Manche Kunstwerke waren während des Zweiten Weltkriegs in Depots eingelagert und wurden später irrtümlich dem Denkmalamt übergeben. So im Falle des Wiener Kunsthändlers Moser.

Foto: Video Arye Wachsmuth

Bild nicht mehr verfügbar.

1996: Mauerbach-Auktion im Mak-Vortragssaal.

Foto: Milenko Badzic / picturedesk.com / APA

Teile der Sammlung Freund wären zu restituieren.

Foto: Video Arye Wachsmuth

Friedrich von Amerlings "Morgenländerin" (1839) war einst in der Sammlung von Richard Freund beheimatet. Raubkunst, wie sich zwischenzeitlich herausgestellt hat. Seit der Mauerbach-Auktion ist der Verbleib dieses Bildes unbekannt.

Foto: Christie’s

Die Hinweise auf der Rückseite von Alexander Archipenkos Gemälde "Carafe" wurden 1996 und davor ignoriert. 2013 wurde das Bild bei Sotheby’s versteigert – Recherchen des Auktionshauses zufolge war das vermutlich aus einer deutschen Privatsammlung stammende Bild im Rahmen der Aktion "entartete Kunst" beschlagnahmt worden. Die Alliierten übergaben das Bild an Österreich.

Foto: Video Arye Wachsmuth

Am 29. Oktober 1996 war der Vortragssaal im Museum für angewandte Kunst (Mak) einem Ansturm ausgesetzt, der in seiner Geschichte einmalig bleiben wird. Die fix montierte Kinobestuhlung der Marke Thonet bot 292 Sitzplätze, die ausgesuchter Klientel vorbehalten waren. Der Rest des Publikums stand sich im Saal und im Foyer stundenlang und bis kurz vor Mitternacht die Füße in den Bauch: Kunsthändler, Schnäppchenjäger und Zaungäste, teils aus aller Herren Länder angereiste Kunstsammler und Medienvertreter.

Die Mauerbach-Benefizauktion generierte ein Ausmaß an Aufmerksamkeit, das die vergleichsweise beschauliche Wiener Szene im Vorfeld gehörig unterschätzt hatte. Versteigert wurden Kunstwerke und Objekte, die während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis beschlagnahmt worden waren und "deren Besitzer", so der offizielle Wortlaut, "nicht ermittelt werden konnten".

Herrenloses Gut also, das die US-Armee nach Kriegsende an diversen Bergungsorten fand und bis in die frühen 1950er-Jahre der Republik unter der Auflage übergab, es an die rechtmäßigen Vorbesitzer zu restituieren. Zuständig war das Denkmalamt, das einst auch in die Enteignungen involviert gewesen war. Der Eifer reduzierte sich jedoch hauptsächlich auf das Inventarisieren, sporadisch auch auf die Beauftragung restauratorischer Maßnahmen und das Erstellen penibler Listen.

1963 wanderte eine Reihe von Kunstgegenständen an Museen. Kritik gab es, denn eigentlich sollte der gesamte Restbestand verwertet und der Erlös NS-Opfern zugutekommen. Bis heute befinden sich zahlreiche solcher Zuweisungen in Bundesmuseen und werden fortlaufend von Provenienzforschern bearbeitet.

"Mauerbacher Glumpert"

Drei Jahrzehnte, zwei Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetze (1969, 1985) und damit verbundene Rückgaben später, hatte sich der in der Kartause Mauerbach eingelagerte Bestand reduziert. Allerdings nicht wesentlich. Denn die Beschreibung der Gegenstände der in der Wiener Zeitung veröffentlichten und in österreichischen Gesandtschaften ausgehängten Listen hatte man bewusst spartanisch gehalten. Die Idee dahinter: Die Kenntnis von Details sollte die Eigentümerschaft belegen.

Im Frühjahr 1995 nahm der Plan, das "Mauerbacher Glumpert" (Hans Haider, Die Presse) der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) zu übereignen und versteigern zu lassen, konkretere Züge an. Zu dieser Zeit sollte im Palais Harrach eine von Wilfried Seipel vorbereitete Ausstellung mit Nazi-Beutekunst aus dem Kunsthistorischen Museum eröffnet werden. Die rund 80 Bilder hingen bereits, als die Regierung die Schau untersagte. Sowohl Kurt Haslinger, Sektionschef im Finanzministerium, als auch IKG-Präsident Paul Grosz hatten sich dagegen ausgesprochen, da sie "nach einer freien Besichtigung neue Restitutionsansprüche" befürchteten, wie Paul Kruntorad im STANDARD (Mai 1995) berichtete. Dazu hätten "die jetzigen Antragsteller dann gegenüber jenen der Vergangenheit den Vorteil, die Bilder nicht aus dem Gedächtnis beschreiben zu müssen". Dass dies teils nicht notwendig gewesen wäre, weil die ursprünglichen Besitzer sowohl Kuratoren als auch Beamten des Denkmalamtes bekannt waren, sollte sich erst im Laufe der Jahre herausstellen.

Im Sommer 1995 begann Sotheby's den nach Schönbrunn verlagerten Mauerbach-Bestand zu katalogisieren. Etwa drei Monate lang waren Mitarbeiter der Österreich-Niederlassung, unterstützt von Kollegen aus London und New York, beschäftigt. Warum dann doch Christie's mit der Versteigerung beauftragt wurde? Dem Vernehmen nach schien Alfred Taubman die Mission doch zu heikel und so orderte der Sotheby's-Chef den Rückzug an.

Also warf schließlich Christie's unter dem Kampagnentitel "Stolen Art from stolen lives" seine Marketingmaschinerie an, druckte zunächst 20.000, dann nochmals 10.000 Kataloge und veranstaltete die erste und bislang letzte Versteigerung auf Wiener Boden. Ein zweitägiges Spektakel, das sich an diesem Wochenende zum 20. Mal jährt.

Panorama der Versäumnisse

Wie bei Benefizauktionen üblich, waren die Kunstwerke und Objekte besonders günstig und teils deutlich unter dem Marktwert geschätzt. In den Tagen vor der Auktion trudelten tausende Kaufaufträge per Fax in der Wiener Christie's-Niederlassung ein. In Wäschekörben, erzählt man sich, hätte man sie in das provisorisch eingerichtete Büro im Mak transportieren müssen.

Der Erfolg und Verkäufe weit über den angesetzten Taxen waren programmiert: Statt der erwarteten 38 Millionen Schilling (2,76 Mio. Euro) spielten die 1045 Positionen rund 155 Millionen Schilling (10,17 Mio. Euro) ein. Zwölf Prozent des Reinerlöses kamen österreichischen Verbänden (u. a. Opfer des Faschismus) zugute, 88 Prozent NS-Opfern.

Wer in dieser Auktion einen Schlussstrich unter ein dunkles Kapitel der Nachkriegsgeschichte wähnte, sollte irren. Gemessen an den über Jahrzehnte unterlassenen und verschleppten Maßnahmen, war es allenfalls eine Zäsur. Erst das zwei Jahre später verabschiedete Kunstrückgabegesetz sollte die Ära einer fundierten Auseinandersetzung einleiten.

Zwölf Jahre nach der Mauerbach-Auktion fand im Mak die Ausstellung Recollecting (Dezember 2008 bis Februar 2009) statt, die Kunst- und Alltagsobjekte aus jüdischem Eigentum und deren Geschichte zwischen Raub und Restitution zeigte. Zu den eigens für die Schau konzipierten Arbeiten gehörte Arye Wachsmuths Retracing the Tears. Der Film und die Installation basierten auf einer Fotodokumentation von Bildrückseiten der 1996 versteigerten Mauerbach-Objekte. Die Aufnahmen stammten von Sophie Lillie und anderen, die damals als Werkstudenten für die IKG tätig waren: Die 220 ausgewählten Einzelbilder dokumentieren Sammlerstempel, Galerieetiketten, Depotvermerke, Inventarnummern und andere Vermerke. Ein Panorama der Versäumnisse, denn es belegte, dass die einstigen Eigentümer den Behörden teils Jahrzehnte bekannt waren.

War der Mauerbach-Bestand aus Bequemlichkeit als herrenlos eingestuft worden? Mal gab es konkrete Besitzerangaben, dann wieder Anhaltspunkte für Recherchen. Nicht wenige der Kunstwerke hätte man schon vor Jahren den einstigen Besitzern und wohl auch noch vor der Auktion deren Erben zurückgeben können.

Teils handelte es sich gar nicht um einst entzogene Kunstwerke, teils war der Bezug zu österreichischen Vorbesitzern nicht gegeben. Der Auftrag an das Auktionshaus umfasste keine Recherche, sondern nur Verwertung und Katalogisierung. Dennoch wurde nachgefragt, wie IKG-Geschäftsführerin Erika Jakubovits im Gespräch mit dem STANDARD bestätigte. Die Antwort war stets die gleiche: Das übergebene Gut sei herrenlos. "Die Republik sollte nun einen Weg finden, die ehemaligen Besitzer, deren Objekte versteigert wurden, zu entschädigen." Das war 2008. Passiert ist nichts, auch, weil die damaligen Käufer über die Versteigerung rechtmäßiges Eigentum erwarben.

In unbekannten Besitz wechselte etwa die Tizian-Kopie Der heilige Petrus Martyr aus dem 17. Jahrhundert, zu der im Katalog "Akademie der bildenden Künste, Vienna, before 1945" als ehemalige Herkunft vermerkt war. Ein Hinweis, den niemand überprüfte. Dabei war das Bild im Bestandskatalog der Gemäldegalerie von 1989 als Kriegsverlust erfasst.

Bei Friedrich von Amerlings Ölbild Die Morgenländerin und bei einem Damenbildnis von Hans Canon war wiederum als Vorbesitzer "Dr. Richard Freund, Vienna" vermerkt. Mit dem Wissen von heute hätten Provenienzforscher Alarm geschlagen, 1996 war diese Disziplin noch nicht geboren. Einst in der Sammlung Freund beheimatete Gemälde, die etwa das Belvedere 1939 angekauft hatte, wurden 2009 restituiert.

Der Verbleib des Amerlings, des Canons und unzähliger anderer Kunstwerke, die damals im Mak versteigert wurden, ist unbekannt. Über die Auktion war ihnen eine vermeintlich blütenreine Weste verpasst worden, mit der sie nun durch den Markt geistern. Ohne detaillierte Vorbesitzerchronik sind auch diese Kunstwerke international nicht mehr verkäuflich. Das ist das andere, das jüngere Erbe: Die Provenienz Mauerbach wurde zu einem Makel, der heute mehr denn je zu akribischer Recherche verpflichtet. (Olga Kronsteiner, Album, 29.10.2016)