Computerrekonstruktionen enthüllten die hebräischen Schriftzeichen des Dokuments so deutlich, dass ganze Passagen lesbar wurden.

Foto: Brent Seales / Science Advances

Video: "Virtually Unwrapping the En-Gedi Scroll"

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Lexington/Wien – Sie zählen fraglos zu den bedeutendsten archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Zwischen 1946 und 1956 wurden in elf Höhlen nahe dem Toten Meer Fragmente hunderter Schriftrollen entdeckt, die zum Teil mehr als 2.000 Jahre alt sind. Unter diesen sogenannten "Schriftrollen vom Toten Meer" befinden sich die ältesten bekannten biblischen Handschriften.

Nicht weit von den Fundorten in der antiken jüdischen Siedlung Khirbet Qumran entfernt machten Archäologen im Jahr 1970 einen weiteren vielversprechenden Fund: Bei Ausgrabungen einer um das Jahr 600 niedergebrannten Synagoge in der israelischen Oase En Gedi fanden sich abermals Schriftstücke, doch schnell zeigte sich, dass damit wissenschaftlich wenig anzufangen war: Die aus Pergament gefertigten Rollen waren vollkommen verkohlt und dermaßen empfindlich, dass sie schon durch bloße Berührungen zu zerbröseln drohten. An Entrollungsversuche war gar nicht erst zu denken, und so harrten die alten Schriften – vorsichtig archiviert – jahrzehntelang ihrer Entschlüsselung.

Biblischer Text

Nun ist es Forschern um William Brent Seales (University of Kentucky in Lexington) gelungen, den Inhalt einer dieser Pergamentrollen zu rekonstruieren. Wie die Wissenschafter im Fachblatt "Science Advances" berichten, handelt es sich dabei um eine Passage aus dem dritten Buch Mose, die vor mindestens 1500 Jahren niedergeschrieben wurde. Damit ist das Schriftstück nach den Schriftrollen vom Toten Meer das älteste bekannte biblische Dokument.

Gelungen ist die Entschlüsselung des Textes virtuell – mithilfe computertomografischer Scans und einer speziell entwickelten Software. Dafür wurde die verkohlte Rolle durchleuchtet und mithilfe der Daten ein digitales Modell erstellt, um die Strukturen der einzelnen Lagen abzubilden und mit metallhaltiger Tinte beschriebene Bereiche zu identifizieren. Anschließend wurde das 3D-Modell "entrollt", indem die gewellten und verwickelten Pergamentflächen virtuell geglättet und die verschiedenen Segmente zu einem einzigen Dokument zusammengefügt wurden.

3-D-Rekonstruktion

Das war freilich ein umfangreiches Unterfangen. Im vergangenen Jahr war es Seales und Kollegen mit ihrer Methode bereits gelungen, das Modell einer Pergamentschicht zu entrollen. Inzwischen konnten sie auch die übrigen Schichten aus gut hundert Fragmenten rekonstruieren und lesbar machen. Beim Vergleich zeigte sich, dass die hebräische Schreibweise jener auf den Schriftrollen vom Toten Meer stark ähnelt. Inhaltlich entspreche der Text exakt einer Passage der hebräischen Bibel, so die Forscher.

"Eine so bemerkenswerte Übereinstimmung haben wir noch nie gesehen", kommentierte Emanuel Tov von der Hebrew University in Jerusalem die Entdeckung. Seales zeigte sich indes zuversichtlich, dass das neue Verfahren künftig weitere verbrannte oder anderweitig stark beschädigte Schriftstücke lesbar machen könnte: "Es gibt so viele einzigartige und spannende Dokumente, deren Geheimnisse es noch zu entdecken gilt." Die Forscher wollen nun sämtliche Daten und Ergebnisse sowie ihre Software der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. (David Rennert, 22.9.2016)