Gemixt und gechüttelt: Die Kenzo-Kollektion von H&M kombiniert Zebramuster mit Tigerprints und Blumendrucken. In New York zeigten die Tänzer, Musiker und Models in einer Tanzperformance, dass die Zebrahandschuhe, Taschen, Baseballcaps und Schuhe zumindest als Bühnenkostüme funktionieren.

Foto: H&M

Die beiden Kenzo-Designer Humberto Leon und Carol Lim.

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Vielfalt ist Trumpf: Die prominenten Gäste führten während der Präsentation in New York bereits großteils Stücke aus der Kenzo-Kollektion vor, von oben nach unten: Schauspieler Joe Jonas, Chance the Rapper, Schauspielerin Chloé Sevigny, Musikerin Halsey, Model Imam neben dem einstigen Supermodel Bethann Hardison, Model Gilda Ambrosio, Werbehaudegen Jean-Paul Goude (in eigenem Outfit), Schauspielerin Rainey Qualley (eine der beiden Töchter von Andie MacDowell) und Schauspielerin Lupita Nyongo.

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Pier 36, eine schwarz ausgehängte Veranstaltungshalle am südwestlichen Ende von Manhattan. Beatboxer und Trommler geben den Rhythmus vor, Tänzer, Musiker und Models wirbeln in bunten Overalls und Kleidern durch die Location, dazwischen Sam Spiegels Remix von N.W.A.s "Express Yourself". Gut zwanzig Minuten dauert die druckvolle Tanzperformance, mit der die Kenzo-Kollektion für H&M vorgestellt wird. Zum Schluss werden die Besucher auf die Bühne gezogen, Popkornschachteln und Getränke verteilt. Wenig später glimmen die Smartphones: Ice Cube ist Überraschungsgast des Abends, das Publikum rappt textsicher mit.

Mit der Performance unter der künstlerischen und choreografischen Leitung des Werbehaudegens Jean-Paul Goude und des Choreografen Ryan Heffington haben die Kenzo-Designer Humberto Leon und Carol Lim an diesem Abend das klassische Modenschauformat gesprengt. Die Mode? Ein Mash-up aus Folkloreelementen und Mustersalven: Tigermuster, Zebraprints und Blumendrucke werden munter miteinander kombiniert. So viel ist klar: Die weiten Latzhosenkleider, bunten Hemden, aufgepumpten Jeansparkas funktionieren als überdrehte Bühnenkostüme. Ob sie auf der Straße und im Alltag auch was taugen, werden sie noch unter Beweis stellen müssen.

Frischer Wind

Mit der H&M-Kooperation sind das Label Kenzo und seine Macher wieder ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt. Zeit wurde es. Vor fünf Jahren hatten Carol Lim und Humberto Leon die kreative Leitung des Unternehmens übernommen. Damals brachten die beiden Amerikaner, die nie Modedesign studiert haben, nicht nur frischen Wind in das unter dem Designer Antonio Marras dahinschlummernde Haus – ihre Tiger-Sweater wurden in Windeseile zum It-Piece. Heute feiert Paris längst die Modemacher der nächsten Generation: Leute wie Demna Gvasalia von Vetements zum Beispiel.

Die Zusammenarbeit mit Kenzo ist dennoch eine clevere Wahl: Die Schweden mussten ein Kontrastprogramm zur Balmain'schen Bling-Bling-Kooperation des letzten Jahres auffahren. Gleichzeitig kann die Zusammenarbeit mit dem Label als Testlauf für den französischen Luxuskonzern verstanden werden: Zum ersten Mal arbeitete H&M mit einem Label aus dem Portfolio von LVMH zusammen.

Die Kollektion kommt als ein farbenfrohes, ein verspieltes, ein musterhaftes Statement daher. Zebra-, Blumen-, Tigermuster, folkloristische Kleider, dazwischen Adaptionen der populären Sweater und T-Shirts. Das Gros der über 100 Modestücke und Accessoires für Frauen wie für Männer beruht auf Vorlagen aus den späten 1970er-Jahren – Lim und Leon haben das gemacht, was sie am besten können.

Sie haben in den Archiven des 1969 von Kenzo Takada gegründeten, 1993 von LVMH übernommenen Unternehmens gegraben. Und dann Schnitte und Materialien auf die Bedürfnisse des H&M-Kunden von heute zugeschnitten. Doch wer kann mit den schrägen Entwürfen überhaupt etwas anfangen? "Da gibt es die Kunden in ihren Fünfzigern und Sechzigern, die sich die Kollektion mit Neugier anschauen und sich daran erinnern, was Kenzo ausmacht", erklärt Humberto Leon in New York. Für die jüngere Generation seien Sweater und T-Shirts da, Elemente, um die Kenzo in den letzten Jahren von Lim und Leon erweitert worden ist.

Video der Show in New York.
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Persönlichkeiten als Models

Im Gegensatz zu Olivier Rousteing, der sich vor einem Jahr mit glamourösen wie mehrheitsfähigen It-Girls wie Gigi Hadid und dem Hashtag #HMBalmaination der Social-Media-Kanäle bemächtigte, haben Lim und Leon für ihre Kampagne den Werbehaudegen Jean-Paul Goude (er inszenierte einst die legendären Plattencover von Grace Jones) Persönlichkeiten unterschiedlichsten Alters und unterschiedlicher Herkunft fotografieren lassen: Model Iman (61), die vietnamesische Rapperin Suboi (26), den japanischen Musiker und Komponisten Ryuichi Sakamoto (64), die amerikanische Schauspielerin Chloé Sevigny (41), und den jungen Umweltaktivisten Xiuhtezcatl Martinez (16). Auch der Hashtag fällt diesmal pragmatisch simpel aus: #KenzoxHM; Social-Media-Kampagnen mit großem Tamtam zu zelebrieren ist nicht Lim und Leons Ding.

Unaufgeregtere und routiniertere Testläufer als Carol Lim und Humberto Leon hätte sich der LVMH-Konzern für seinen ersten Kuschelkurs mit H&M nicht wünschen können. Die beiden 41-Jährigen haben ihr Business auf einem Versprechen von Authentizität und Coolness aufgebaut. Lim und Leon, die in den Suburbs von Los Angeles aufwuchsen, lernten sich Anfang der 1990er-Jahre an der University of California in Berkeley kennen. Er studierte Kunst, sie Wirtschaft. Was die beiden verband: ihre Leidenschaft für singuläre Produkte, für Popkultur, ihr Interesse am Entdeckertum. Es folgten der Umzug nach New York, Jobs bei Bally und Burberry. 2002 machten die beiden, die nie ein Paar waren, mit nichts als einem Businessplan und einem Kredit von jeweils 5000 Dollar gemeinsame Sache.

Sie eröffneten in Downtown New York in der damals noch verschlafenen Howard Street zwischen SoHo und Chinatown ihren Concept-Store Opening Ceremony. Mit ihrem eklektischen Sortiment, bestehend aus amerikanischen Nachwuchsdesignern und internationalen Marken, erregten die damaligen Mittzwanziger sofort internationale Aufmerksamkeit. Sie verstanden es, ein Lebensgefühl zu transportieren – über die einfallsreiche Zusammenstellung, das Kuratieren von Produkten.

35 Howard Street, diese Adresse steht seither nicht nur für ein Versuchslabor, das mit Mode von Proenza Schouler, Rodarte, Rachel Comey, Acne oder Havaianas den schmalen Grat zwischen Kreativität und Verkäuflichkeit auslotet, sondern auch für die hauseigene Modelinie Opening Ceremony, für unzählige Kooperationen mit Streetwear- und Modeunternehmen.

Legendäre Partys

Doch nicht nur das. Die Partys der Kreativblase rund um Opening Ceremony, eine lose Clique rund um Chloé Sevigny, Jason Schwartzmann und Spike Jonze, gelten als legendär. Wer hier, in den Dependancen in Los Angeles oder Tokio oder im Onlineshop, einkauft, gehört dazu – irgendwie zumindest. Das Konzept funktioniert noch immer: Im Moment hängen in der Howard Street Nummer 35 Esprit-Modelle aus den 1980ern, die Opening Ceremony mit dem kalifornischen Unternehmen in überschaubarer Stückzahl wiederaufgelegt hat. Eine typischer Job für die beiden umtriebigen Geschäftemacher: Dass sie mittlerweile Anfang vierzig sind und am Abend ihren Kindern Gutenachtgeschichten vorlesen, hat an ihrem jugendlichen Image nicht gekratzt.

Kooperations- wie Innovationsfreude halfen den beiden vor fünf Jahren dabei, die angestaubte Marke Kenzo wiederzubeleben. Lim und Leon knüpften an den Spirit und das Erbe des Japaners in Paris an, indem sie dessen alte Weggefährten (wie Jean-Paul Goude) mit ins Boot holten und mit ihrem eigenen Verständnis von Pop kreuzten. Auf ihren Reisen, ob nach Thailand oder Hongkong, oft zu zweit, noch öfter über Neujahr gemeinsam mit Freunden, sammeln sie Inspirationen, um sie in der Modemetropole an der Seine umzusetzen. Auch die Lust an der Inszenierung haben sie mit Takada gemein. Er verlegte seine Modeschauen Ende der 1970er ins Zirkuszelt, bei Lim und Leon funktionieren sie bei aller Theatralik genauso gut als kommerzielle Verkaufsschau – wie eben in New York.

Denn Lim und Leon sind ausgebuffte Geschäftsleute: "Wir designen keine Kollektionen oder machen Shows, die sich nicht verkaufen", hatte Humberto Leon morgens während der Pressekonferenz erklärt. Und noch schnell eine hübsche Geschichte hinterhergeschoben. Am schönsten sei noch immer, im Taxi sitzend auf der Straße Menschen zu entdecken, die Stücke von Kenzo oder Opening Ceremony tragen: "Dann holen wir unsere Handys raus und machen Fotos." Es könnte sein, dass Lim und Leon demnächst öfter in die Verlegenheit kommen werden, ihre Smartphones auszupacken. (Anne Feldkamp, RONDO, 28.10.2016)