Márton Gergely, Vizechefredakteur der eingestellten ungarischen Tageszeitung "Népszabadság".

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STANDARD: Sie geben am Freitag eine Pressekonferenz in Wien, wo der Eigentümer Ihrer Zeitung sitzt, die Vienna Capital Partners (VCP). Diese VCP haben die regierungskritische "Népszabadság" voriges Wochenende überfallsartig eingestellt.

Gergely: Wir sind da in eine fast perfekte Falle getappt. Mit dem geplanten Umzug – wir hätten von unserem alten Redaktionsgebäude in Pest in ein neues in Buda umziehen sollen – sind wir in einen Hinterhalt gelockt worden. Wir hatten noch selbst all unsere Sachen zum Abtransport in Schachteln gepackt.

STANDARD: Sie haben ihre Arbeitsplätze noch selbst geräumt ...

Gergely: Wir haben selbst noch für die Räumung gesorgt. Mir würden dazu sehr schlimme Vergleiche einfallen, aber die sage ich lieber nicht. Wir wurden total getäuscht, damit wir alles mitmachen und selbst helfen, unsere Arbeitsplätze zu vernichten.

STANDARD: Warum war die Falle nur fast perfekt?

Gergely: Ich korrigiere: Sie war ziemlich perfekt. Und erst am Dienstag haben wir erkannt, dass diese Falle noch viel tiefer und viel zynischer ist.

STANDARD: Weil?

Gergely: Wir sind kollektiv bestraft worden. Die Schließung der "Népszabadság" ist eine Bestrafung für kritischen Journalismus, eine Bestrafung für Recherche, für investigativen Journalismus. Das Zynische daran ist: Mit uns investigativen Journalisten wurden auch die Techniker, die Grafiker, die Sport- und Kulturredakteure der Zeitung bestraft. Und wir alle sind nun in Geiselhaft der Muttergesellschaft Mediaworks, die wiederum den VCP gehört.

STANDARD: Inwiefern?

Gergely: Unter uns sind Leute, die morgen woanders anfangen könnten. Die noch viel zu schreiben hätten, viel Material hätten – auch wenn viel davon in den Umzugskartons liegt, auf die wir nun keinen Zugriff haben. Aber wir müssen zusammenhalten und solidarisch sein mit allen Kollegen, hier stehen Lebensgrundlagen auf dem Spiel. Und wir sind auch nach der Einstellung der "Népszabadság" am Samstag alle Angestellte der Mediaworks, mit Ansprüchen auf Abfertigungen. Solange wir das sind, können wir aber auch unsere Geschichten, unsere Recherchen für "Népszabadság" nicht in anderen Medien publizieren. Aber unser Hauptanliegen ist, dass die Ansprüche aller ausbezahlt werden.

STANDARD: Mit der Forderung kommen Sie nach Wien, wo die Muttergesellschaft der Mediaworks sitzt, Heinrich Pecinas VCP.

Gergely: Wir schlagen den VCP eine gemeinsame Lösung für die gesamte Belegschaft vor, die eine Beendigung des Dienstverhältnisses mit allen rechtlichen Ansprüchen oder unter besseren Konditionen ermöglicht. Und wer weiterhin einen Job bei Mediaworks haben kann und will, soll das unbeschadet dieser Gesamtregelung tun können.

STANDARD: Wie gehen die VCP mit der Belegschaft um?

Gergely: Sie verbreiten zynische Lügen über unsere finanzielle Lage: Wenn wir die finanziellen Probleme lösen, kann die Zeitung wieder erscheinen. Aber welchen Sinn ergibt das nach einer Einstellung? Wenn eine Zeitung nicht mehr erscheint, brechen die Einnahmen weg. Gleich am Samstag hat die Mediaworks die Abonnenten der "Népszabadság" informiert, dass sie künftig doch eine andere Zeitung aus dem Konzern beziehen könnten – oder sie bekommen ihr Geld zurück. Wer ernsthaft interessiert ist, eine Zeitung weiter herauszugeben, kommuniziert nicht so.

STANDARD: Die VCP argumentieren die Einstellung mit: "Népszabadság" habe heuer schon eine Million Euro Verlust gemacht, die Verkaufszahlen seien in den vergangenen Jahren auf 27.000 Exemplare eingebrochen.

Gergely: Es waren 37.000 Exemplare, und der Verlust lag unter einer Million. Die VCP argumentieren vor allem mit Zahlen seit 2007, einer Zeit mit der größten Wirtschaftskrise und einem tiefgreifenden Medienwandel. Aber die VCP haben die Zeitung erst 2014 übernommen, als die größten Verluste schon hinter ihr lagen. Damals hat Herr Pecina offenbar eine Perspektive gesehen. Und wir haben alle immer engere Budgets eingehalten. Hier wurde nicht eine kleine Lokalzeitung nach einer langen Phase der Agonie geschlossen, sondern die größte Tageszeitung des Landes mit einer Auflage beinahe so hoch wie alle anderen nationalen Zeitungen zusammen. Den Marktführer stellt man nicht so einfach ein. Es gab sogar einen Kaufinteressenten, der "Népszabadság" übernehmen wollte.

STANDARD: Wer war das?

Gergely: Ich kenne den Namen, kann ihn hier aber nicht nennen. Dieser Interessent wollte die Zeitung für einen Forint, einen symbolischen Kaufpreis, übernehmen und weiterführen. Wenn Herr Pecina verkauft hätte, statt die Zeitung einzustellen, hätte er sich viel erspart: einen großen Imageschaden, unsere Abfindungen.

STANDARD: Man könnte sagen, rein wirtschaftlich ist verständlich, dass ein Verlustbringer geschlossen wird.

Gergely: Ich frage mich, ob alle Zeitungen und anderen Produkte von Mediaworks Gewinn machen. Ich bezweifle, dass nur "Népszabadság" Verluste einfährt. Die Mediaworks setzt rund 80 Millionen Euro um, und sie macht Profit. Und die politische Zeitung "Népszabadság" verleiht der Mediaworks ihr Gewicht, nicht ihre Rätselhefte oder Regionalzeitungen oder ihre Sportzeitung. Die Druckerei der Mediaworks verliert mit dem Druckauftrag der "Népszabadság" massiv Einnahmen. Welchen wirtschaftlichen Sinn macht es, uns ohne Arbeit weiter zu beschäftigen und auch die Druckerei um eine wichtige Einnahmequelle zu zu bringen? Und warum stellt "Népszabadság" noch im Sommer acht hochqualifizierte Mitarbeiter an, um den Onlineauftritt der Zeitung zu stärken?

STANDARD: Aber Ungarns Politik blockiert, so hört man, gezielt Werbebuchungen – etwa auch von Firmen, die auf staatliche Aufträge hoffen.

Gergely: Staatliche Werbung wird in Ungarn als Waffe gegen kritischen Journalismus eingesetzt. Aber Mediaworks bekommt staatliche Werbung in ihren übrigen Titeln.

STANDARD: Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Werbung als Druckmittel für eine Einstellung der "Népszabadság" eingesetzt wurde?

Gergely: Das ist eine der wahrscheinlichsten Möglichkeiten in Ungarn. Aber die Wahrheit ist, fürchte ich, noch schlimmer.

STANDARD: Ihre Theorie?

Gergely: Ungarns Regierung unter Ministerpräsident Orbán hat 2010/2011 versucht, die kritische und unabhängige Berichterstattung mit einem neuen Mediengesetz zu unterbinden. Und sie hat erst davon abgelassen, als die EU mit dem Entzug von Subventionen drohte. Also hat Orbán die Strategie gewechselt: Er versucht dasselbe Ziel mit wirtschaftlichen Mitteln zu erreichen. Internationale Medienhäuser wie ProSiebenSat.1, Springer und Ringier, Metropol, sollen aus dem Land gedrängt werden – mit Sondersteuern, mit Wettbewerbsverfahren wie gegen Springer und Ringier und anderen wirtschaftlichen Maßnahmen. Ihr Hauptanliegen ist, ungarische Medien in ungarische Oligarchenhand zu bringen.

STANDARD: Springer und Ringier haben ihre ungarische Zeitungsgruppe 2014 an den Wiener Finanzinvestor VCP von Heinrich Pecina verkauft.

Gergely: Herr Pecina hat es Springer und Ringier und nun auch der Funke-Gruppe, die ihm in diesem Sommer weitere vier Regionalzeitungen verkauft hat, ermöglicht, ungarische Beteiligungen abzustoßen und doch das Gesicht zu wahren, ohne dass sie Zeitungen direkt einem regierungstreuen Oligarchen verkaufen. Nach meiner Einschätzung war Pecinas Rolle, die Medien noch für eine Anstandsfrist zu halten, bevor er sie an einen Oligarchen verkauft. Der Deal über die Funke-Zeitungen ging in nur zwei Wochen durch alle Wettbewerbsprüfungen – das geht nur mit massiver Unterstützung der Regierungspartei Fidesz. Und Fidesz macht nichts umsonst.

STANDARD: Wer könnte die Medienholding übernehmen?

Gergely: Medien berichteten, dass Lőrinc Mészáros, der binnen weniger Jahre vom Gastechniker zu einem der reichsten Männer aufgestiegen ist, übernehmen würde. Er ist Schulkamerad und enger Vertrauter von Regierungschef Orbán. Wir sind ziemlich sicher, dass sich Pecina von Mediaworks bald verabschiedet.

STANDARD: Es soll ein Angebot der Chefredaktion geben, den Titel "Népszabadság" zu übernehmen. Die Chefredaktion soll die Gespräche darüber mit der Mutterholding Mediaworks kurzfristig abgesagt haben.

Gergely: Die VCP haben die Titel der Mediaworks und auch den der "Népszabadság" mit einer Hypothek belastet. Wie können wir mit Pecina über einen Titel verhandeln, über den er nicht allein entscheiden kann? Erst vor einem Monat wurde diese Hypothek von einer Bank, an der Pecina beteiligt ist, an eine regierungsnahe Bank, die MKB, transferiert – wir haben davon letzten Montag erfahren. Das war schon eine Vorbereitung auf die Übernahme der Mediaworks durch einen ungarischen Oligarchen. Wir wussten, dass ein solcher Käufer kein Interesse am "Népszabadság" haben würde, aber wir dachten noch, dass sie unsere Zeitung ziehen lassen würden in einen anderen Verlag, zu weiter verschlechterten Bedingungen, aber damit man doch noch von einer freien Presse in Ungarn sprechen könnte. Wir haben uns getäuscht.

STANDARD: Wie geht es weiter?

Gergely: Wir werden uns vorerst keine gedruckte Zeitung leisten können. Aber die Ereignisse haben viele wachgerüttelt. Das könnte uns ermöglichen, etwas Neues zu starten. Was sie hier mit der "Népszabadság" anstellen, überschreitet eine weitere Grenze. Das bringt uns sehr viel Sympathie auch in den noch freien rechtsgerichteten Medien. Und wir bekommen sehr viel Zuspruch und Unterstützung. Aber noch hält uns die Firma in Geiselhaft, weil die Belegschaft solidarisch bleibt.

STANDARD: Gab es Unterstützung von österreichischen Politikern für die Belegschaft von "Népszabadság"?

Gergely: Ich habe jedenfalls bisher keine wahrgenommen. (Harald Fidler, 14.10.2016)