Als Transporttiere wurden Elefanten auf den Andamanen darauf abgerichtet, selbst zu ihrem Arbeitsplatz im Dschungel zu schwimmen.

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Traumstrand auf den Andamanen

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Auf den Andamanen gibt es in diesen Tagen nur ein Gesprächsthema: den Tod des Hollywoodstars Rajan mit 66 Jahren Anfang August. Er hat zu Lebzeiten etwas erreicht. Hat sich vom einfachen Holzarbeiter zum Schauspieler hinaufgearbeitet, hat Karriere gemacht auf dem weit abgelegenen, zu Indien gehörenden Inselarchipel. Rajan bedeutet übersetzt: der Königliche. Und so sah er auch aus: kräftig, groß, blendend weiße Zähne. Doch wie häufig in Bilderbuchkarrieren lief es für Rajan, den Elefanten, anfangs gar nicht so gut.

Vom indischen Festland wurde er auf die Andamanen gebracht, um auf Little Andaman Island im Dschungel zu arbeiten. Jeden Tag schuftete er im Wald, die Hitze war unerträglich, die Verpflegung mäßig. Bis eines Tages ein Scout aus Mumbai im abgelegenen Camp auftauchte. Hollywood und Regisseur Tarsem Singh benötigten für das Fantasy-Drama "The Fall – Im Reich der Fantasie" einen schwimmenden Elefanten, von denen es einst viele gab auf den Andamanen. Gefunden wurde Rajan: 2,50 Meter hoch, sechs Meter lang und rund 6.000 Kilogramm schwer, ein mächtiges Exemplar, das auch noch besonders große Stoßzähne hatte. Warum die Tiere schwimmen?

Auf zum Strand sieben

Grundsätzlich besitzen alle Elefanten die Gabe zu schwimmen. Auf dem entlegenen Archipel aus 572 Inseln machten sich das einige Holzfäller zunutze, die Transporttiere benötigten. Mit ihren klapprigen Booten konnten sie die Elefanten nämlich nicht zu den Arbeitsplätzen auf andere Inseln befördern, also ließen sie die Tiere einfach dorthin schwimmen. Als dann vor 14 Jahren das Schlagen von Holz auf den Andamanen verboten wurde, verloren hunderte Transporttiere ihren Job, nur Rajan bekam einen neuen: Fast bis zu seinem natürlichen Tod im – für indische Elefanten durchaus stattlichen – Alter von 66 Jahren arbeitete er als Film- und Fotostar.

Wer mit großen Schiffen vom Festland kommt – so wie früher die Elefanten –, braucht heute noch 56 Stunden von Kolkata, dem früheren Kalkutta. Mit dem Flieger geht's freilich schneller und bequemer. Auf den Inseln gibt es noch dichten Dschungel, einfache Dörfer und eine wenig charmante Hauptstadt: Port Blair – einst Strafgefangenenlager der Kolonialmacht Großbritannien und jetzt Zwischenstation für Zuwanderer vom indischen Festland. Port Blair wird auch von Reisenden nur als Station auf dem Weg nach Havelock Island genutzt. Dort geht's meist zum Beach seven, wo Rajan seinen großen Auftritt hatte. Strände und Dörfer tragen auf Havelock keine Namen, sondern Nummern, zumeist noch dieselben, die die einstigen Holzfällersiedlungen hatten.

Polyphones Dschungelkonzert

Havelock ist eigentlich ein Archipel aus insgesamt acht Inseln, auf denen Reisende übernachten können. Andere Eilande sind gänzlich für Besucher geschlossen, da dort noch indigene Völker autark, also ohne technische Hilfsmittel und Einflüsse von außen, leben.

Havelock No. 7, geschwungen wie eine Sichel, ist tatsächlich ein filmreifer Strand: hellsandig, etwa einen Kilometer lang. Rajan muss eine gute Zeit gehabt haben mit den schönen Mädchen in leuchtenden Saris, die um ihn herumtanzten, denn neben Hollywood schätzte ihn auch Bollywood als verlässlichen Mitarbeiter. Aber irgendwann zogen die indischen Filmteams ab – zurück ins ferne Mumbai. Rajan blieb, und er hatte Glück: Nach dem letzten Dreh nahm sich der Besitzer des Barefoot at Havelock Island Resort auf der Insel des Tiers an. Er kaufte es frei und machte es zum Fotomodel, für das Leute aus der ganzen Welt anreisten.

Die Bungalows des Resorts liegen gut 200 Meter vom schönsten Andamanen-Strand entfernt im üppigen Urwald – diese Entfernung zum Meer verlangt das indische Gesetz. Und wenn man seine Türen und Fenster nicht zulässt, dann kreucht und fleucht es im Cottage: Faustdicke, fliegende Käfer, Grillen und Moskitos veranstalten ihr polyphones Dschungelkonzert.

Lebendige Kunstwerke

Die meisten Besucher kommen aber ohnehin der Wildnis wegen, etwa erfahrene Taucher und Fischer oder Schlangen- und Vogelkundler. Für die einen sind Königskobras und seltene Vögel das Ereignis, für die anderen Großfische wie Haie und Marline sowie Meeresschildkröten. Vor South Button Island sind es dagegen Schwärme kleiner Rifffische, die jeden faszinieren, indem sie ständig neue Formationen bilden und wie lebendige Kunstwerke wirken. Auch vor Henry Lawrence Island ist die Unterwasserwelt mit ihren Korallenstöcken und Schwämmen noch intakt, bei Flut kann man ganz einfach bis zur Riffkante schnorcheln, die dann jäh ins Tintenblau des offenen Meeres abbricht.

Und noch immer reisen Menschen wegen der schwimmenden Elefanten von Havelock Island an, auch wenn Rajan vermutlich der letzte seiner Art war. Denn die Tiere bewegen sich zwar durchaus gern im Wasser, doch vor den hohen Wellen im Meer haben sie Angst. Erst die Holzknechte haben ihnen diese ausgetrieben. In der Nähe von Beach three existiert noch das Ausbildungslager, in dem die Tiere früher für die schwere Arbeit in den Holzfällercamps abgerichtet wurden. Heute fungiert das Gelände nur mehr als Touristenattraktion. Einen Bananenstrunk sollte man dennoch mithaben, denn dafür machen die Tiere fast alles und vollbringen wahre Kunststücke.

Filmstar Rajan hätte sich dazu am Ende seiner Karriere nicht mehr hinreißen lassen. Als Schauspieler und Fotomodel benahm er sich zuletzt zunehmend exzentrisch und fraß fast ausschließlich Zuckerrohr. (Jochen Müssig, RONDO, 1.11.2016)