Nutztiere lassen sich nachweislich nicht effektiv schützen, wenn Wölfe systematisch abgeschossen werden: Dieses Ergebnis mehrerer Studien dürfte Wolfsfreunde und Tierschützer aufatmen lassen.

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Madison – Der Konflikt ist uralt. Der Mensch hält sich Nutztiere und lässt diese auf Weiden grasen. Aber die Tiere sind nicht allein. Irgendwo nimmt ein anderer Vierbeiner Witterung auf, ein Leopard vielleicht oder ein Wolf. Dem knurrt der Magen. Der Karnivor pirscht sich heran und findet auf der Wiese ein reichhaltiges Buffet. Er wartet wahrscheinlich, bis es dunkel ist, dann greift er zu. Am nächsten Morgen liegt eines der Nutztiere halb aufgefressen im Gras – wenn es nicht weggetragen wurde. Der Bauer ist wütend. Noch am selben Tag fordert er die Behörden auf, dem Spuk ein Ende zu setzen. Oder er holt selbst die Flinte aus dem Schrank.

Die Kojoten profitieren

Dass man Raubtiere tötet, um Viehverluste einzudämmen, hat eine lange Tradition. Die Wirksamkeit der Maßnahmen wird nur selten hinterfragt. Sicher, nachdem man die Wölfe in ganz Mitteleuropa ausgerottet hatte, rissen sie keine Schafe und Ziegen mehr. Die ökologischen Folgen solcher Vernichtungen können allerdings weitreichend sein. "In den USA profitieren die Kojoten vom Verschwinden der Wölfe", sagt der Biologe Adrian Treves von der University of Wisconsin. Für die Viehwirtschaft ist das wenig erfreulich.

Auch Kojoten töten Schafe und Kälber, und sie erreichen höhere Populationsdichten als Wölfe. Abgesehen davon haben sich Kojoten inzwischen im Osten der Vereinigten Staaten und in Teilen Kanadas niedergelassen. Früher kamen sie dort nicht vor. Möglicherweise ist ihnen diese Gebietserweiterung nur gelungen, weil die Wölfe schwinden, sagt Biologe Treves. Um ähnlichen Effekten auf die Spur zu kommen, hat der Forscher zusammen mit zwei Kollegen eine kritische Auswertung von insgesamt zwölf bereits publizierten Fallstudien zum Thema Viehschutz durchgeführt.

Sieben der Erhebungen betrafen mehr oder weniger systematische Tötungen von Raubtieren, die anderen widmeten sich Abschreckungs- und Ablenkungsmethoden. Die Experten sichteten dutzende weitere Berichte, mussten aber feststellen, dass diese nicht den gültigen wissenschaftlichen Standards entsprachen. Es fehlten zum Beispiel Kontrollgruppen, oder die Versuchsanordnungen ermöglichten keine Neutralität. Wenn solche Kriterien nicht eingehalten werden, bleiben die Ergebnisse fragwürdig.

Jagd mit Nebenwirkungen

Die Resultate der zwölf qualitativ akzeptablen Studien zeigten ein gemischtes Bild. Der Abschuss von Wolf und Co schützt die Herde demnach eher selten effektiv. So zeigen lediglich zwei der Veröffentlichungen, dass sich Viehverluste verringern, wenn Jagd auf Raubtiere gemacht wird (vgl.: Frontiers in Ecology and the Environment, Bd. 14, S. 380). Zwei weitere Analysen weisen dagegen sogar nach, dass die Schäden zunehmen.

Als besonders kontraproduktiv erweist sich die Jagd auf Pumas im US-Bundesstaat Washington, wie Adrian Treves berichtet: "Wird ein älteres, territoriales Männchen erlegt, nehmen mehrere Jüngere seinen Platz ein." Diese Halbstarken reißen aus bisher ungeklärten Gründen pro Kopf mehr Vieh als ihr Vorgänger. Der Grund dafür könnte sein, dass die jungen Pumas noch nicht genug Jagderfahrung haben und deshalb leichtere Beute suchen. Nach einiger Zeit beansprucht jedenfalls der Stärkste das gesamte Gebiet für sich allein, sagt Treves. Aber bis sich die Lage wieder normalisiert, vergehen Jahre.

Sinnlos ist offenbar auch die regelmäßige Tötung von Wölfen in Slowenien. Sie führt nachweisbar nicht zu weniger Viehrissen. Was vermutlich daran liegt, dass die Rudelstrukturen gestört werden. Wenn die Leitwölfe erschossen werden, suchen die Überlebenden meist allein das Weite. Die derart Desorientierten neigen schneller zu Viehdiebstahl. Doch auch der Verlust von rangniederen Tieren wirkt sich negativ aus: Das Wolfsteam hat weniger Jagderfolg – und schon locken wieder die Herden. Effekte, die sich Treves zufolge nur vermeiden lassen, wenn man ganze Rudel abschießt. Auch die Langzeitfolgen dieser Strategie wurden noch nicht hinreichend untersucht.

Bessere Ergebnisse erzielen Viehhalter in den französischen und italienischen Westalpen. Dort schützt man vor allem Schafsherden mit großen Hütehunden. Die Tiere haben einen ausgeprägten Familiensinn und betrachten die Schafe als Rudelmitglieder, die es notfalls bis aufs Blut zu verteidigen gilt. Wölfe möchten solche Konfrontationen lieber vermeiden. Erstaunlich wirkungsvoll ist auch das Einzäunen von Weiden mit flatternden Plastikfähnchen. "Wir verstehen noch nicht, warum sich Wölfe davon abschrecken lassen", sagt Treves. Womöglich haben sie Angst, in Zwischenräumen steckenzubleiben. Kojoten lassen sich von Plastikbarrieren dagegen nicht beeindrucken.

Die Debatte um den Viehschutz könnte auch in Österreich wieder aktuell werden. Nachdem in den vergangenen Jahren immer wieder einzelne Wölfe unterwegs waren, hat sich nun im Waldviertler Allentsteig erstmalig ein Rudel gebildet: zwei Elterntiere mit Nachwuchs aus mindestens vier im letzten Frühling geborenen Welpen. Viehrisse sind ausgeblieben, es gibt reichlich natürliche Beute. "Die Wölfe sind auf dem Truppenübungsplatz und genießen die Wilddichte dort", sagt Jörg Rauer, bundesweiter Wolfsbeauftragter und Biologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Eine weitere Wiederbesiedlung Österreichs sieht er gelassen. "Wenn die Rudel sich einmal etabliert haben, gehen die Schäden zurück." (Kurt de Swaaf, 22.10.2016)