Finanzminister Hans Jörg Schelling (re.) bot sich Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem (Mitte) und Währungskommissar Pierre Moscovici als Vorkämpfer gegen Mehrwertsteuerbetrug an.

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Obwohl sich die Konjunktur langsam erholt, die Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten zurückgeht, klaffen in den Haushalten der meisten Mitgliedstaaten nach wie vor tiefe Löcher. Es fehlt an Mitteln, um neue Maßnahmen etwa im Klimaschutz- und Energiebereich zu finanzieren. Diese Misere könnte nach dem Willen der Finanzminister von EU und Eurozone einfach verbessert werden, indem diese Steuerbetrug und Steuervermeidung hart bekämpfen.

Mit der Vollendung des Binnenmarktes betrifft das vor allem alle Methoden von grenzüberschreitender Steuervermeidung durch multinationale Konzerne wie auch Steuerbetrug, etwa bei der Rückforderung von Mehrwertsteuern im "Karussellverfahren" via Scheinfirmen über mehrere Staaten. Diese Überlegungen standen am Wochenende im Zentrum des informellen Treffens der EU-Finanzminister in Bratislava. Bis Frühjahr soll die EU-Kommission Umsetzungspläne vorlegen.

Kampf gegen Mehrwertsteuerbetrug

Ein Ergebnis wird laut Finanzminister Hans Jörg Schelling sein, dass Österreich ab dem Steuerjahr 2018 ein Pilotprojekt zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs starten wird, voraussichtlich gemeinsam mit Tschechien. Es geht dabei um das mafiamäßige Vorgehen, sich im Wege des Vorsteuerabzugs bei grenzüberschreitenden Geschäften den Mehrwertsteueranteil aus Staatskassen illegal auszahlen zu lassen, oft mehrfach.

Für Behörden sind solche Machenschaften häufig schwer zu verfolgen, weil Firmen nur zu diesem Betrugszweck gegründet und nach sehr kurzer Zeit, zwischen acht Stunden und 22 Tagen, wieder liquidiert werden, wie Schelling erklärte.

Lange Umsetzungsphase

Um das zu unterbinden, soll das "Reverse Charge"-Modell zur Anwendung kommen: Eine Steuervergütung würde nicht, wie derzeit, im ursprünglichen Lieferland, sondern im Ausliefererland erfolgen. Die EU-Kommission hat in Bratislava eine Studie vorgelegt, wonach unionsweit 160 Milliarden Euro an Mehrwertsteuern betrügerisch umgangen werden, in Österreich allein 2,9 Milliarden, in Italien 37 Milliarden, in Frankreich 25. Die meisten Betrügereien gibt es in Rumänien (38 Prozent der Mehrwertsteuern betroffen), am wenigsten in Schweden (1,9 Prozent der MwSt.).

Laut Schelling wird die Kommission im Frühjahr das konkrete Pilotprojekt vorlegen. Bei einem Beschluss vor dem Sommer könnte es dann Anfang 2018 starten. Gelingt dies, wäre es ein echter Durchbruch: Das Projekt wurde erstmals vor mehr als zehn Jahren, im Jänner 2006, von der Regierung in Wien gefordert.

Irland wehrt sich

Noch viel mehr Steuergeld wäre für die EU-Finanzminister zu holen, wenn es ihnen gelingt, die Steuervermeidung von Konzernen zu unterbinden. Durch Sonderdeals zur Absenkung der Bemessungsgrundlagen fallen weltweit bis zu 200 Milliarden Euro Körperschaftsteuer aus. Zuletzt hatte der Fall Apple für Aufsehen gesorgt. Die EU-Kommission klagte 13 Milliarden Euro an entgangenen Steuern in Irland ein, betrachtet das als unzulässige staatliche Beihilfe. Der irische Finanzminister will gegen diese Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Er erläuterte seinen Kollegen, dass Steuerdeals mit Apple als PC-Hersteller seit langem existierten und 2012 ohnehin verändert wurden. So wie die Niederlande (im Fall Starbucks) sieht er keine Möglichkeit, das Geld rückwirkend einzufordern.

Schelling bestätigte, dass das Ersuchen Österreichs, einen Teil der 13 Milliarden Euro als Kompensation zu erhalten, vermutlich nur "eine sehr geringe Chance" habe. Aber: Die EU-Finanzminister haben die Kommission beauftragt, der Steuerhinterziehung mit mehr Maßnahmen einen Riegel vorzuschieben. Diesbezüglich soll es enge Kooperationen mit der OECD und den G20-Staaten geben. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem forderte Konzerne auf, "faire Steuern" zu bezahlen, "die Zeiten haben sich geändert".

Finanztransaktionssteuer tot

Einen Rückschlag gibt es beim Plan zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) im Zuge der "verstärkten Zusammenarbeit" von zehn Ländern (Deutschland, Frankreich, Österreich u. a.). "Das funktioniert nicht, wenn man es nicht global macht", sagte der Deutsche Wolfgang Schäuble. Das Projekt FTS soll technisch abgeschlossen werden (unter Vorsitz von Schelling), dann soll es im Oktober wieder auf Ebene der OECD und der G20 "gehoben werden", damit es global realisiert werden kann. Oder, wie es ein Diplomat unter Zusicherung der Vertraulichkeit formulierte: "Die Finanztransaktionssteuer ist vorläufig gestorben." (Thomas Mayer aus Bratislava, 11.9.2016)