Pokémon Go & Co: Für Jugendliche ist das Smartphone ein Unterhaltungsmedium, aber auch das wichtigste Kommunikationstool.

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Exzessive Handynutzung kann zu Schlafproblemen und Gedächtnisstörungen führen. Eltern sollten positive Vorbilder sein – und auch einmal abschalten, sagen Therapeuten.

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China: Mädchen bei einer Selfie-Session. Hierzulande verbringen Jugendliche täglich rund drei Stunden pro Tag mit ihrem Smartphone.

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Schon vor dem Frühstück checkt der 13-jährige Jakob Instagram. Im Bus zur Schule sieht er sich Videos auf Youtube an, am Nachmittag schreibt er seinen Freunden via Whatsapp. Am Abend, nach den Hausaufgaben, spielt er Games im Netz.

Jakob ist ein typischer Vertreter seiner Alterskohorte. Täglich dreieinhalb Stunden verbringt diese Gruppe laut einer aktuellen Imas-Umfrage mit ihrem Smartphone. Tendenz steigend. Von den Zehn- bis Elfjährigen besitzen etwa 61 Prozent ein internetfähiges Handy, zeigen Zahlen für Deutschland. Bei den Zwölf- bis Dreizehnjährigen sind es bereits 83 Prozent. Von den 13- bis 16-Jährigen, so eine Untersuchung aus Österreich, nutzen bereits 100 Prozent das Internet, 80 Prozent davon auf einem mobilen Gerät.

Schaltstelle des Lebens

Sie sind die sogenannten Digital Natives, die mit digitalen Technologien großgeworden sind. Und für sie sind Smartphones die Schaltstelle ihres Lebens: Tagebuch, Fotoapparat, Unterhaltungsmittel und das wichtigste Kommunikationsinstrument in einem. Über ihr Handy bleiben die Heranwachsenden mit Freunden in Kontakt, erreichen ihre Eltern in Notfällen.

Im Idealfall stoßen sie im Netz auch auf neue Themen – und sie lernen. Nicht zuletzt deshalb propagieren zahlreiche Bildungsexperten digitale Geräte als wichtiges Bildungstool.

Smartphone lenkt ab

Viele Kinder belastet es aber auch, so viel Zeit mit ihrem Smartphone zu verbringen. Das hat die deutsche Kommunikationswissenschafterin Dorothée Hefner herausgefunden. Gemeinsam mit einer Kollegin befragte sie in einer umfangreichen Studie – mittels Interviews und Fragebögen – Kinder und Jugendliche zwischen acht und vierzehn Jahren nach ihrer Smartphonenutzung.

Etwa die Hälfte meinte, ihr Mobiltelefon lenke sie von wichtigen Aufgaben ab. Jeder Fünfte kann nicht einmal zeitweise auf sein Handy verzichten, obwohl er genervt ist von den eintrudelnden Nachrichten. Grund dafür ist die Angst, etwas zu verpassen, von Psychologen Fomo (Fear of missing out) genannt.

Von der Belastung zur Sucht

Im schlimmsten Fall wird exzessive Handynutzung gar zur Sucht. Wann die Grenze erreicht ist? "Wenn jemand die Kontrolle darüber verliert", sagt Dominik Batthyány, Psychotherapeut und Leiter des Instituts Verhaltenssüchte an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien.

Mehr als drei Prozent der österreichischen Jugendlichen sind laut Experten der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie internetsüchtig. Weitere acht Prozent weisen einen problematischen Internetkonsum auf. Bereits Kinder seien zunehmend von Internet- und Smartphone-Abhängigkeit betroffen, sagen die Forscher, darüber gebe es aber noch wenige Studien.

Folgen und Symptome von Internetsucht ähneln denen anderer Süchte, wie beispielsweise einer Kauf- oder Spielsucht, weiß Psychologe Batthyány: Die Betroffenen vernachlässigen Hausübungen, Hobbys, Freunde. Oder anders gesagt: ihr Offlineleben. Internetsucht kann auch zu Gedächtnisstörungen oder Schlafproblemen führen.

Handyfreie Zeiten

Dafür, wie kompetent Kinder mit ihrem Smartphone umgehen, seien verschiedene Faktoren ausschlaggebend, sagt Forscherin Hefner. Erstens: die Persönlichkeit des Kindes. Wie resistent ist es? Wie sehr beugt es sich Anforderungen der Peer-Group? Handykompetente Kinder machten sich weniger Sorgen darüber, "mal etwas nicht mitzubekommen", sagt Hefner – und hätten ihre Handynutzung noch bewusst in der Hand.

Entscheidend für einen kontrollierten Umgang mit dem Smartphone ist offenbar auch das, was Hefner "Bindungssicherheit" nennt. Sie entsteht, wenn Eltern ihren Kindern von Geburt an Empathie und Vertrauen entgegenbringen. "Oft fragen Eltern nach klaren Handlungsanweisungen, aber die Basis für eine kompetente Handynutzung liegt viel tiefer", sagt Hefner. Sie hält wenig von einseitigen Verboten.

Vorbilder gebraucht

Viel wichtiger sei, dass Eltern ihren Kindern das Abschalten vorleben – nachweislich beeinflusst die Handynutzung der Eltern jene der Kinder. Kinder fühlten sich schnell verletzt, wenn sie merken, dass die Eltern für sie nicht ansprechbar sind und imitieren ihr Verhalten, schreibt Jesper Juul, Familientherapeut und STANDARD-Kolumnist in einem Aufsatz.

Daher gilt: "Das, was man von seinen Kindern erwartet, sollte man auch selbst tun", sagt Forscherin Hefner. Kann heißen: das Handy beim Essen weglegen, während eines Gesprächs den Alarm eintreffender Nachrichten ignorieren. Auch die Experten der Innsbrucker Universitätsklinik empfehlen, Kinder in verantwortungsvollem Medienkonsum zu schulen. Etwa durch handyfreie Zeiten – die die Familie dann ganz bewusst miteinander verbringt. Therapeut Juul spricht von "Inseln des Zusammenseins", es brauche von diesen Zeiten zwei bis drei Stunden pro Tag.

Besser eingesteckt lassen

Beim Aufstellen von Vorschriften sollte man Kinder jedenfalls beteiligen, sagt Wissenschafterin Hefner. Beispiel Second Screen: "Gibt es die Regel 'Beim Fernsehen kein Smartphone', muss das Kind auch argumentieren können, warum es bei einer speziellen Sendung das Smartphone nutzen kann. Grund dafür kann sein, dass sich seine Freunde währenddessen immer in der Whatsapp-Gruppe austauschen. Dann sollten das die Eltern verstehen und gelegentlich eine Ausnahme machen."

Umgangsformen mit dem Smartphone, sagt Hefner, bräuchten schließlich nicht nur Familien, sondern jede und jeder. Denn das Smartphone kann nicht nur krank machen, sondern auch sehr einsam: In der Regel beugt sich jeder über seines. "Irgendwann schaut man sich nicht mehr in die Augen, sondern nur noch aufs Display", sagt Batthyány. Nötig sei mehr "digitales Situationsbewusstsein", sagt der Psychologe – also die Fähigkeit zu wissen, wann man sein Handy besser in der Hosentasche lassen sollte. (Lisa Breit, 22.10.2016)