Eine deutsch-französische Affäre: Pierre Niney und Paula Beer in "Frantz".

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Der französische Regisseur François Ozon.

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Wien – Was die Schlafwandler angerichtet haben, das sieht man an einem Grab in Quedlinburg im Harz. Eine junge Frau namens Anna legt hier täglich Blumen nieder. Es ist das Jahr 1919. Der Name des Verstorbenen enthält eine merkwürdige Zweideutigkeit: Er hieß Frantz. Nicht Franz, sondern mit einem harten T in der Mitte, das den Namen undeutsch wirken lässt. Und das spielt eine große Rolle in dieser Zeit, an diesem Ort, an den der französische Regisseur François Ozon sich mit seinem neuen Film Frantz begibt.

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Er handelt von einem Frantz zwischen den Linien, von einem deutsch-französischen Frantz, von einem jungen Mann, der mit Verlaine auf den Lippen (und Chopin im Ohr) in den Krieg zog und nicht mehr nach Hause kam. Anna war seine Verlobte.

Dass François Ozon sich für diesen Stoff interessiert, der auf einem Theaterstück von Maurice Rostand und einer früheren Verfilmung von Ernst Lubitsch (Broken Lullaby) beruht, das kam in mehrfacher Hinsicht überraschend.

Perspektivwechsel

"In Frankreich waren alle erstaunt, dass ich in Deutschland gedreht habe und dass ich die deutsche Sicht auf den Ersten Weltkrieg so stark in den Mittelpunkt rücke. In Frankreich hat man immer das Gefühl, dass in Deutschland vor allem der Zweite Weltkrieg präsent ist, während der Erste, der ja auf französischem Territorium stattfand, hier sogar in der Landschaft noch stark präsent ist."

Das Thema des Perspektivenwechsels zieht sich wie ein Ariadnefaden durch Frantz. Für ein deutschsprachiges Publikum besteht die primäre Umstellung wohl aktuell vor allem darin, nach dem intensiven Interesse für 1914, das sich in dem Bestsellererfolg des Buchs Die Schlafwandler von Christopher Clark manifestierte, auf 1918/19 umzustellen, also auf die Zeit, in der im Keim schon der Nationalsozialismus grundgelegt wurde. Ozon zeigt in so mancher Szene und mit markanten Figuren das Klima des Revanchismus.

Aber darum geht es nicht primär: "Ich wollte immer schon einmal einen Film über Lüge und Geheimnis machen, denn wir leben in einer Welt, die von Transparenz besessen ist." In Frantz kommt die Lüge ins Spiel, als der junge Franzose Adrien auftaucht. Er besucht auch das Grab, trifft dort Anna, bald sitzt er bei der Familie von Frantz am Tisch, und schließlich macht er bei ihnen Hausmusik. Er tischt auch eine Version auf, die sich anhört wie ein Versöhnungsmythos: Adrien und Frantz, wie sie vor dem Krieg gemeinsam den Louvre durchstreiften.

Universellere Geschichte

Es ist Anna (exzellent besetzt mit Paula Beer), die die Spannung von Lüge und Geheimnis mit sich allein auszumachen beginnt. Sie erfährt von Adrien noch deutlich mehr, auch über die Ereignisse im Krieg, und sie fährt schließlich nach Frankreich. Ozon verändert dabei die Vorlagen radikal. "Ich habe aus dem alten Film eine Menge übernommen. Aber das waren pazifistische Manifeste für die damalige Zeit. Für heute muss man die Geschichte universaler anlegen, und so habe ich mich vor allem für den Humanismus interessiert, der aus der Kultur kommt."

Für den Regievirtuosen Ozon, der sich in allen Genres (mit wunderbaren Komödien wie Das Schmuckstück oder Dramen wie Unter dem Sand) auskennt, ist Frantz auch eine Gelegenheit, sich an einem der größten Arthouse-Erfolge der letzten Jahren zu messen. Er erwähnt Das weiße Band von Michael Haneke nur en passant, als es um eine Erklärung dafür geht, dass er den Film in Schwarzweiß gedreht hat. Das hatte mit dem deutlich geringeren Budget zu tun, das er im Vergleich zu drei für ihn relevanten Historienfilmen hatte: Barry Lyndon von Stanley Kubrick, Tess von Roman Polanski und eben Das weiße Band. Hanekes Geschichte erzählt dräuend von einem Untergang, der sich vorläufig nur in verwüsteten Kohlfeldern zeigt. Ozon hingegen setzt auf ein Heraustreten aus den Zwängen der Geschichte. Nicht von ungefähr endet Frantz mit einem Blick auf ein Kunstwerk von Manet.

Akademische Wirkung

Das Schwarzweiß, in Verbindung mit einem ins Artifizielle tendierenden Studioton (knarrendes Holz ist die Leitmelodie), lässt Frantz manchmal ein wenig akademisch wirken, wie eine künstlerische Übung eher als wie ein genuin empfundenes Drama.

Ozon aber geht es damit ganz anders: "Es gibt ja heute keine brauchbaren Originalnegative in Schwarzweiß mehr, wir haben also in Farbe gedreht, und beim Blick durch die Kamera habe ich auch immer alles in Farbe gesehen. Das hat dann schnell einmal ein bisschen nach Walt Disney ausgesehen in diesen alten, pittoresken Kulissen. Nur auf dem Monitor war Schwarzweiß eingestellt. Und siehe da, beim Blick auf dieses Bild tauchten sofort Murnau, Dreyer oder Ophüls auf. Wenn man Schwarzweiß sieht, erinnert man sich an das Kino." (Bert Rebhandl, 21.10.2016)