Das Gehirn hat den größten Zuckerverbrauch im menschlichen Körper. Wissenschafter haben herausgefunden, dass die Aufnahme des Süßmachers vor allem durch Astrozyten, die unter anderem die Bluthirnschranke bilden, gesteuert wird.

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München – Der TV-Koch Tim Mälzer mag es deftig. Nicht nur in der Küche. Ende August war er Gast in der ARD-Sendung "Hart aber fair", bei der über den Zuckergehalt in Lebensmitteln diskutiert wurde. Was folgte war ein Rundumschlag gegen Lebensmittelindustrie, Werbewirtschaft und Politik, weil versteckte Zuckerbomben nicht als solche deklariert werden. Sein Vergleich von Müsliverpackungen für Kinder mit "dicken Brüsten in der Strip-Bar", über die der Nachwuchs mit "Zucker angetriggert" wird, sorgte für Schlagzeilen.

Auch Wissenschafter warnen vor dem Konsum von Softdrinks und Fertigprodukten, die mit Zucker versetzt sind. Besonders in den USA gerät der Süßmacher zunehmend unter Beschuss. So fanden Forscher der Emory University School of Medicine in Atlanta heraus, dass Kinder, die Nahrungsmittel mit viel zugesetztem Zucker konsumieren, eher dazu neigen, weniger gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Vollkornprodukte zu essen.

Eine weitere Studie spricht sich dafür aus, Kindern unter zwei Jahren überhaupt keine zuckerhaltige Kost zu geben. Schließlich habe eine Meta-Analyse gezeigt, dass bereits eine Zuckeraufnahme von mehr als 25 Gramm pro Tag – das entspricht etwa sechs Teelöffeln – das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko bei Kindern deutlich steigert.

Zuckerversorgung ist kein zufälliger Prozess

Auch Forscher des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DDZ) und der Abteilung für Stoffwechselerkrankungen an der Technischen Universität in München kritisieren den zu leichtfertigen Umgang mit dem Dickmacher. "Unsere Gesellschaft steht durch den rapiden Anstieg von Übergewicht und der damit verbundenen Verbreitung von Typ-2-Diabetes vor einer enormen Herausforderung. Immer noch fehlt es an effizienten und sicheren Medikamenten, um diese Entwicklung aufzuhalten", warnen die Wissenschafter. Der Grund dafür: Die Mechanismen des Zucker- und Energiestoffwechsels seien immer noch völlig unzureichend erforscht.

Das Gehirn ist das Organ mit dem höchsten Zuckerverbrauch im Körper. Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass es sich hier um einen passiven Vorgang handelt: "Lange Zeit ließen wir uns davon in die Irre führen, dass Nervenzellen diesen Prozess offensichtlich nicht kontrollieren", sagt die Neurologin Cristina García Cáceres. Ihre These: "Bei so einem wichtigen Vorgang, wie der Versorgung des Gehirns mit ausreichend Zucker, kann es sich nicht um einen zufälligen Prozess handeln."

Durchbrechen der Bluthirnschranke

Die Forscher vermuteten, dass die Stützzellen des Gehirns, die sogenannten Astrozyten, etwas mit Zuckertransport ins Gehirn zu tun haben könnten. Astrozyten sind die häufigsten Zellen im Hirn. Sie bilden die Bluthirnschranke, indem sie die im Hirn verlaufenden Blutgefäße umschließen und nur bestimmte Stoffe gezielt zu den Nervenzellen durchlassen. Die Wissenschaftler untersuchten deshalb zunächst die Aktivität von Insulinrezeptoren auf der Oberfläche der Astrozyten, also jenen Strukturen, über die Insulin Einfluss auf Zellen nimmt.

Dabei stellten sie fest, dass Mäuse, denen dieser Rezeptor auf bestimmten Astrozyten fehlte, eine deutlich geringere Aktivität in jenen Nervenzellen hatten, die den Appetit zügeln. Gleichzeitig hatten solche Mäuse Schwierigkeiten, ihren Stoffwechsel anzupassen, wenn sich die Zuckerzufuhr änderte. Mit Hilfe bildgebender Verfahren konnten die Wissenschafter zeigen, dass Hormone wie Insulin und Leptin an den Stützzellen wirken, um die Aufnahme von Zucker ins Gehirn zu regulieren.

Erst ein Anfang

Ohne Insulinrezeptoren zeigten die Astrozyten vor allem im Bereich der Appetitzentralen im sogenannten Hypothalamus schlechtere Transportraten von Glukose ins Gehirn. "Essentielle Stoffwechsel- und Verhaltensprozesse werden nicht nur über Nervenbahnen reguliert. Auch andere Zelltypen wie Astrozyten, spielen hier eine entscheidende Rolle", sagt Studienleiter Matthias Tschöp vom DZD. "Das stellt einen Paradigmenwechsel dar und könnte ein Grund dafür sein, dass sich die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung von Diabetes und Adipositas bisher so schwierig gestaltete."

Allerdings muss das Zusammenspiel dieser verschiedenen Zellen noch besser verstanden werden. Ziel sei es, Wege und Stoffe zu finden, wie man in diese Signalketten eingreifen kann, um eventuell Zuckerabhängigkeit zu unterbinden und letztlich die wachsende Zahl an Zuckerkranken und Übergewichtigen besser behandeln zu können. "Da liegt sehr viel Arbeit vor uns," so Garcia-Caceres, "aber wenigstens wissen wir jetzt, in welchen Zellen wir suchen müssen." (red, 12.9.2016)