Populist eine Antwort darauf haben. Es ist halt leichter, den Asylwerber als Problem hinzustellen. Aber wenn wir sechs Jahre hindurch einen Reallohnverlust haben, ist klar, woher die Unzufriedenheit kommt.

Foto: Fischer

STANDARD: Engagieren Sie sich politisch?

Kaiser: Ich bin bei den Van-der-Bellen-Unterstützern, mein Hund auch. Der ist für Vielfalt in der Hundezone, die Großen dürfen nicht die Kleinen vertreiben, nicht beißen, sondern gemeinsam das Stöckchen jagen. Ich halte Herrn Hofer als Bundespräsidenten für völlig ungeeignet. Seine Ankündigung, er würde die Neujahrsansprache ins Altenheim verlagern – kann man noch banaler Seniorenstimmen jagen? Es geht gar nicht um Inhalte, sondern nur um Macht.

Kern: Ich fürchte, es geht mehr um Inhalte, als uns lieb ist. Hier geht es nicht darum, dass die Wähler des Herrn Hofer rechtsextremen Gedanken hinterherlaufen, aber er hat ein Gesellschaftsbild, das wir beide nicht teilen.

STANDARD: Warum gelingt es nicht, diesen Wählern ein Angebot zu machen, dem sie folgen können?

Kern: Es ist ein längerfristiges Projekt, diese Wähler zurückzuholen. Bei diesen Wählern, bei denen der Frust so tief sitzt, haben wir viel Glaubwürdigkeit verloren, aber ein erster Schritt ist schon gemacht.

STANDARD: Jetzt wird wieder über Neuwahlen diskutiert, in der ÖVP geht es Kurz gegen Mitterlehner.

Kern: Ich staune auch, womit sich manche in der ÖVP beschäftigen.

STANDARD: Sie werden da aber auch mit hineingezogen, wenn es um Neuwahlen geht.

Kern: Leider, ja. (Interview: Michael Völker, Video: Maria von Usslar 2.9.2016)