Die Eurasierhündin Bolita mit ihrem Menschen Kurt Kotrschal. Die beiden sind nicht nur privat eng verbunden – Bolita hat alle Wölfe und Hunde im Forschungszentrum Ernstbrunn mit aufgezogen.

Foto: Ingo Pertramer

Kurt Kotrschal, "Hund & Mensch. Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft", 272 Seiten / € 24,90, Brandstätter 2016.

Erstpräsentation: Der Autor im Gespräch mit STANDARD-Kolumnist Hans Rauscher am Montag, 19. September, um 19 Uhr bei Thalia, Landstraßer Hauptstraße 2a/2b, 1030 Wien.

Foto: Brandstätter

STANDARD: In den letzten 20 Jahren hat die Forschung zum Hund richtig Fahrt aufgenommen. Warum ist das Thema davor so lange wissenschaftlich unbeachtet geblieben?

Kotrschal: Die Kollegenschaft stand früher Hunden sehr misstrauisch gegenüber. Erstens, weil es domestizierte Tiere sind, und in der Tradition von Konrad Lorenz hat man domestizierte Tiere als Mängelwesen im Vergleich mit der Wildform betrachtet. Heute hingegen sehen wir die Domestikation als Anpassung an ein Leben mit Menschen – also als das Gegenteil eines Mangels. Zweitens wollte man mit Hunden in Privathaltung lange nicht arbeiten, weil man fürchtete, keine standardisierten Bedingungen schaffen zu können.

STANDARD: Ist das nicht tatsächlich schwierig? Wie geht man denn mit der persönlichen Bindung zu Tieren um, die man beforscht – ohne die Ergebnisse zu beeinflussen?

Kotrschal: Wenn man nicht gerade mit Mehlwürmern arbeitet, hat man als Wissenschafter immer eine bestimmte Beziehung zu seinen Tieren. Aber das ist kein Hindernis dafür, zum Beispiel Daten zu deren Leistungsfähigkeit zu erheben. Ich forsche nicht, um nachzuweisen, wie gescheit Hunde oder Wölfe sind, ich will erforschen: Was können sie? Ich muss wissen, was ich mache, und das entsprechend einordnen. Aber in unserer Arbeit distanziert zu den Tieren zu bleiben ist völlig unrealistisch, das geht gar nicht.

STANDARD: Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre zum Hund?

Kotrschal: Die bisherigen Domestikationshypothesen gingen davon aus, dass Hunde die netteren Wölfe sind – aber so ist das nicht. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hunde eine steilere Dominanzhierarchie im Kopf haben, dass sie weniger tolerant und weniger kooperativ untereinander sind als Wölfe. Aber natürlich sind sie wesentlich kooperativer mit Menschen. Sie sind fähig, unsere sozialen Fehler zu schlucken, von uns dominiert zu werden. Die Hundwerdung ist eine Anpassung von Wölfen an uns. Man stellt insgesamt immer mehr fest, dass Hunde und Menschen zwar unterschiedlich aussehen, aber vom sozialen Grundmodell nahezu identisch sind. Und auch was die Abstammung vom Wolf betrifft, gab es in den letzten Jahren eine richtige Serie von Schlüsselarbeiten. Deshalb hatte ich das Gefühl, es ist der richtige Zeitpunkt für ein neues Buch.

STANDARD: Der Hund hat sich über die vielen Jahrtausende an den Menschen angepasst. Wie aber hat diese Beziehung den Menschen beeinflusst oder gar verändert?

Kotrschal: Das ist eine sehr gute Frage, allerdings können wir sie nicht beantworten. Es gibt seit 35.000 Jahren schlicht und ergreifend keine Menschen ohne Hunde, diese Kontrollgruppe fehlt uns einfach. Ich denke, die wechselseitige Anpassung war relativ asymmetrisch – über die längste Zeit haben sich Hunde an den Menschen angepasst. So kam es auch, dass Hunde weniger gut darin sind, ihre Emotionen und Befindlichkeiten zu kommunizieren als Wölfe. Wahrscheinlich, weil Menschen das ohnehin nicht so genau lesen. Gleichzeitig sind Hunde aber sehr gut darin, uns zu lesen, weil das überlebenswichtig für sie ist. Ein Hund, der nicht weiß, wie sein Mensch drauf ist, ist bald ein toter Hund.

STANDARD: Auch andere Tiere leben in engen Sozialbeziehungen mit Menschen. Was ist das Alleinstellungsmerkmal des Hundes?

Kotrschal: Hunde haben sich jahrtausendelang an ein Zusammenleben mit uns angepasst, sie sind gewissermaßen Spiegelbilder unserer selbst. Das ist der Grund, warum ich sage: Es ist irgendwie unpassend, Hunde als Tiere zu bezeichnen, wenn man schon die alte Trennung von Mensch und Tier im Kopf hat. Natürlich sind Hunde auch keine Menschen, aber etwas dazwischen. Von ihren Bedürfnissen und ihrem sozialen Verständnis sind sie sicher jene Tiere, die uns am allernächsten sind. Innerhalb der Säugetiere gibt es unglaubliche Parallelen in Gehirn- oder Sozialstruktur, wir können mit allen möglichen Tieren wunderbar sozial sein. Aber mit Hunden geht das halt einfacher, weil Hunde selbst aktiv daran interessiert sind, mit uns soziale Beziehungen zu leben.

STANDARD: Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach die Mensch-Hund-Beziehung in Zukunft entwickeln, wenn man an die Technisierung und Urbanisierung der Welt denkt?

Kotrschal: Der Hund wird immer wichtiger, das sieht man heute schon. Die Hundehaltung nimmt rein quantitativ zu, aber auch qualitativ verändert sie sich: Die Hunde werden, parallel zur Fraktionierung der Gesellschaft, immer mehr zu Sozialgefährten. Wenn man in urbanen Verhältnissen lebt, hat man ein beschleunigtes Leben und nicht immer jene sozialen Beziehungen, die Menschen eigentlich brauchen würden, um sich emotional zu puffern. Wenn die Face-to-Face-Kommunikation immer mehr zugunsten der elektronischen Kommunikation zurückgeht, kann man nur vermuten, dass Hunde wichtige Akteure sind, um uns mit unseren Bedürfnissen zu erden, zu verbinden.

STANDARD: Wird der Hund der Zukunft nicht vielleicht selbst stärker technisiert leben?

Kotrschal: Ich weiß nicht ganz, wie das funktionieren soll, mit einem Hund muss man direkt kommunizieren. Wird es einmal implantierbare Chips bei Haltern und Hunden geben? Ich bin da ein bisschen skeptisch solchen Zukunftsträumen gegenüber. Denn es ist ja genau der Vorteil von Hunden, dass sie uns ein bisschen auf den Boden unserer tatsächlichen Bedürfnisse zurückholen – und das macht ja gerade ihre positiven Wirkungen aus, das wird auch in den Städten der Zukunft so sein.

STANDARD: Können die Verhältnisse in der Großstadt einem Hund überhaupt einen guten Lebensraum bieten?

Kotrschal: Absolut – Hunde gehören in die Stadt. Natürlich ist es auf dem Land auch gut, aber Hunde in der Stadt haben meist insofern ein besseres Leben, als ihre Halter zweimal pro Tag mit ihnen ausführlich etwas unternehmen. Also wenn ein Halter entsprechend agiert, hat ein Hund in der Stadt ein ziemlich gutes Ambiente. Vorausgesetzt, dass das Quartier und die Stadt ein Minimum an Hundefreundlichkeit haben, und das muss man auch verlangen: Das lange Zusammenleben begründet ein Menschenrecht auf Hundehaltung. Städte sollten hundefreundlich gebaut werden, was gleichzeitig ja menschenfreundlich und kinderfreundlich bedeutet.

STANDARD: In vielen Kulturkreisen wird das Leben mit Hunden abgelehnt. Lassen sich Ihre Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen Mensch und Hund also überhaupt verallgemeinern?

Kotrschal: Die Mensch-Tier-Beziehung ist etwas Universelles. Weltweit scheinen sich Kinder für nichts mehr zu interessieren als für Tiere – ganz egal in welchen Kulturen. Ich meine, dass es eine grundsätzliche Basis für eine positive Beziehung gibt, nicht nur zu Hunden, sondern zu Tieren allgemein. Natürlich gibt es kulturelle Ausformungen. Aber Muslime etwa sehen Hunde auch nicht unbedingt nur negativ. Ich habe vor vielen Jahren gedacht, dass der muslimische Zuzug nach Wien bedeuten könnte, dass die Hundehaltung in der Stadt kritischer wird. Aber es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, im Gegenteil. (David Rennert, 7.9.2016)