"The only thing that kept me going was that I loved what I did. The only way to do great work is to love what you do." Steve Jobs über Leidenschaft in der Arbeit. Das so genannte Passion Principle – eine Arbeit zu finden, die sinnvoll ist und man liebt – stabilisiert und verstärkt gesellschaftliche Ungleichheit laut Michael Meyer auf vielfältige Weise.

Ramesh Ramanujan

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Meyer: "Das Perfide am Passion Principle ist, dass damit die Schuld am Scheitern einzig und allein der Einzelne trägt: Wenn es ohnehin gesellschaftlich erwünscht ist, dass jeder Mensch Sinn und Verwirklichung in seiner Arbeit findet, dann kann man ja nur selbst daran schuld sein, wenn man das nicht schafft."

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Michael Meyer ist Professor für Non-Profit-Wirtschaft an der Wirtschaftsuniversität in Wien und Karrierenforscher.

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Leidenschaft und Intelligenz werden heute mehr erwartet denn je, und zwar nicht nur im Beruf. Der Ayatollah des Prinzips Leidenschaft war Apple-Gründer Steve Jobs: "Deine Arbeit nimmt einen großen Teil deines Lebens ein. Nur wenn du einen großartigen Job hast, für den du dich begeisterst, wirst du zufrieden sein. Wenn du den noch nicht hast, suche weiter. Gib nicht auf. Suche ihn mit aller Kraft, dann wirst du ihn auch finden."

Die Leidenschaft für die Arbeit, der Beruf als Berufung hat mittlerweile jene soziale Funktion, die die romantische Liebe im 19. Jahrhundert innehatte: ein gesellschaftliches Desideratum, ein Ideal, das aber ein Luxusgut für wenige Privilegierte bleiben muss und damit die gesellschaftliche Ungleichheit verstärkt. Zusätzlich zum ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital besitzt die herrschende Klasse ja auch die Definitions- und Verfügungsmacht über gesellschaftliche Ideale, die nur sie erreichen kann.

Sinn, Einkommen, Arbeit

Erin A. Cech ist Soziologin, sie forscht und lehrt an der Rice University in Houston. Ihre Schwerpunkte sind jene verborgenen kulturellen Mechanismen, die gesellschaftliche Ungleichheit stabilisieren und verstärken. Das Passion Principle hält sie für einen solchen – besonders wirkungsmächtigen – Mechanismus. Die US-Eliteuniversitäten sind Hochburgen des Passion Principle. Wenn man dort Studierende fragt, worauf es ihnen bei einem künftigen Job ankommt, dann nennen sie drei Aspekte: Der Job muss intellektuell herausfordernd sein. Man muss ihn lieben. Und er muss zur Biografie und zum Selbstkonzept, also zum Idealbild der eigenen Persönlichkeit passen.

Cech hat Studierende unterschiedlicher US-Universitäten gefragt: Je elitärer die Universität und die soziale Herkunft, desto wichtiger sind diese Kriterien für die Wahl des Studiums und desto unwichtiger sind das Einkommen und Arbeitsmöglichkeiten. Für 70 Prozent der von Cech untersuchten Collegestudierenden ist es am wichtigsten, dass man sich für den künftigen Job begeistern kann und dass er Sinn und Bedeutung stiftet. Unter den Stanford-Studierenden beträgt dieser Anteil beispielsweise 90 Prozent.

Ein Elitenphänomen

Die US-Works-Studie 2008 zeigt noch deutlicher, dass das Passion Principle ein Elitenphänomen ist: Während es für Akademiker – in den USA 36 Prozent der Bevölkerung – am wichtigsten ist, dass der Beruf Sinn und Begeisterung stiftet, und bei ihnen das erzielbare Einkommen und die Arbeitsmarktsituation erst an zweiter und dritter Stelle genannt werden, ist es bei den 64 Prozent der US-Bevölkerung, die nur die Highschool abgeschlossen haben, genau umgekehrt: Am wichtigsten für die Wahl der Berufsausbildung ist es, dass man damit überhaupt einen Job findet. Dann erst kommt das Einkommen, und der Sinn kommt zuletzt.

In Österreich dürfte es nicht anders sein. Ab einem bestimmten Jobniveau ist es nämlich auch hierzulande verboten, halbherzig und lau zu sein. Etwas unglaubwürdig wird das dann erst bei periodischen Jobwechseln: Im Jänner noch hocheuphorisch für den einen Job, muss man sich dann im September schon für den neuen begeistern und den alten schlechtreden.

Verstärkt gesellschaftliche Ungleichheit

Das Passion Principle stabilisiert und verstärkt gesellschaftliche Ungleichheit auf vielfältige Weise: Orientieren sich beispielsweise Frauen bei der Studiums- und Berufswahl am Begeisterungsprinzip, dann gehen sie in der Regel in die traditionellen Frauenberufe und in geistes- und sozialwissenschaftliche Studien.

Sozialisationsbedingt "begeistern" sie sich stärker für Menschen als für Maschinen, für Unberechenbares als für Axiomatisches und für Emotionen als für Logik. Sie studieren dann eben nicht die Mint-Fächer, sondern werden Lehrerinnen, Journalistinnen oder Personalentwicklerinnen.

Ein zweites Beispiel: Der Druck, sich für ein Studium begeistern zu müssen, führt bei Unterschichtkindern dazu, dass sie Politikwissenschaft studieren und nicht Betriebswirtschaft – und sich damit den sozialen Aufstieg erschweren.

Und drittens: Begeisterungsfähigkeit wächst nicht, ohne vom Elternhaus gefördert zu werden. Noch vor 20 Jahren war es legitim, ein Studium zu wählen, weil man mit diesem Studium halt einen Job finden wollte. Es war legitim, einen Job zu wählen, weil man damit ganz gut verdient und berufliche Sicherheit hat. Heute muss sich jeder begeistern, Sinn finden und sich in der Arbeit selbst verwirklichen.

Die Selbstverwirklichungsillusion

Die romantische Liebe funktionierte und funktioniert übrigens ähnlich: Mit der Liebesheirat kamen das Eheunglück, die Potenzstörung, die Gewalt in der Ehe und die Explosion der Scheidungsraten. Mit dem Zwang zur Selbstverwirklichung im Job kamen die innere Kündigung und das Burnout.

Das Perfide am Passion Principle ist, dass damit die Schuld am Scheitern einzig und allein der Einzelne trägt: Wenn es ohnehin gesellschaftlich erwünscht ist, dass jeder Mensch Sinn und Verwirklichung in seiner Arbeit findet, dann kann man ja nur selbst daran schuld sein, wenn man das nicht schafft. Für den Supermarktkassier, die Taxifahrerin und den Bauarbeiter ist es vielleicht schwieriger – aber das wird ausgeblendet. Wenn sie sich nur ordentlich begeistern würden, dann wären auch sie glücklich und zufrieden. Es sei denn, sie sind schlicht zu dumm.

Der Krieg gegen dumme Menschen

So betitelte The Atlantic in seiner Sommerausgabe einen Beitrag von David H. Freedman. Selbst in den sonst politisch hyperkorrekten USA, in denen die Frage an einen Afroamerikaner, ob er Basketball spiele, als rassistische Mikroaggression verstanden wird (New York Times, 6. 9. 2016), stößt sich niemand am beißenden Spott gegen die Dummen: "not the sharpest tool in the shed", "dumber than a bag of hammers". Dabei sind es immerhin 25 Prozent der Bevölkerung – auch in Österreich -, deren IQ niedriger ist als 90. Keiner anderen Minderheit würde man derart respektlos gegenübertreten. Eine Beißhemmung setzt erst dann ein, wenn die Grenze zur Lernbehinderung unterschritten ist.

Im letzten Jahrhundert brauchte man noch nicht zwingend eine hohe Intelligenz und einen Hochschulabschluss, um beruflich erfolgreich zu sein. Mittlerweile hat sich die Lage dramatisch verändert. Der IQ korreliert stark mit dem Jahreseinkommen, in den USA ist jeder Punkt hunderte Dollar wert. Das Median-Jahreseinkommen zwischen Akademiker- und Nichtakademikerfamilien klafft dort mittlerweile um 30.000 Dollar auseinander.

Weniger Karriere- und Lebenschancen

Darüber hinaus leiden weniger intelligente Menschen signifikant häufiger an Übergewicht, Herz- und Kreislaufkrankheiten, und sie kommen häufiger ins Gefängnis. Selbst im Hochbildungssegment sind die Intelligenteren erfolgreicher, wie Wolfgang Mayrhofer von der WU Wien in seinem ViCapp-Projekt seit 15 Jahren regelmäßig zeigt: Studienerfolg und gute Noten sind die besten Prädiktoren für den Karriereerfolg.

Intelligenz ist mittlerweile auch das Topkriterium bei der Partnerwahl. Eine Studie der University of Iowa zeigt, dass die Intelligenz (wohlgemerkt bei beiden Geschlechtern) mittlerweile körperliche Attraktivität, Vermögen, Gesundheit und Geselligkeit überholt hat. Die begehrenswerten Helden von heute sind die Nerds aus "The Big Bang Theory".

Und es wird noch schlimmer werden für die weniger Gebildeten und weniger Intelligenten: Die technologischen Revolutionen, die uns bevorstehen, die selbstfahrenden Autos und Lkws, die Selbstbedienungskassen im Einzelhandel, smarte Roboter in der Gastronomie und in der Pflege werden Millionen jener Arbeitsplätze vernichten, für die man keinen akademischen Abschluss braucht.

Folgen der Automatisierung

Die technologischen Entwicklungen machen auch vor Büro- und Expertenjobs nicht halt: Spracherkennung und -transkription, automatisierte semantische Analysen großer Textmengen, Big-Data-Algorithmen und Online-Courses könnten abertausende Jobs im Higher-Education-Segment wegrationalisieren.

Auch diese Entwicklung verstärkt soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit dramatisch. Nicht nur, dass Intelligenz biologisch vererbt wird, nicht nur, dass Bildung sozial vererbt wird: Dank der Neurowissenschaften wissen wir mittlerweile auch mit Sicherheit, dass Stresssituationen in der frühen Kindheit, wie sie durch Armut, Not und Gewalt in der Familie ausgelöst werden, zu den üblichen physiologischen Stressreaktionen führen. Diese wiederum beeinträchtigen auf längere Zeit bei Kleinkindern die Entwicklung des präfrontalen Cortex. Einfacher formuliert: Armut macht dumm.

Stattdessen: Gezielte Förderung

Kommen wir zur Verhaltensformel: Es ist nicht nur der Einzelne, der aufgrund seiner Dummheit und seiner mangelnden Leidenschaft für seinen schlechten Job und seine Armut verantwortlich ist. Es sind auch die gesellschaftlichen Möglichkeiten und die sozialen Normen, die wir verändern können. Die Lösungen liegen noch lange nicht auf dem Tisch, und sie finden sich sicher nicht in Fortschrittsverweigerung und Abschottung. Ein erster Schritt wäre der Abbau unserer Arroganz gegenüber den sogenannten Modernisierungsverlierern und eine Demystifizierung von akademischer Bildung, Intelligenz und leidenschaftlicher Selbstverwirklichung im Beruf. Die längst anstehende Reform unseres Bildungssystems von der Elementarstufe zur Hochschulreife ist der nächste Schritt. Viele Versuche in den USA zeigen, wie man durch gezielte Förderungen familiär bedingte Benachteiligungen kompensieren kann.

In der Zwischenzeit müssen wir überlegen, wie wir den weniger Begabten – den Hasen im Rennen gegen den schlauen Igel – eine Verschnaufpause geben können. Gelingt uns das nicht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie irgendwann zum Krieg gegen unsere akademischen Paläste, Gerichtshöfe, Konzernzentralen und Expertenburgen blasen.

Die anhaltende Diskriminierung der Dummen könnte zum Ende unserer liberalen Demokratien führen. (Michael Meyer, 1.11.2016)