Diesmal gleich am Beginn: Wer nichts – absolut nichts – über den Inhalt von "Westworld" wissen will, sollte jetzt aufhören zu lesen.

Es soll wie Urlaub sein. Menschen reisen in "Westworld" in den Wilden Westen, also in eine Fiktion davon. Dort treffen sie auf Roboter, die mit ihnen reden, schmusen, saufen oder auf sie schießen. Diese Roboter schauen aus wie Menschen, agieren wie Menschen und sollen ein möglichst reales Erlebnis für die Besucher ermöglichen. Dann passiert etwas. Die Roboter beginnen sich an Dinge zu erinnern, die ihnen Besucher des Vergnügungsparks angetan haben. Zwar nur sehr vage, aber doch. Der Vergnügungspark – ihre Welt – gerät aus den Fugen. Und was passiert dann? Sind Roboter die besseren Menschen? Was ist Moral? Wo beginnt Freiheit? Noch nie haben wir uns so viele Fragen gestellt wie bei dieser Serie. Aber die zentrale soll diesmal sein: Wohin geht die Geschichte bei "Westworld"?

Michaela Kampl: Schwer zu sagen. Kampf Mensch–Maschine wäre das Offensichtliche. Aber der wäre auch ziemlich bald erledigt. Also wie auch immer ein solcher ausgehen mag, das kann nicht der große rote Faden sein. Oder doch? Bei "Game of Thrones" dauert der Kampf um den Thron ja auch schon etliche Staffeln. Aber da gab's so viele Subgeschichten, die das immer spannend bleiben ließen. Die sehe ich bei "Westworld" derzeit nicht.

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Daniela Rom: "Westworld" oder: Wie viele Metaebenen gibt es? Das ist für mich die zentrale Frage. Sehr wahrscheinlich geht es um einen Aufstand der Roboter. Die Hosts finden gerade langsam so etwas wie ein Bewusstsein, also ein Gewahrsein, dass ihnen übel mitgespielt wird. Ob sie schon checken, was sie sind, weiß ich nach den ersten paar Folgen noch nicht. Aber dafür ist noch Zeit. Spannender finde ich ja die vielen offenen Fragen: Wer ist der "Man in Black"? Ist der nur ein einfacher Spieler oder mehr? Was hat es mit Ford, der Figur von Anthony Hopkins, auf sich? Der findet das alles ja nur so halb leiwand, und ich weiß noch nicht, warum. Wer ist die Firma hinter Westworld? Wer ist der junge Spieler, der mit dem Spiel auf den ersten Blick nicht so richtig etwas anfangen kann? Was ist mit dem Kollegen von Ford passiert, der in Westworld gestorben ist?

Anya Antonius: Um den "Man in Black" gab es ja auch schon erste wilde Fantheorien, die sich aber mittlerweile fürs Erste wieder erledigt haben. So hieß es, dass William, der bis jetzt noch halbwegs nette Gast, der junge "Man in Black" sein könnte, allerdings auf einer anderen Zeitebene, die sich in Westworld parallel abspielt. Das wurde nun zwar schon widerlegt, ich wäre aber nicht überrascht, wenn sich dieses merkwürdige Universum noch nach allen Richtungen öffnet.

Die Bösen waren meistens schwarz Angezogen im Wilden Westen.
Foto: John P Johnson

Michaela Kampl: An einen Aspekt mit unterschiedlichen Zeitebenen habe ich überhaupt noch nicht gedacht. Mir ist "Westworld" auch so schon komplex genug. Denn den Einstieg machen uns die Serienmacher nicht gerade leicht. Ich zumindest frage mich viele, viele Fragen. Von großen wie "Ist Gewalt okay, wenn das Gegenüber sie nicht spürt?" bis zu kleinen praktischen wie "Können Gäste sich gegenseitig umbringen?". Ab Folge drei ist dann etwas klarer, wo es inhaltlich hingehen könnte. Es sollen ja schon fünf Staffeln fertig in der Schublade liegen, Ende inklusive. Vielleicht braucht die Serie deswegen länger – oder nimmt sich eben die Zeit –, um eine komplexe Welt mit all ihren Regeln entstehen zu lassen. Eine cleane, grauenvolle Welt, einen aufpolierten Horrortrip.

Daniela Rom: Sehe ich ganz genau so. Man hat von Anfang an darauf abgezielt, dass aus "Westworld" ein Langzeitprojekt wird. Da ist noch viel Luft drin für Plottwists, Erklärungen und weitere Ebenen. Es gibt im Netz auch Theorien, dass Westworld nicht nur eine Spielewelt ist, sondern überhaupt auf einem anderen Planeten passiert. Für mich steht fest: Ich weiß zwar nicht, wohin diese Reise geht, aber ich bin dabei gut unterhalten. Und hoffe inständig, dass sich die Serienmacher nicht in zu viel Metameta verstricken und "Westworld" am Schluss ein bitteres "Lost"-Ende findet mit einer Larifari-Auflösung, die eigentlich keine ist.

Michaela Kampl: Auf mich wirkt dieses absichtsvolle Erfolgsmodell irgendwie unsympathisch und geht mir auch beim Schauen auf die Nerven. Ich kann noch nicht genau sagen, was es ist. Vielleicht ist diese Künstlichkeit aber auch Teil des Plans. Es sind ja beide Welten – also die Westernstadt und auch die "normale Welt" – Kulissen. Und der Wilde Westen ist auch nie so gewesen, wie er in einem Western ausschaut. Es ist quasi ein Doppelfake. Es ist so viel Metametametazeug drin, mir schwirrt der Schädel. Noch eine wichtige Frage: Sind die Roboter in "Westworld" die Guten?

Chef denkt gerade über schwierige Moralfragen nach.
Foto: sky

Anya Antonius: Ich denke schon, dass die Künstlichkeit dazugehört – die normale Welt hat man auch noch gar nicht wirklich gesehen; ich frage mich, ob das noch passiert oder ob "die Welt da draußen" für die Serie ohnehin irrelevant ist. Ob die Roboter die Guten sind – ich fürchte, wenn sich alle klar erinnern, was ihnen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten angetan wurde, und aktiv werden, werden die Grenzen sehr schnell verschwimmen. Außerdem ist für mich noch nicht ganz klar, ist die Persönlichkeit der Roboter nicht künstlich programmiert? Wie sehr kann sich diese überhaupt eigenständig entwickeln? Manche sind ja bereits als "gut" und "böse" angelegt.

Doris Priesching: Wenn ich mir den gnadenlosen Gunman anschaue, lässt sich die Frage eher nicht mit einem eindeutigen Ja beantworten. Aber ja, diese Mehrfachebenen sind das Faszinierende an "Westworld", aber darin besteht auch die Gefahr, wie Dani schon gesagt hat, dass ich mich verliere und irgendwann nicht mehr weiterwill. Ich verstehe aber, was du meinst, Michi. Mir geht's ähnlich, ich bin hin und her gerissen, wobei das Argument des kalkulierten Erfolgs im durchdeklinierten US-Serienmarkt mittlerweile auf alles zutrifft, was aus diesen großen Produktionsstätten kommt. Ich habe mir nach der ersten Folge mehr erwartet und jetzt das Gefühl, im "Jurassic Park" der Zukunft zu sein, in dem es viel zu schauen, aber dahinter recht wenig Substanz gibt.

Daniela Rom: Ich verstehe deine Einwände, erlaube mir aber im Moment noch, hoffnungsfroh zu sein, dass es etwas ganz Großes wird. Für mich stecken einfach ganz viele Möglichkeiten drin, die die vielen Fragezeichen, die ich momentan noch sehe, aufwerfen. Es scheint so zu sein, dass die meisten Gamer, die nach Westworld fahren, entweder zum Morden oder zum Vergewaltigen da sind oder zu beidem (sieht man einmal von der Familie ab, die Dolores beim Malen trifft und die offenbar wirklich nur ein bisschen Wilder Westen spielen will). Da wir wissen, dass die Firma hinter Westworld alles sieht, wissen die also Bescheid, wer was in der Kunstwelt macht. Interessiert das keinen? Ist das eh wurscht, weil es eh nur Roboter sind? Ist das nicht ohnehin bei vielen Videospielen so, dass Gewalt ein zentrales Element ist? Gibt's da irgendeinen Hintergrund bei den Spielern, von dem wir noch nichts wissen? Da kommen wir dann auch wieder zur Frage von Michi: Sind die Roboter die Guten? Ich hoffe ja, dass es dann nicht so einfach ist.

Michaela Kampl: Apropos Gamer: Die Macher der Serie – das Ehepaar Jonathan Nolan und Lisa Joy – nennen Videospiele als großen Einfluss auf "Westworld". Die beiden sind fasziniert davon, wie in Spielen derzeit Geschichten erzählt werden. Dass es beispielsweise eine Art Eigenleben der Charaktere gibt, das sich unabhängig von der Anwesenheit eines Spielenden abspielt. Oder eben dass Moral nicht eindeutig definiert, sondern mehr eine Möglichkeit ist – oder besser: eine Variante, die ich als Spieler wählen kann. Davon sehen wir viel in "Westworld". Zum Beispiel, wenn Dolores versucht, Teddy davon zu überzeugen, gemeinsam abzuhauen, oder wenn der Roboter-Bösewicht andere Roboter in einem Rachefeldzug erschießt.

Dolores blickt in eine ungewisse Zukunft.
Foto: Sky

Doris Priesching: Ich möchte in dem Zusammenhang an die französische Science-Fiction-Serie "Trepalium – Stadt ohne Namen" erinnern. Auch hier sehen wir ein Gesellschaftsmodell der Zukunft. Eine egoistische Machtelite hat sich hinter einer Mauer zusammengerottet, während außerhalb der große Rest ums Überleben kämpft. Im Kleinen wird also vorgespielt, wie es irgendwann einmal im Großen aussehen könnte. "Trepalium" geht nicht so weit wie "Westworld", obwohl auch da mit künstlichen Körpern beziehungsweise Körperteilen gespielt wird, und es schwingt ein bisschen arg die Moralkeule – wie so oft, wenn es um Zukunftsszenarien geht. Aber es ist spannend, weil die Figuren interessant sind. Das ist bisher eine Schwäche an der Geschichte von "Westworld" – so richtig hat mich noch keiner, der da mitspielt, gefangen genommen. Sidse Babett Knudsen nicht, die auf der Kommandobrücke "Borgen" mit moralisch fragwürdigem Hintergrund spielt. Auch nicht Anthony Hopkins, der den Hannibal Lecter nicht loswird. Und Ed Harris ist im Moment noch ein allzu berechenbarer Bösewicht.

Daniela Rom: Ich musste ja beim "Westworld"-Schauen immer wieder an "Battlestar Galactica" denken. Daran hat mich diese ganze "Wer ist denn jetzt böser, der Mensch oder die Maschine"-Kiste erinnert. Und leider halt dann auch daran, dass das Ende von "Battlestar" eine mittlere Katastrophe mit dem pseudoreligiösen Schmarren war.

Wer von den beiden ist ein Roboter? Tipp: Es sind nicht beide Roboter.
Foto: sky

Doris Priesching: Die Geschichte hinter "Westworld" kreist um die Idee von Freiheit und die recht brutale Erkenntnis, dass diese letztlich Illusion ist. Das beginnt beim freien Willen, bei dem in "Westworld" nicht einmal mehr der geringste Zweifel besteht, dass es ihn nicht gibt. Wir alle sind fremdgesteuert, unsere Schwächen – Suche nach Liebe, Geborgenheit, Abwechslung, Freude, Glück – werden gnadenlos ausgenutzt. Und das Schlimmste daran: Nicht einmal die Gedanken sind frei.

Daniela Rom: Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, die Frage ist auch, ob es Freiheit im Allgemeinen oder Entscheidungsfreiheit im Speziellen überhaupt geben kann, wenn es kein Bewusstsein über eine solche gibt. Das finde ich schon sehr spannend. Und auch gut gemacht. Mit den Backflashes von Dolores zum Beispiel, die nicht verstehen kann, was das für Erinnerungen sind, wenn sie einmal mehr in diese Scheune gezerrt wird. Wenn sie sich nicht erinnern kann, ist es dann überhaupt passiert?

Anya Antonius: Für mich ging es auch um die Frage, was macht uns eigentlich zum Menschen? Was ist "menschliches" Verhalten? Moralisch sind die echten Menschen den Roboter-Gastgebern in der Serie ja schon einmal nicht überlegen. Diese empfinden Mitgefühl und Verantwortung für ihre Freunde und ihre Familie – doch wenn diese Gefühle künstlich sind, zählt das dann überhaupt?

Doris Priesching: HBO will "Westworld" als Nachfolger von "Game of Thrones" im Serienuniversum positionieren. Kann es das einlösen? Ich kann es mir nicht vorstellen – trotz allem ist es Science-Fiction und spricht damit nicht alle an.

Anya Antonius: Bis jetzt finde ich "Westworld" absolut sehenswert, und ich bin kein Science-Fiction-Fan. Genauso wie ich "Game of Thrones" liebe, ohne Fantasy-Fan zu sein. Die Genre-Elemente sind in beiden Serien recht dezent und geschickt eingearbeitet. Es war eine gute Entscheidung, die Drachen in "GoT" erst am Ende der ersten Staffel auftauchen zu lassen – ganz am Anfang hätte mich das wohl abgeschreckt, aber nach den ersten paar Folgen war ich eben schon eingefangen. Ebenso sage ich jetzt: "Wenn Ufos auftauchen, bin ich raus" – aber wer weiß, vielleicht begrüße ich die Ankunft der Aliens freudig. Für mich ist es zwar noch zu früh zu sagen, ob "Westworld" langfristig mit "GoT" mithalten kann, aber ich denke, das Western-Universum bietet auf jeden Fall genug Möglichkeiten dafür. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Doris Priesching, Daniela Rom, 27.10.2016)