Die Aufführung im Theater

Salzburg – Gut is gangen, nix is gschehn. Alle haben ihre Einsätze getroffen, ihre Markierungen gefunden. Eine technische Maßarbeit und logistische Meisterleistung. Aber auch die traditionelle Theaterform wird an Matthias Hartmanns von Servus TV unterstützter plurimedialer Neuerfindung von Schillers Die Räuber schadlos bleiben. Denn aus dem doppelten Aufwand, das Sturm-und-Drang-Stück von 1782 als Live-Action-Fernsehspiel zu inszenieren, erwächst keine doppelte Wucht. Eher eine zerteilte.

Einmal live und digital vervielfacht: Nico Ehrenteit führte u. a. als Erzähler in das Stück ein. Für dieses gilt das Primat des Kameraauges – nicht zu seinem Besten.
Foto: Servus TV

Eine Leinwand, halb so groß wie das Bühnenloch, hängt im Salzburger Landestheater (und demnächst u. a. auch im Wiener Volkstheater) über selbigem. Vor einem kleinen Wald gestalten drei grüne Wände, sogenannte Green Screens, die Bühne. Sie bilden per Computertechnik wegtricksbare Hintergründe für die Darsteller. Zwei davon sind verstellbar, an ihnen und ein paar Requisiten können sich die Akteure neben dem Mimenberuf auch als Kulissenschieber erproben. Auf der Videowand wird sich live Gespieltes mit – bildebenentechnisch komplexerem – Voraufgezeichnetem und einem Hybrid aus beidem abwechseln. "Sprich mit der Wand!", könnte Hartmann seinem Ensemble während der Proben für letztere Szenen zugerufen haben.

Acht Kameras umschwirren es mit Schuss und Gegenschuss und allem Drum und Dran. Da sind für die Darsteller Winkel einzuhalten und Distanzen. In Anbetracht noch der eigenen Körper ist es eine Großtat auch der Männer hinter den Linsen. Ebenso wie derer am Schneidepult. Nichtsdestotrotz, es liegt ja auch in der Natur der Sache: Meist ist wo was im Blick. Und wenn nicht, dann wird nicht nach vorne oder zueinander gespielt, sondern in und für das Kameraauge. Unter dessen Primat ist das Saalpublikum bloß Beobachter eines Drehs.

Hier und Jetzt, Da und Dort

Die Authentizität des Bühnenmoments, die eine klassische Aufführung auszeichnet, ist damit dahin. Aus dem von Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz beschworenen Hier und Jetzt wird so ein Da und Dort: Das Spiel spaltet sich zwischen Bühne und Bildpunkten auf. Und mit ihm, mehr noch als sonst, das Was und sein Wie. Wenig trägt die Art der Darstellung zu ihrem Thema bei, der technische Aufwand ist leeres Spiel, bedeutungsloser Effekt.

Im von der Bühne hinauf- und vom Screen hinabspringenden Blickwechsel geht zudem einfühlerisch viel verloren. Gehen die Akteure nun um leere Stühle, blicken sie durch Schlüssellöcher ins Nichts oder geben der Luft Handküsse – die Verfertigung des Films beim Spielen zeitigt vor Ort vor allem das Faszinosum des Tricks und der Diskrepanzen. Nicht im Videobild zu sehen etwa: der Ventilator als Brise beim Gartenspaziergang.

Gewiss verdankt sich der speziellen Konstellation aus Live und Konserve die Besetzungsliste mit Friedrich von Thun, Tobias Moretti und Harald Serafin (alle drei sind nur "zugeschaltet"). Künstlerisch ist das allerdings ein Unterfangen, das Mühe und Aufwand kaum lohnt. (Michael Wurmitzer)

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Die Ausstrahlung im TV

Wien – Von Julius Raab ist ein schlagendes Beispiel für Fernsehskepsis überliefert. Als die RAVAG irgendwann in grauer Vorzeit dem ÖVP-Bundeskanzler ein erstes Testbild vorführte, schritt dieser zügig hinter den Kasten, um das Einstiegsloch des TV-Sprechers aufzuspüren.

60 Jahre später hat es Servus TV um etliches leichter. Der unbedingt kulturaffine Milliardärssender brachte mit Schillers Räubern einen kompletten Theaterklassiker im Flimmerkasten unter. Und doch blieb das nämliche, grenzenlose Staunen während gut ein einhalb Stunden spürbar. Wirren Haares schwätzte ein blonder Jüngling in die Kamera hinein. Der Räuber Spiegelberg (Nico Ehrenteit) gab den hunderttausenden Stürmern und Drängern vor den Bildschirmen zu Hause mit atemlosem Eifer eine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg.

Sprung in die Wälder

Sage und schreibe "acht Kameras" wären aufgeboten. Grüne Wände würden mit Bildervorräten aus dem Computer bespuckt. Zur Probe gab es die Spanische Treppe zur Testansicht. Spiegelberg war da gerade erst auf dem Sprung in die böhmischen Wälder. Zu sehen waren "nach F. Schiller" ausgepichte Halunken. Da ist es nur recht und billig, dass sich auch Matthias Hartmann und sein Co-Regisseur Michael Schachermaier technologisch nicht lumpen ließen. Doch Obacht, der Räuber warnte zugleich sich und die Zuschauer vor dem Betreten einer televisionären Hochrisikozone: "Fehlerfrei ist schwer!"

Gesendet wurde aus dem Salzburger Landestheater. Dutzende Aufkleber auf dem Boden. Ein falscher Schritt, und man hätte Karl und Franz Moor vor lauter morschem Hochwald nicht mehr zu sehen bekommen. Das Ausgestrahlte war vollkommen ausreichend. Ein von seiner eigenen moralischen Rechtschaffenheit ganz ergriffener Moor-Bruder (Laurence Rupp als Karl) geht einem anderen ins Intrigennetz. Franz (Emanuel Fellmer) heißt die Kanaille.

Und so wurden die Folgen eines allerdings fatalen Vater-Sohn-Missverständnisses atemlos referiert. Amalia (Coco König) sah man über eine Blumenwiese springen. Die viel bemunkelten Einspieler mit dem Alt-Moor (Friedrich von Thun) und dem Pater (Tobias Moretti) ließen den dösenden Couchpotato nicht erkennen, wer sich da leibhaftig zerriss und wer bloß aus der Konserve sprang. Brav geschnäuzt und schlecht gekämmt sah man Schillers "tintenklecksendes Säkulum" in den Orkus der Anarchie rauschen. Ein Kinder-Schiller, so wertvoll wie ein kleines Steak. (Ronald Pohl, 5.9.2016)