Christian Schubert / Madeleine Amberger, "Was uns krankt macht – Was uns heilt. € 24,70 / 274 Seiten. Fischer & Gann 2016

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Wer schreit, baut Stress ab, so wie hier in Kairo, wo in einem Buchgeschäft ein "Schreiraum" eingerichtet wurde. Das Ziel: Frustrationen loswerden.

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Wer den Verdacht hat, er sei krank geworden, weil er überarbeitet ist, könnte recht haben. Während die Medizin noch vor 40 Jahren davon ausging, dass das Immunsystem völlig unabhängig arbeitet, steht heute fest: Psyche, Gehirn und Immunsystem wirken bei der Entstehung von Krankheiten eng zusammen. Psychoneuroimmunologie ist etabliert, seit der US-Psychologe Robert Ader 1974 experimentell nachwies, dass das Immunsystem mit dem zentralen Nervensystem zusammenarbeitet und lernen kann.

In seinem Buch Was uns krank macht – Was uns heilt beschreibt der Innsbrucker Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Christian Schubert, wie dieses Zusammenspiel zwischen Körper, Geist und Seele funktioniert. Er versammelt Studien. So fanden US-Forscher am National Institute of Health heraus, dass Frauen, die an Depressionen leiden, eine um 6,5 Prozent geringere Knochendichte in der Wirbelsäule aufweisen. Sie hatten auch mehr Stresshormon Cortisol im Urin.

Optimismus als Antrieb

Bei einem anderen Experiment wurden 400 gesunde Männer und Frauen künstlich mit Schnupfenviren infiziert und unter Quarantäne gestellt. Das Fazit: Je gestresster die Person, desto eher entwickelte sie Schnupfen. Auch bei HIV-Infizierten und Brustkrebspatientinnen konnte nachgewiesen werden, dass Stressreduktion und eine optimistische Grundhaltung die Heilungschancen erhöhten.

Stress ist ein Ganzkörpererlebnis", so Schubert. "Wenn ein Mensch sich überfordert fühlt, ist sein gesamter Organismus bis in das Zellinnere hinein beteiligt." Die Vorgänge haben ihren Ursprung im Gehirn, und zwar im limbischen System. Beteiligt sind auch Locus coeruleus und der Hypothalamus, zentrale Schaltstellen für die Produktion von Stresshormonen. Diese haben eine wichtige Funktion, weil sie unseren Körper bei drohender Gefahr in einen "Kampf-oder-Flucht-Modus" versetzen.

Chronisch werden

Der Blutdruck und die Herzfrequenz steigen, wir atmen schneller und flacher, die Muskeln spannen sich, der Hautwiderstand nimmt ab. Das macht Energie frei. Sobald die Gefahr vorbei ist, pendelt sich der Organismus wieder ein. "Die Stresshormone sind also lebensnotwendig", so Schubert. "Gefährlich werden sie allerdings, wenn wir kurzfristig unter zu starker Belastung oder langfristig unter Dauerstress stehen."

Das Wissen hat noch wenig Eingang in die medizinische Praxis gefunden. Wer heute zum Arzt geht, beschreibt seine körperlichen Symptome, bekommt daraufhin ein Rezept oder eine Überweisung, die psychischen und sozialen Faktoren bleiben unberücksichtigt. "Ich weiß, dass der klinische Alltag von Zeitdruck geprägt ist", resümiert Schubert. "Die psychische und soziale Dimension des Patienten miteinbeziehen zu können muss für Ärzte so selbstverständlich werden, wie das Pulsmessen." Dies sei eine Haltung, die Mediziner kultivieren sollten. (Andrea Fried, 21.11.2016)